# taz.de -- Zu Gast bei einer renitenten Putzfrau: Drecksarbeit | |
> Sie beseitigen das, was das System an Schmutz erzeugt und sorgen für | |
> Reinlichkeit. Die meisten Putzarbeiten werden von Frauen geleistet. Eine | |
> dieser Frauen ist Susanne Neumann in Gelsenkirchen. | |
Bild: Hält Leiharbeit für Sklaverei und Politiker wie Wolfgang Clement für "… | |
Sie putzen alles, Theater, Schlachthöfe, Gerichte, Schulen, Altersheime, | |
Krankenhäuser, U-Bahnen, Züge, Flughäfen, Großküchen, Ämter und | |
Bürogebäude. Sie beseitigen Berge von Papier, Abfall, Staub, Schmutz, Blut, | |
Fett, Urinstein und Kotspuren. Sie beseitigen das, was das System an | |
Schmutz erzeugt und sorgen für etwas ganz Unverzichtbares, für | |
Reinlichkeit, Hygiene und Ordnung. Man möchte meinen, das sei etwas wert. | |
Putzen jedoch ist, eine schlecht bezahlte Knochenarbeit ohne jedes | |
Sozialprestige. Fast alle zu verrichtenden Putzarbeiten werden mehrheitlich | |
von Frauen geleistet. | |
Eine dieser Frauen ist Susanne Neumann in Gelsenkirchen, sie putzt seit 30 | |
Jahren für ein mittelgroßes Gebäudereinigungs-Unternehmen. Sie engagiert | |
sich nicht nur als Betriebsrätin, sie ist auch Bezirksverbandsvorsitzende | |
und Vorsitzende der Bundesfachgruppe Gebäudereiniger in der IG BAU. In | |
ihren zwei Jobs als Putzfrau und Hausmeisterin arbeitet sie 45 Stunden pro | |
Woche. | |
An einem schönen Morgen im Juni komme ich im Hauptbahnhof Gelsenkirchen an. | |
Susanne holt mich ab, fährt flott in den Süden der Stadt. Dort zeigt sie | |
mir direkt in ihrer Nachbarschaft einen Förderturm mit Rad auf der 1993 | |
stillgelegten Zeche Nordstern am Rhein-Herne-Kanal. | |
Das ganze Areal wurde 1997 für die Bundesgartenschau zu einem | |
Landschaftspark umgestaltet, wobei ehemalige Zechenanlagen und Gebäude | |
teilweise erhalten blieben. In diesem großen Nordsternpark gibt es nun | |
Spazierwege und Lustbarkeiten fürs Volk, Amphitheater, Kletterberge, | |
Besucherstollen und Kindervergnügungen. Die stillgelegten Zechen des | |
Ruhrpotts bilden heute auf der "Route der Industriekultur" ein Netzwerk von | |
Industriedenkmalen. Jetzt, im Juni, findet die 10. Nacht der | |
Industriekultur unter dem Motto "Extraschicht" statt. Im gesamten Revier | |
werden die alten Monumente der Industriekultur, wie Hochöfen, Halden, | |
Fördertürme und Gasometer zur Kulturkulisse für Theater-, Tanz- und | |
Musikveranstaltungen. | |
Nach einem opulenten Frühstück, das Susannes Mann - er ist | |
Gewerkschaftssekretär - im Gartenpavillon für uns alle vorbereitet hatte, | |
zündet sich Susanne eine Zigarette an und bläst entspannt den Rauch in den | |
blauen Himmel. Ein Samowar summt leise, für mich, die Teetrinkerin. In den | |
beiden Biotopen tummeln sich silbrig schimmernde Koi-Karpfen, über dem lang | |
gestreckten Gartengrundstück und den anliegenden Grundstücken der | |
ehemaligen Zechensiedlung von Nordstern, liegt eine behäbige samstägliche | |
Ruhe. | |
"Fang ich mal an", sagt Susanne in leichtem Gelsenkirchener Ruhrpott-Slang. | |
"Bin am 29.Mai 1959 hier geboren, bin zwar in einer Beamtenfamilie groß | |
geworden, habe meine mittlere Reife gemacht, entsprach aber nicht denn | |
Erwartungen. Denn eine Beamtentochter wird nicht mit 17 schwanger und | |
kriegt mit 19 das zweite Kind. Über meine Eltern möchte ich gar nicht | |
reden, da herrscht Funkstille, ich hab sie ewig nicht gesehen. Ich habe | |
eine Ausbildung angefangen als Dekorateurin und die erste Schwangerschaft | |
über habe ich das noch durchgezogen, aber mit zwei kleinen Kindern haute | |
das nicht mehr hin. Ich habe meine Lehre geschmissen. Dann hatte aber mein | |
Ex-Mann, er war Klempner, einen Arbeitsunfall, war berufsunfähig und musste | |
umgeschult werden zum Techniker. Da fing das an bei mir, mit der Putzerei. | |
Erst mal für 6 Wochen, als Urlaubsvertretung, 7,77 Mark die Stunde. So. Aus | |
diesen 6 Wochen wurden dann bis zum heutigen Tag 30 Jahre! Ich arbeite | |
immer noch als ganz normale Putzfrau. | |
Ich habe im DGB-Haus geputzt und eines Tages haben sie mir den | |
Hausmeister-Job angeboten, haben mir sogar die Dienstwohnung ausgebaut. Da | |
habe ich für 300 Mark Miete gewohnt und noch 500 im Monat für die | |
Hausmeisterarbeit bekommen. Das war natürlich ideal, ich hatte meine Kinder | |
unter Kontrolle und zusätzlich noch meinen Putzjob auf Steuerkarte. Mit 30 | |
habe ich mich von meinem Ex-Mann scheiden lassen, seine Eifersucht wurde | |
immer unerträglicher. Ich habe den Motorradführerschein und den | |
Autoführerschein gemacht und war ein Jahr alleine. Dann kam Bernie, der | |
neue Sekretär der IG BAU!", sie zeigt Richtung Haus und lächelt. Er hatte | |
was auszusetzen an seinem Papierkorb, aber wir haben uns dann | |
zusammengerauft, im Laufe der Zeit. Nach einem Jahr sind wir | |
zusammengezogen, sechs Jahre später haben wir geheiratet." | |
Sie zündet sich eine Zigarette an, ich schenke mir Tee nach, bitte sie, von | |
ihrer Putzarbeit zu erzählen. "Also heute entfallen schon mal die vollen | |
Aschenbecher", sagt sie lachend, "in meinen Büros darf nicht mehr geraucht | |
werden. Das Haus hat mehrere Etagen, ich fang immer in der dritten an, mach | |
Flur, Geländer. Und dann gehst du halt systematisch vor, rast mit deinen | |
blauen Müllsäcken rum, machst zuerst die Papierkörbe leer, dann | |
Schreibtische, Computer, Fensterbänke. An jedem Schreibtisch sitzt ein | |
anderer Charakter, einer ist ordentlich, leer, beim anderen ist kein | |
Quadratzentimeter frei, der andere hat ne dreckige Tasse stehen, | |
Schmusetiere, Fotos vom Enkel, einer mag Salzstangen, der andere Pommes. | |
Manche haben Blattpflanzen, mancher gießt die aber nie. Für eine | |
Reinigungskraft ist jede Blattpflanze eine zusätzliche Belastung. Genauso | |
Weihnachtsgestecke mit Tannennadel und Kerzenwachs und dem ganzen Scheiß. | |
Die sind der Horror. Oder der absolute Super-GAU ist Weiberfastnacht, | |
besonders seit es Glitterspray gibt. Konfetti kannst du ja noch weg machen, | |
aber Glitterspray!!! Die kleinen Glitzerstückchen haften überall, auch an | |
Fliesen, an jedem Lappen, das kriegst du nicht weggewischt. Ich hasse es, | |
ich hasse es! | |
Die meisten Büros haben Teppichboden und sind so zugestellt, dass du den | |
schweren Sauger immer über die Aktendinger heben musst, so dass dir bald | |
die Schultern wehtun und der Rücken. Und dann gibt es solche Neuerungen. | |
Eine normale Reinigungskraft benutzt kein Wasser mehr. Du hast ein Tuch, | |
das wird vierfach gefaltet, es gibt eine Sprühflasche, Pfft?Pfft? Du machst | |
es feucht, und bei der richtigen Falttechnik bekommst du angeblich fünf | |
Schreibtische damit gesäubert. Aber wer so eine Aussage macht, kennt keine | |
Schreibtische! Männer haben das ausgerechnet, wie viele Faltungen und | |
Schreibtischflächen und was man da an Zeit spart, mit nur einer Flasche und | |
einem Mikrofasertuch." Sie lacht. "Ja, aber die Arbeit lässt sich nicht | |
wegrechnen! Ich möchte das einmal in meinem Leben sehen, diese Tonnen von | |
Abfallsäcken, die ich schon weggeschleppt habe. Da gibts keine ,Technik' | |
für, das ist alles echte, körperliche Handarbeit. So. Und wenn ich dann | |
fertig bin, wird das Licht ausgemacht, der Computer ausgemacht, die | |
Kaffeemaschine ausgemacht, das vergessen die halt schon mal. Das liegen | |
gelassene Handy oder Portemonnaie pack ich in die Schublade. Die wissen, | |
ich mach das. Es ist eine Vertrauensposition. | |
Aber ein Traumjob ist das nicht. Die Bezahlung ist ein Hungerlohn. 8,40 | |
Euro die Stunde, ein bisschen Urlaubsgeld und ansonsten, das wars. | |
Steuerklasse V. So. Was kriege ich raus? 700 Euro. Ein Wahnsinn, ja? Bei | |
Betriebsratssitzungen, Schulungen und solchen Sachen musste ich immer | |
,nachputzen' und war manchmal bis Mitternacht noch am Malochen. Seit Mai | |
jetzt habe ich eine Freistellung. Ich mache aber noch die C&M-Kunden, putze | |
da zweimal die Woche die 2. Etage und den Hausflur, weil, wenn ich mich da | |
auch freistellen lasse, habe ich Angst, dass ich meinen Hausmeisterjob | |
verliere. Diese Bindung muss erhalten bleiben, aber ansonsten bin ich | |
freigestellt. Wenn ich für die IG BAU unterwegs bin, bekomme ich den | |
Lohnausfall ersetzt und eine Vertretung putzt für mich. Einmal in der Woche | |
fahre ich mindestens nach Frankfurt, dort sitzt der Bundesvorstand. Dafür | |
kriege ich dann Kilometergeld. Ach ja, und immer dienstags bin ich noch | |
ehrenamtlich Schöffin beim Arbeitsgericht. Vor 8 Jahren wurde ich berufen. | |
Das ist sehr interessant für mich und so mancher Richter, der sieht mich | |
lieber von hinten. Bei mir ist das einfach so, es mach KLICK und ich bin in | |
meiner Betriebsratsarbeit; KLICK Arbeitsgericht; KLICK ich bin zu Hause und | |
guck, was es da zu tun gibt; KLICK Hausmeisterjob; KLICK Putzfrau; KLICK | |
Frankfurt Bundesfachgruppe; KLICK Feierabend. Und es ist nie ein Tag gleich | |
wie der andere." | |
Ich frage, wie sie zur politischen Arbeit kam. "Angefangen hat das | |
praktisch so, dass meine Firma von einer größeren, von Stölting, gekauft | |
wurde. Und dort musste ein Betriebsrat gegründet werden. Erst war ich nur | |
Wahlhelferin, ich hatte ja ein Auto. Und ich konnte gut reden, da habe ich | |
kein Problem mit. Ich war aber dann immer nur stilles Mitglied. Mit zwei | |
Kindern hast du keine Zeit und ich habe ja von 15 bis 21 Uhr gearbeitet. | |
Alles, was so politisch passiert, passiert aber um 18 Uhr. Dann kam aber | |
dieses Schlüsselerlebnis: Eine Objektleiterin hat eine ältere Dame über den | |
Tisch gezogen. Sie hat sie madig gemacht, gesagt, dass sie dreckig ist, die | |
Arbeit nicht schafft. Damit hat sie die Frau dazu gebracht, dass die einen | |
Aufhebungsvertrag unterschrieben hat und mit ihrer Unterschrift auf alle | |
ihre Rechte verzichtet. | |
Da habe ich gesagt: So. Das passiert in dieser Firma nicht mehr! Ich hab | |
mich von da an betriebsratsmäßig ziemlich eingebracht und wurde dann auch | |
Betriebsrätin, so vor zehn Jahren, ich war etwas über vierzig. Auch der | |
Bezug zur IG BAU wurde dann intensiver. Ich war bei politischen | |
Veranstaltungen, bei den Ortsverbänden, habe Gesetzesbücher gelesen, | |
Arbeitsrecht, Tarifrecht, und viele Grundlagen bei den Frauen in der IG BAU | |
gelernt. Die geben Seminare, auch in Rhetorik. Aber ich hatte ja immer | |
meine eigene Schnauze und meine Lebenserfahrung, die auch sehr nützlich | |
ist. Ich fing bald an, mich mit Politikern anzulegen, mit dem Bürgermeister | |
anzulegen. Und ich wollte die Gebäudereinigung hochbringen. Denn es musste | |
ja mal klargemacht werden, dass wir nicht Menschen zweiter Klasse sind, nur | |
weil wir anderer Leute Toiletten sauber machen. | |
Und 2004 kam der Super-GAU von Rot-Grün: die Gesetzesänderung in der | |
Leiharbeit! Unternehmer durften jetzt Leiharbeiter auch dauerhaft | |
beschäftigen, zu Dumpinglöhnen und natürlich ohne die üblichen | |
Arbeitnehmerrechte. Da wurden gleich nach Inkrafttreten im Januar überall | |
konzerneigene Leiharbeitsfirmen gegründet, die dann die eigenen Leute zu | |
den schlechteren Konditionen bei sich neu eingestellt haben. Auch jede | |
Gebäudereinigungsfirma hat da natürlich mitgespielt. Sie haben die | |
Arbeitsverträge einfach nur umgeschrieben. Ich habe da was erlebt, als | |
Betriebsrätin, das kannst du dir nicht vorstellen! Bei uns in der Firma | |
haben sie Arbeitsverträge verschickt zum Unterschreiben, nur mit Namen | |
drauf. Haben es begründet mit Steueränderungen. Innerhalb von zwei Tagen | |
sollten die unterschrieben zurückgeschickt sein, sonst, so hieß es, kann | |
die Lohnabrechnung nicht erfolgen. Dann hätten sie nur noch den Stempel der | |
Leiharbeitsfirma draufdrucken müssen, fertig. 2 Euro weniger Stundenlohn. | |
Das lief alles am Betriebsrat vorbei. Ich sage: Wat denn?! … Das is ja | |
kriminell! Dann haben wir ein Gerichtsverfahren geführt, haben es gewonnen | |
und alle unterschriebenen Verträge waren nichtig. Ich habe eine | |
Betriebsversammlung einberufen und zu den Weibern gesagt: Wehe, wenn ihr | |
noch mal so was unterschreibt! Zwei Drittel der Belegschaft hatte | |
unterschrieben. Aber weil alle Gebäudereinigungsfirmen ja Leiharbeitsfirmen | |
gegründet hatten, mussten wir dann bei den Tarifverhandlungen zurückgehen, | |
weil wir da lohnmäßig unterboten wurden. Wir haben 10 Prozent unseres | |
Lohnes eingebüßt, zwei Tage Urlaub für Neubeschäftigte und 85 Prozent | |
Jahressondervergünstigungen. Ich war gegen die Absenkung, eine winzige | |
Mehrheit, aber der Vorstand hat anders entschieden. Und da fing mein Kampf | |
an in der Bundesfachgruppe der IG BAU. Der Vorstand war einfach nicht | |
kämpferisch genug. Ich bin mit meiner alten Möhre von Frankfurt nach Hause | |
gefahren und hatte sooo eine Wut! Dann habe ich mich eingesetzt, bin auch | |
in den Vorstand gewählt worden und habe gegen die angekämpft, fast drei | |
Jahre, wurde ins Fernsehen eingeladen und alles. Mein Bekanntheitsgrad ist | |
gewachsen und letztendlich bin ich in die Schlacht gegangen, habe | |
kandidiert und wurde zur 1. Vorsitzenden gewählt. Der Vorstand wurde | |
ausgetauscht. | |
Es hat dann eine Weile gedauert, mal war Nullrunde, mal was anderes, aber | |
dann, 2009, wollten sie uns wieder mal nichts zahlen, uns abfinden mit 1,8 | |
Prozent Lohnerhöhung. Es hieß ,Wirtschaftskrise'. Aber die Gebäudereinigung | |
hat sich die Taschen voll gemacht und erzielte, dank unserer Arbeit, bis zu | |
20 Prozent Gewinne. Wir haben verhandelt, im September sollten die | |
Tarifverträge auslaufen und auch der Schutz des Mindestlohnes! Wir haben | |
uns zu einem bundesweiten Arbeitskampf gerüstet. | |
Die Frauen zu überzeugen, was zu koordinieren, das war schwierig. Viele | |
haben Angst, haben befristete Verträge, putzen morgens um 5 oder nachts um | |
12, und Zugang habe ich offiziell auch nur zu den Innungsbetrieben. Wir | |
haben einen Arbeitskampf der ,Nadelstiche' gemacht, zwei Tage gestreikt im | |
Krankenhaus, aber bis die Firma Ersatz organisieren konnte, waren wir schon | |
wieder da. Die Krankenschwestern haben uns ab da gegrüßt. Das war uns sehr | |
wichtig, denn man schaut auf uns runter, denkt immer, Putzen sind doof. | |
Aber zum Beispiel in meiner Firma, hat mindestens jede zweite Frau einen | |
qualifizierten Berufsabschluss. Und wenn nicht, auch nicht schlimm, wie man | |
an mir sieht! Es gab jedenfalls eine richtige Sympathiebewegung. Pförtner | |
in manchen Werken haben sogar die Streikbrecher nicht aufs Werkgelände | |
gelassen, weil sie keine Sicherheitsausweise hatten. | |
Oder es wurden auch alle Schlüssel von den Putzkammern vertauscht und die | |
Ersatzkräfte mussten wieder nach Hause gehen. Wenn du so einen Arbeitskampf | |
hast, dann brauchst du Wut, Stärke, Hass und auch List. Die Weiber haben | |
sich amüsiert über die Doofheit der Arbeitgeber, haben sich auch | |
gegenseitig mitgezogen, wenn eine ängstlich war, grade bei den Befristeten. | |
Das war wie so ne Welle. Das war ein Arbeitskampf der Frauen. 90 bis 95 | |
Prozent waren Frauen. Also die haben die Arbeitgeber richtig vorgeführt. Du | |
machst dir kein Bild da drüber. | |
Und dann war ein Schlüsselerlebnis eine Einladung vom ZDF, | |
,Frühstücksfernsehen'. Vorher habe ich noch meinen Hausmeisterjob gemacht | |
und dabei ist mir so eine Parkstange auf den Fuß gefallen. Trümmerbruch, | |
Gipsbein, Aus und Ende! Aber ich hab nach dem ersten Schreck einen | |
Fahrdienst organisiert, Rollstuhl, Krücken, einen Flieger. Zum ersten Mal | |
im Leben bin ich geflogen! Um fünf war ich dann in Berlin mit den | |
Streikenden auf der Straße, dann haben sie mich zum ZDF gebracht. Ich hab | |
mich auf die Couch gesetzt, hatte am Gipsbein ne rote Socke und unseren | |
Aufkleber "8,7 Prozent". | |
Die Moderatorin hat mich gleich angebiestert deswegen, da wusste ich, wie | |
es läuft. Sie fragte auch: ,8,7 Prozent in der Wirtschaftskrise?!' Die | |
gehen ja immer von ihren Gehältern aus, automatisch. Und ich habe ihr | |
erzählt, dass das 71 Cent sind für uns. 24 Cent wollten die Arbeitgeber | |
geben. Auf dem Gewerkschaftstag habe ich das mal mit nem Brötchen in dieser | |
Preisklasse begreiflich gemacht. Ich habe ein kleines Stückchen abgebissen | |
und gesagt: Das wollen die Arbeitgeber uns zahlen! Ich bin kein politischer | |
Redner, aber zehn Sätze, die das Gehirn aufnehmen kann, die müssen sitzen. | |
Und originelle Ideen müssen her und umgesetzt werden. Es gab z. B. eine | |
Putzolympiade im Arbeitskampf, Klobürstenweitwurf, wer hat den ersten Eimer | |
voll usw. 500 bis 600 Putzfrauen. Du musst dir vorstellen, auf einmal war | |
alles Ängstliche weg, alle waren selbstbewusst und haben gelacht. Es war | |
geil! Dann hat auch Sat.1 berichtet, Vox, RTL. Ich habe zu einem Reporter | |
gesagt: Gucken Sie mal, wie viele Frauen hier sind, wie viele bundesweit im | |
Streik sind und jede Frau macht in der Stunde 400 qm sauber! Jetzt können | |
Sie sich vorstellen, wie viel Quadratmeter morgen und übermorgen dreckig | |
bleiben. Und die Arbeitgeber haben vor Wut in die Tischkante gebissen. Sie | |
sind von der Presse dann auch wirklich geschlachtet worden. | |
Gut, letztendlich kamen dann nur 4,9 Prozent im Westen und 6,3 im Osten | |
raus. Aber das tolle Ziel, Mindestlöhne für 860.000 Gebäudereiniger, das | |
war erreicht! Wir haben eine Wegegeld-Regelung und wir haben eine | |
Altersvorsorge-Regelung. Auf jeden abgesparten Euro gibt der Arbeitgeber 23 | |
Cent drauf. Gut, die spart er auf den Cent an Steuern wieder ein, aber wir | |
haben diese Sachen innerhalb von zehn Tagen durchgekriegt. Man kann schon | |
sagen, das war nach Jahrzehnten der erste gewonnene Arbeitskampf. Und ich | |
habe ja mehrere Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern mitgemacht, und bei | |
diesen letzten Verhandlungen, musst du dir vorstellen, da hatten sie nicht | |
mehr dieses herablassende Belächeln im Gesicht." | |
Ich bitte sie noch um einige Beispiele der Arbeitsbedingungen von | |
Putzfrauen. "Also in einem Chemiewerk haben früher 43 Frauen festangestellt | |
geputzt, heute müssen dieselbe Fläche 14 Frauen mit 400-Euro-Jobs putzen. | |
Beispiel Krankenhaus: Früher haben 2 Putzfrauen eine Station geputzt, waren | |
vom Krankenhaus angestellt. Dann kam das auf mit den | |
,Servicegesellschaften' oder richtiger gesagt, Leiharbeitsfirmen. Die | |
Krankenhäuser haben ,Tochtergesellschaften' gegründet, wo sie Stammpersonal | |
hin verlagert haben, von der Krankenschwester bis zur Putzfrau, um es dann | |
an sich selbst zu verleihen. Senkung der Personalkosten, Erhöhung der | |
Gewinne, 18 Prozent weniger Steuern! So. Oder sie haben sich | |
Gebäudereinigungsfirmen reingeholt. Egal. Das hat jedenfalls dazu geführt, | |
dass man immer engere Zeitvorgaben macht und an die Leistungsgrenzen der | |
Frauen geht. Im Schnitt hat eine Reinigungskraft 3,5 Minuten für ein | |
Krankenzimmer, inkl. Nasszelle, Waschbecken, Dusche, WC. Richtig! Das geht | |
gar nicht. Aber sie macht es, putzt, was sie drüber ist an Zeit, auf ihre | |
eigenen Kosten. Und wenn sie vorne eincheckt, zu ihrem Putzraum geht, ihren | |
Wagen fertig macht und dann auf die Etage fährt, dann gilt das als | |
,Rüstzeit' und ,Rüstzeiten' werden nicht bezahlt. Solche Missstände gibt es | |
überall. Eine Hygieneschwester hat mir mal gesagt, der Kostendruck ist | |
derart stark, ich mache meine Prüfungen eher nicht so genau. | |
So nimmt der Druck immer weiter zu. Alle zwei Jahre wird der Auftrag neu | |
ausgeschrieben, die Reinigungsunternehmen unterbieten sich gegenseitig und | |
das wird dann wieder bei uns abgezwackt, indem sie mehr Leistung | |
draufpacken. Du bist ne Ware und wirst verkauft! Und wenn du zur | |
Objektleiterin nicht lieb bist, teilt sie dich in besonders | |
arbeitsaufwendige, schmutzige oder weit entfernte Objekte ein. Aber klar. | |
Die wird natürlich auch ausgeplündert. So eine Objektleiterin mit 40 | |
Stunden, die wirst du immer 60 Stunden am Arbeiten haben, bleibt ihr ja nix | |
anderes übrig. Jeder hat Angst um seinen Job und legt sich krumm auf eigene | |
Rechnung. Deshalb verstehst du vielleicht auch, weshalb das mit den | |
Befristeten so schlimm ist. In der Gebäudereinigung wird jeder befristet | |
eingestellt. Jeder! Außer bei uns in der Firma, da gibt es eine | |
Betriebsvereinbarung. Meine Frauen haben Kündigungsschutz! Unser Chef war | |
so angepisst vom Arbeitskampf, dass er gesagt hat: ,Gut, Frauen, ich mach | |
das, ich zahl das.' Sonst ist die Regel die, dass jeder Arbeitnehmer in den | |
ersten 2 Jahren befristet ist, d. h., er kriegt seinen Arbeitsvertrag nur | |
für 6 Monate, dann läuft der aus und kann, immer befristet, verlängert | |
werden. Oder auch nicht! Bei schlechter Auftragslage kann die Firma auch | |
befristen. Und dadurch bist du natürlich total erpressbar, machst alles und | |
hältst die Fresse. Mein Kampf gilt diesen befristeten Arbeitsverträgen! | |
Oder diese Scheiß-400-Euro-Jobs, es gibt ein Millionenheer von ,geringfügig | |
Beschäftigten', meist Frauen, die alle geringfügig bezahlt werden. Die | |
kriegen ja ihre Klebejahre nicht! Im Alter können sie durch die Finger | |
schaun. Wenns nach mir ginge, sollte man diese 400-Euro-Jobs sofort | |
abschaffen. Oder auch die Lohnbezuschussung für Arbeitslose, 50 Prozent | |
kriegen die Firmen für die Eingliederung eines Langzeitarbeitslosen. Aber | |
sie gliedern ihn nicht ein. Nach einem Jahr holen sie sich einen Neuen zum | |
,Eingliedern'. Das sind alles diese Schindludersysteme. Besonders übel ist | |
die Sache mit der Leiharbeit. Bei uns in der Branche gibt es zwar jetzt, | |
seit den Tarifabschlüssen im letzten Herbst, keine schlechter bezahlten | |
Leiharbeiter mehr, weil wir ja den Mindestlohn haben und die | |
Leiharbeitsfirmen den auch zahlen müssen. Aber sonst überall. Die Politiker | |
wissen schon, warum sie gegen Mindestlöhne sind! Also Leiharbeit ist die | |
größte Schweinerei, dies gibt. Sehr viele Großbetriebe, auch in der | |
Industrie natürlich, haben ihre eigenen Leiharbeitsfirmen. Die Arbeiter | |
werden vorn durchs Werkstor entlassen, hatten 18 Euro die Stunde, und | |
kommen hinten als Leiharbeiter wieder rein, mit 7,28 die Stunde! So. Und | |
als Leiharbeiter hast du kein Recht. Du hast im Arbeitsvertrag stehen, dass | |
du heute hier und morgen dort eingesetzt werden kannst. Für den Arbeitsweg | |
hast du selber aufzukommen und bei einem Stundenlohn von 7,28 fahr mal | |
täglich nach Köln! Kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld. Und helfen können | |
wir denen nicht. Die Betriebsräte sind erpressbar geworden, denn | |
Leiharbeiter gehören nicht zur ,Anzahl der Betriebsangehörigen', sie | |
dürfen, laut BAG-Urteil, bei der Bemessung der Betriebsratsmandate und | |
Freistellungen nicht mitgezählt werden. | |
So. Da hast du als Betriebsrat unter Umständen 1.000 Mitarbeiter auf dem | |
Werksgelände, aber zuständig bist du nur für die Hälfte! Leiharbeit war mal | |
dafür gedacht, in Stoßzeiten vorübergehend zusätzliche Arbeitskräfte | |
einzustellen, ohne weitere Verpflichtungen. So haben es die Politiker | |
erklärt. Aber nach den Gesetzesänderungen dürfen Leiharbeiter jetzt bis zur | |
Rente am selben Arbeitsplatz stehen. Bei Opel, glaub ich, hatten sie nicht | |
mal ne Garderobe und sie durften nicht in die Kantine, weil sie keine | |
Werksangehörigen sind. Also weißte! Und wem haben wir das alles zu | |
verdanken?! Mein schönstes Erlebnis war, als ich eingeladen war zur | |
Polit-Talk-Show von Maybrit Illner. Da habe ich diesem arroganten | |
Schweinepriester Clement ein paar vor den Bug geschossen. Nach der Sendung | |
hat er zu Illner gesagt, das lass ich mir nicht bieten, in Ihre Sendung | |
komme ich nicht noch mal. Und sie hat gesagt: Ach wissen Sie, Herr Clement, | |
Sie sind ja jetzt aus dem politischen Geschehen raus, wir hatten gar nicht | |
vor, Sie noch mal einzuladen. Der ist fast geplatzt, hat seine vier | |
Leibwächter gerufen, damit sie seinen Mantel holen, und ist abgerauscht. | |
Dieser feine Herr, der hat als Superminister unter Rot-Grün die | |
Leihsklaverei als sogenannte ,Zeitarbeit' gesellschaftsfähig gemacht und | |
sie auch noch als Bestandteil von Hartz IV reingedrückt! Was der für ein | |
Lobbyist war, der Schweinepriester, das hat er gezeigt nach seinem | |
Ausscheiden aus dem Amt. Er hat sich, wie Schröder und wie viele, als | |
Politiker sein Standbein für die Zukunft geschaffen. Jetzt sitzt er bei | |
Adecco, einer der größten Leiharbeitsfirmen der Welt, in der obersten Etage | |
im Aufsichtsrat. Die haben 500.000 Leiharbeitskräfte täglich im Angebot. Er | |
leitet für die irgendein Institut für Arbeitsforschung und macht da so | |
richtig Knete. | |
Gleichzeitig werden die kleinen Leute immer ärmer. Es werden ihnen jede | |
Menge Belastungen aufgebuckelt. Ich kannte eine alte Frau, die ihre | |
Herztabletten halbiert hat, weil sie die nicht finanzieren kann. Ich habe | |
viele ältere Frauen bei uns arbeiten, die Anrecht hätten auf diese | |
Dingsbumsrente da, Grundsicherung-Sozialhilfe. Die wollen nicht, die | |
schämen sich! Es wird ja auch überall Stimmung gemacht, wer Hartz IV | |
bezieht, ist eine faule Sau. Das ist die Masche. Nee, so nicht, so kanns | |
einfach nicht weitergehn! Irgendwann knurrt der Hund und dann wird er | |
bissig." | |
4 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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