# taz.de -- Zukunft der Kinokultur fraglich: Umbruch der Gewohnheiten | |
> Die Corona-Hilfen haben vielen Kinos das Überleben ermöglicht. Jetzt | |
> sollen sie wegfallen und die Kinos stehen vor einer ungewissen Zukunft. | |
> Wie geht's weiter? | |
Bild: Längst Vergangenheit in deutschen Kinos: 35mm-Filmrollen. Sind Kinos auc… | |
Die Sonne kitzelt, irgendwelche Inzidenzen scheinen allen egal zu sein, | |
doch Verena von Stackelberg, Betreiberin des Neuköllner Indiekinos Wolf in | |
Berlin, sagt: „Es wäre besser, wenn jetzt die Wintersaison anfangen würde.�… | |
Denn nach mehr als zwei Jahren Coronakrise samt Lockdowns ist es zwar schon | |
so, dass sich alles weitgehend normalisiert hat und auch das Kulturleben | |
zurückkehrt, doch bei dem schönen Wetter stürmen die Leute eben doch lieber | |
die Biergärten als die Kinosäle. | |
Elisa Rosi, Betreiberin des kleinen Filmkunstkinos Lichtblick im Berliner | |
Prenzlauer Berg, sagt: „Nach dem Lockdown dachten wir, die Leute sind so | |
kultur- und ausgehhungrig, dass sie uns das Kino überlaufen. Das ist nicht | |
der Fall.“ Und jetzt kommt auch noch der Sommer samt lockenden Badeseen und | |
geplanten Urlaubsreisen, der traditionell die trostloseste Jahreszeit für | |
Kinos ist. | |
## Noch Corona- oder schon Kinokrise? | |
„Es ist sehr zäh gerade und man fragt sich schon, wie es weitergehen soll“, | |
sagt von Stackelberg. Diese Verunsicherung spürt man auch bei anderen | |
Kinobetreibern, die man so zur aktuellen Lage befragt. Hervorragende Filme | |
könne man gerade zeigen, sagen sie, am Programm könne es also nicht liegen, | |
dass das Publikum die Kinos nicht unbedingt überrennt. | |
Sind also tatsächlich einfach die milden Temperaturen schuld oder gibt es | |
doch grundlegendere Gründe? Trauen sich die Leute noch nicht so richtig | |
zurück in die geschlossenen Räume? Haben sie das Kino gar nicht so sehr | |
vermisst wie erhofft, weil sie gemerkt haben, dass die Streamerei doch | |
eigentlich auch ganz schön ist? Unklar. | |
Christian Suhren, Mitbetreiber des Arthouse-Kinos FSK in Berlin-Kreuzberg, | |
sagt: „Wir sind in einer Phase, wo man nicht so genau weiß, was ist noch | |
Corona- und was schon Kinokrise.“ | |
## Zuversicht während der Corona-Monate | |
Man muss sich ja nichts vormachen: Es war eine ziemlich lange Zeit, in der | |
Kinos mehr oder weniger kaum noch wahrgenommen wurden. Durften sie mal | |
zwischen zwei Lockdowns kurz öffnen, dann nur unter relativ strengen | |
Auflagen. Die Kapazitäten waren begrenzt, mal galt 3G, mal 2G, meist | |
Maskenpflicht: einfach nur spontan einen Film auf der großen Leinwand ohne | |
großes Brimborium ansehen, das war jedenfalls nicht möglich. | |
Trotzdem waren während der langen Corona-Monate die meisten Kinobetreiber | |
recht zuversichtlich. Sie berichteteten davon, wie dankbar die Leute waren, | |
wenn sie doch mal wieder ins Lichtspielhaus gehen durften und dass sogar | |
Geld gespendet wurde, damit ihr Kiezkino unbedingt überlebt. Und die | |
Überbrückungshilfen kamen im Großen und Ganzen auch immer an. | |
Doch das war ein Durchhangeln in einer Ausnahmesituation, ein Leben in der | |
Blase. Die Frage, wie sehr die Kinos wirklich noch gebraucht werden, stellt | |
sich erst jetzt wieder, wo alles „back to normal“ gehen soll. | |
## Publikumsstruktur als Problem | |
Aber man sei eben noch nicht wieder ganz in der Normalität angekommen, so | |
von Stackelberg. Aktuell begrenzen viele Kinos ihre Kapazitäten immer noch. | |
Weil sich ein Teil ihres Publikums einfach sicherer fühlt, wenn weiterhin | |
Abstand gewahrt werden kann. Und Überbrückungshilfen fließen auch noch. | |
Anscheinend bis Juni, danach müssen Kinos wieder vollständig als | |
wirtschaftliche Unternehmen funktionieren wie vor der Pandemie. Und wenn | |
