# taz.de -- Zivilcourage in Halbe: Die Unruhe nach dem Sturm | |
> Im brandenburgischen Halbe soll heute ein Fest gefeiert werden - für | |
> Demokratie, gegen Nazis. Doch das Dorf hat kein Interesse: Nach | |
> jahrelangen Neonazi-Großaufmärschen wollen die Bewohner einfach nur ihre | |
> Ruhe. | |
Bild: Da durften sie noch marschieren: Neonazis 2005 in Halbe | |
Leichen, überall Leichen. Auf der Lindenstraße, in den Vorgärten, auf den | |
Feldern hinterm Dorf. Es sind diese Bilder, die Arnold Mosshammer von den | |
letzten Apriltagen 1945 in Halbe im Kopf hat. Noch immer. Und das | |
Übelkeitsgefühl, wenn sich ein verwesender Leichenhaufen plötzlich bewegte, | |
weil darunter doch noch jemand am Leben war. | |
Zwölf war Arnold Mosshammer, als die Wehrmacht im brandenburgischen Halbe, | |
30 Kilometer südlich vor Berlin, eines ihrer letzten Gefechte eröffnete - | |
die Kesselschlacht gegen die Rote Armee. Es war Hitlers letztes Aufgebot. | |
Am Ende lagen 60.000 Tote in Halbe - Wehrmachtsoldaten, Rotarmisten, | |
Zwangsarbeiter, Zivilisten. "Diese Bilder haben mein ganzes Leben geprägt", | |
sagt Mosshammer, ein freundlicher 76-jähriger Mann mit zurückgekämmten | |
weißen Haaren. "Nie, nie wieder darf so etwas passieren." | |
Mosshammer sitzt mit elf Mitstreitern an einem Mittwochabend im | |
holzgetäfelten Hinterzimmer des Alten Krugs. Von der Decke hängt | |
Plastikefeu, gegen die Scheibe prasselt Regen. "Halbe-Wetter", sagt einer. | |
Der Vizebürgermeister ist da, die Frau vom Aktionsbündnis Halbe, die | |
Jugendkoordinatorin, Vertreter der Umlandgemeinden aus dem | |
Schenkenländchen. | |
Es ist eines der letzten Gruppentreffen vor dem großen Demokratiefest im | |
Ort. Am heutigen Samstag wird es begangen, dem Vortag des Volkstrauertags. | |
Dem Tag, an dem die Nazis Anfang der Neunzigerjahre doch zurückkamen. Mit | |
jährlichen Großaufmärschen durch die 2.200-Seelen-Gemeinde, zu ihrem | |
"Heldengedenken". Denn nun liegt hier Deutschlands größter | |
Soldatenfriedhof. | |
Im "Alten Krug" geht es um Stände, um Kutschfahrten, Hüpfburgen und | |
Dixi-Klos. "Kriegen die vom Windpark auch einen Stand?", fragt einer. | |
"Wissen die Bürger, dass die Busse anders fahren?", erkundigt sich | |
Mosshammer. Vereine werden sich vorstellen, die Feuerwehr. Es soll ein | |
schönes Fest werden, ein Volksfest. Damit viele kommen. "Vielfalt tut gut | |
im Schenkenländchen", heißt ihr Motto. | |
Es gibt nur ein Problem: Im Dorf wollen viele das Demokratiefest gar nicht. | |
"Von den Leuten, die hier wohnen, geht da keiner hin", sagt eine | |
Mittvierzigerin, die seit 30 Jahren in Halbe wohnt. Rausgeschmissenes Geld | |
sei das, die Leute hätten andere Sorgen. "Ich bin nicht links oder rechts, | |
ich will einfach meine Ruhe." Auch der Lebensmittelverkäufer schüttelt den | |
Kopf: Genervt seien die Anwohner vom ständigen "Tamtam" im November. Wieder | |
komme man nicht von seinem Grundstück, wenn die Lindenstraße voller Stände | |
sei. "Vielleicht gehen die Lehrer von der Schule zu dem Fest, die müssen | |
ja." Einmal, sagt die Bäckerin, habe sie bei früheren Demokratieaktionen | |
den Laden geöffnet. Jetzt nicht mehr. "Hat nichts gebracht, die kamen ja | |
mit ihren eigenen Wagen, Bratwurst und so." | |
Laub weht über Halbes Straßen an diesem Novembertag, pünktlich um 18 Uhr | |
lassen die Geschäfte die Rollläden runter. Nur ab und an tritt jemand auf | |
den Bürgersteig, auf dem Weg zum Laden oder zum Briefkasten. Auch der | |
Waldfriedhof ruht verlassen am Ortsrand, endlos reihen sich Grabplatten für | |
den "unbekannten Kriegstoten" unter schweren Kiefern aneinander, die Bäume | |
knarren im Wind. Es ist diese Ruhe, die sich die Halber nicht nehmen lassen | |
wollen. Schon gar nicht von der Politik. | |
Auch als in den Neunzigern die Nazis kamen, als nach einer Pause ab 2003 | |
bis zu 1.800 Rechtsextreme durchs Dorf marschierten, zogen die Halber die | |
Gardinen zu. "Im Haus bleiben und warten, bis es vorbei ist", erinnert sich | |
ein Anwohner. "Man kam ja eh nicht raus, mit der ganzen Polizei." | |
Eingereiht in den Zug hätten sich nur ein paar Jugendliche, berichtet eine | |
66-Jährige. "Von den Jungen sind hier doch einige rechts." | |
Aus der ganzen Republik reisten Neonazis an zum "Heldengedenken". Es waren | |
gespenstische Szenen: Schweigend marschierten hunderte Rechte über die | |
Lindenstraße, schwarz gekleidet, mit gesenkten schwarz-weiß-roten Fahnen, | |
mit Wagnermusik, Fackeln und Trommeln. Vor dem Friedhof legten sie Kränze | |
zu Ehren von SS-Divisionen ab. Anfangs, erinnert sich Halbes parteiloser | |
Vizebürgermeister Michael Schnieke, seien auch Frauen mit BDM-Uniformen | |
aufmarschiert. Dann hätten Neonaziordner den Waldfriedhof abgeschirmt, auch | |
vor der Polizei, um sich zum Hitlergruß zu postieren. "Da hatte ich den | |
Glauben an die Demokratie verloren", sagt Schnieke, ein praktischer Mann in | |
olivfarbener Weste. | |
Schnieke, Betreiber eines Reisebüros, und Mosshammer begannen sich zu | |
engagieren. Andere auch. 2003 entstand das Aktionsbündnis "Halbe gegen | |
Heldengedenken". Hundert Leute kamen zur ersten Kundgebung, erinnert sich | |
ein Gründungsmitglied, die frühere Linken-Landtagsabgeordnete Karin Weber. | |
Eingekesselt von der Polizei, angepöbelt von den Nazis. Drei Jahre später, | |
2006, waren sie 8.000. Von überall aus der Mark und Berlin kamen | |
Gegendemonstranten. Nur die meisten Halber blieben in ihren Häusern. | |
Das Bündnis weiß um die Schwierigkeiten, die Halber auf ihre Seite zu | |
ziehen. "Natürlich haben die Leute die Schnauze erst mal voll, wenn ihr | |
Dorf regelmäßig zur Sperrzone wurde", sagt Vizebürgermeister Schnieke. "Und | |
wer engagiert sich heute schon noch für Demokratie?" Inzwischen würden sich | |
viele Halber aber wieder öffnen. Am Tisch im Alten Krug allerdings fehlen | |
junge Mitstreiter, die meisten der Organisatoren sind grau beschopft. | |
Trotzdem ist Karin Weber optimistisch. "Anfangs waren wir nur als Bündnis | |
aktiv, heute organisieren die Gemeinden von sich aus das Fest." | |
Ein Erfolg, auch weil seit 2006 keine rechtsextremen Großaufmärsche mehr | |
durchs Dorf zogen. Der brandenburgische Landtag hatte per Gesetz | |
Versammlungen an Gräberstätten untersagt, der Waldfriedhof Halbe wurde zur | |
Bannmeile. Ein Jahr zuvor hatten 2.000 Gegendemonstranten die Lindenstraße | |
blockiert. Die 1.800 Neonazis versauerten am Bahnhof, zogen frustriert ab. | |
Auch Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und der damalige | |
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) kamen. Dann war der Spuk vorbei. | |
Vorerst. | |
Denn Schnieke, Weber, Mosshammer und die anderen trauen dem Frieden nicht. | |
"Solange es den Friedhof gibt, werden die Rechten ihren Blick immer wieder | |
nach Halbe richten", sagt Mosshammer. Und die Neonazis haben vorsorglich | |
bis 2020 Aufmärsche in Halbe angemeldet. Deshalb das Demokratiefest, mitten | |
auf der Lindenstraße, damit dort kein Nazi marschieren kann. Und auch um | |
aus dem Trauma etwas Produktives erwachsen zu lassen. 2.500 Bürger kamen im | |
letzten Jahr zur Erstauflage des Festes. Diesmal sollen es noch mehr | |
werden, hofft die Runde im Alten Krug. | |
Es ist auch ein Kampf um Deutungshoheiten, um das richtige Gedenken. Weber | |
findet, am Volkstrauertag gebe es nichts zu deuteln. Jedes Jahr steht sie | |
an dem Tag auf dem Friedhof. Auch diesmal will sie da sein, am Sonntag nach | |
dem Fest. "Da geht es nicht um Helden, sondern um Menschen, die tot sind", | |
sagt Weber. "Und die sind zu betrauern." | |
Es sind meist die Alten, die sich aufraffen. Er werde zum Fest gehen, sagt | |
ein 72-Jähriger, der vor seinem Haus Laub zusammenkehrt. Sein Leben lang | |
habe er hier gelebt, im April 1945 war er sechs Jahre alt. Auch er hat die | |
Leichen gesehen. "Das sind Bilder, die sich einbrennen." Halbe stehe nicht | |
für Helden, sondern für Leid. Darüber wüssten die Neonazis heute doch gar | |
nichts. "Wir können nur froh sein, wenn die nicht mehr kommen." | |
Ein Stück die Lindenstraße herunter steht vor dem Elektroladen einer im | |
Blaumann. "Eins muss man ja sagen", hebt der 50-Jährige an. "Die Rechten | |
haben sich anständig und ordentlich verhalten, Dreck haben eher die Linken | |
hinterlassen." Dass "die" jetzt mit ihrem Demokratiefest "ihren Sieg" | |
feiern wollen, sei nicht in Ordnung. Er selbst sei ja auch ein bisschen | |
rechts, sagt der Mann. "Es gibt eben zu viele Ausländer in Deutschland." 9 | |
Prozent der Halber Bürger haben bei der Bundestagswahl 2009 NPD gewählt. | |
Vizebürgermeister Michael Schnieke weiß auch, wie viele Ausländer in Halbe | |
leben: kein einziger. | |
12 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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