dann das Publikum wegbleibt oder arg geschrumpft ist, aus welchen Gründen | |
auch immer, dann haben sie eben ein Problem. | |
Kinos sind zudem in einer anderen Lage als andere Kultureinrichtungen: | |
Theater, Opern, Konzerthäuser für klassische Musik, werden im Normalfall | |
subventioniert, wenn da jetzt ein paar besonders Corona-Sensible | |
wegbleiben, ist das weitgehend egal. Für Museen gilt dasselbe. | |
Clubs und Popkonzerte werden eher von jüngeren Leuten besucht, bei denen | |
die Angst vor dem Virus nicht so ausgeprägt ist. Für Kunstfilme im Kino | |
interessiere sich, so Christian Suhren, mehrheitlich ein Publikum, dass | |
schon etwas älter und deswegen vorsichtiger sei. | |
## Wandel der Konsumgewohnheiten | |
Vor allem aber kommt beim Kino etwas hinzu, was in den anderen | |
Kulturbranchen nicht so stark spürbar ist: ein radikaler Umbruch der | |
Konsumgewohnheiten. Für einen Theaterbesuch gibt es keinen adäquaten | |
Ersatz, für eine Party im Club erst recht nicht. Doch einen guten Film, das | |
mögen echte Cineasten noch so sehr anders sehen, kann man sich eben auch | |
gut daheim auf der Couch reinziehen. Und Serien, für viele inzwischen | |
sowieso interessanter als Filme, erst recht. | |
Die Kinos schauen den Umwälzungen in ihrer Branche nicht tatenlos zu, | |
sondern versuchen zu reagieren. Viele haben während der Pandemie eigene | |
Streamingplattformen eingerichtet, um auf die sich verändernden | |
Sehgewohnheiten zu reagieren. | |
Von Stackelberg sagt, immer mehr würden Mitgliedschaftsmodelle einführen, | |
um ihr Stammpublikum besser zu binden. Ein paar Extra-Euros würde es auch | |
bringen, das Kino tagsüber an Filmfirmen zu vermieten, die etwa | |
Schnittfassungen sichten, so Christian Suhren. | |
## Blockbuster laufen gut, alles andere nicht so sehr | |
Doch die Hauptaufgabe, auch im ökonomischen Sinne, sei es für | |
Arthouse-Kinos weiterhin, ein Publikum für gute Filme zu finden, so | |
Christian Bräuer, Geschäftsführer der Berliner Yorck Kinogruppe und | |
Vorstandsvorsitzender der AG Kino. Und das sei gerade nicht so einfach. | |
„Events und Eventfilme, meist Blockbuster wie James Bond, Spiderman oder | |
Batman, laufen gut, alles andere tut sich schwer. Und das hat nicht nur | |
etwas mit der Pandemie zu tun. Es wird immer schwerer für Filme ohne großes | |
Marketingbudget“, sagt er. | |
Und von Stackelberg glaubt, dass der allgemeine Anstieg der | |
Lebenshaltungskosten dazu führe, dass das Publikum sich eher auf die | |
„Must-See-Filme“ konzentriere, die auch ausgiebig in der Presse besprochen | |
werden, und sich das Geld für Filmexperimente lieber spare. | |
## Corona ist nicht weg | |
Die Herausforderungen, vor denen die Kinos derzeit stehen, lauten also, so | |
Bräuer, das Vertrauen des Publikums zurückzugewinnen, das während der | |
Pandemie gelernt hat, die dunklen Säle als unsichere Orte anzusehen. Und | |
eine Antwort auf die Frage zu finden: „Wie schaffen wir in einer von Hypes | |
und Likes geprägten Medienwelt eine bessere Sichtbarkeit für Filme, von | |
denen wir überzeugt sind?“ | |
Hier passende Strategien zu finden, das ist schon schwer genug. Doch kommt | |
er dann, der Herbst und danach der Winter, die Zeit der Hoffnung für die | |
Kinos, könnte es auch wieder ein ganz anderes Problem geben. „Wir wissen ja | |
alle, dass Corona noch nicht weg ist“, sagt Verena von Stackelberg. | |
• Dieser Text erscheint im taz Thema Kulturrausch, Ausgabe Mai 2022. | |
Redaktion: Ole Schulz. Frühere Ausgaben des taz Themas Kulturrausch | |
[1][können Sie hier nachlesen]. | |
19 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /taz-Thema-ueberregional/!140527/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |