# taz.de -- Weggesperrt und ausgegrenzt | |
> TRADITION Im ehemaligen Kloster Blankenburg waren über Jahrhunderte | |
> psychisch kranke und behinderte Menschen unter miserablen Umständen | |
> untergebracht | |
Wie in die Landschaft gewürfelt liegt das einstige Kloster am östlichen | |
Stadtrand Oldenburgs. Die langgezogene Zufahrt führt durch Weideland und | |
Felder. An das Gelände grenzen ein Wald und ein kleiner See. Ruhig ist es. | |
Selten kommt jemand zufällig vorbei. Passend für ein Kloster, aber auch | |
sehr gut geeignet, um Menschen fernab der allgemeinen Aufmerksamkeit zu | |
isolieren. „In der ländlichen Abgeschiedenheit am Huntedeich konnten | |
Menschen unauffällig asyliert, drangsaliert, deportiert und getötet werden, | |
ohne dass sich der Öffentlichkeit viele Möglichkeiten boten, davon Notiz zu | |
nehmen“, schreibt Ingo Harms von der Universität Oldenburg in seinem 2011 | |
erschienenen Buch „Biologismus“. Schon vor der Entstehung der umstrittenen | |
Langzeitpsychiatrie litten dort über Jahrhunderte Menschen. | |
Ursprünglich im 13. Jahrhundert als Dominikanerinnenkloster gegründet, | |
wurde Blankenburg ab dem 18. Jahrhundert zur Pflegeanstalt für psychisch | |
kranke, behinderte, aber auch pflegebedürftige und gebrechliche Menschen. | |
Damals war es neben der Einrichtung in Wehnen und dem Gertrudenheim eine | |
von drei Psychiatrien im Großherzogtum Oldenburg. In Blankenburg landeten | |
jene, deren Anwesenheit für die übrigen Bürger der Stadt als unzumutbar | |
galt – Ausgrenzung an den Rand der Stadt und der Gesellschaft. | |
Darin spiegelt sich laut Ingo Harms das Gedankengut des Sozialdarwinismus | |
wider. Für viele Bewohner hatte es tödliche Folgen. Sie starben an | |
Vernachlässigung und Misshandlung, aber auch an Hunger. Vor allem im ersten | |
Weltkrieg und kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten konnte | |
Harms eine hohe, teils gewollte Sterblichkeitsrate nachweisen. So habe die | |
Verwaltung der oldenburgischen Psychiatrien und Pflegeheime die | |
Lebensmittel absichtlich verknappt. „Den mit ihrer Pflege betrauten Ärzten, | |
Pflegern und Verwaltungsbeamten fiel es nicht ein, die Versorgung der | |
Zivilbevölkerung oder gar der kämpfenden Truppe zugunsten solcher | |
‚Ballastexistenzen‘ zu beschneiden.“ Im Herbst 1941 führten die | |
Nationalsozialisten 220 der damals 285 Bewohner der Euthanasie zu, knapp | |
die Hälfte von ihnen waren Kinder und Jugendliche. Sie wurden nach Erlangen | |
in das Kloster Kutzenberg deportiert. Die meisten wurden dort ermordet. | |
Damit war die Geschichte der Ausgrenzung auf dem Gelände noch nicht | |
beendet. Nachdem Blankenburg zwischenzeitlich unter anderem als | |
Tuberkuloseklinik gedient hatte, pachtete die Städtische Nervenklinik | |
Bremen 1956 das Gelände und richtete eine Langzeitpsychiatrie mit | |
Isolierstation ein. Ein großer Teil der Patienten wurde zwangseingewiesen, | |
entmündigt und isoliert. Viele entwickelten Hospitalismus. Im Durchschnitt | |
lebten sie 13 Jahre lang in der Einrichtung, schreibt Psychotherapeut Jan | |
Glasenapp in seinem Buch über die Desinstitutionalisierung der | |
Behindertenhilfe. | |
1981 beschloss der Bremer Senat, die Klinik im Zuge der Psychiatriereform | |
aufzulösen und die Patienten in eigenen Wohnungen unterzubringen. Statt sie | |
zu isolieren, wollten sie die Verantwortlichen „gemeindenah“ inmitten der | |
Gemeinschaft unterbringen. Ingo Harms bezeichnet das als eine „Pioniertat“. | |
Sieben Jahre später zogen die letzten Bewohner in betreute | |
Wohngemeinschaften in Bremen. Die Klinik Blankenburg mit rund 300 Plätzen | |
und eine Außenstelle mit 90 Plätzen waren Geschichte. | |
Möglich war das auch durch die Zusammenarbeit mit Bremer Institutionen der | |
Behindertenhilfe, die Menschen aufnahmen und sich zur Kooperation | |
verpflichteten. Auch Studierende der Universität Oldenburg, ehemalige | |
Patienten und Pfleger begleiteten diesen Prozess, indem sie Kreativkurse | |
anboten, damit die über Jahre vernachlässigten Bewohnern sich wieder selbst | |
ausdrücken konnten. Aus dieser „Blaue Karawane“ genannten Bewegung ist das | |
Atelier Blaumeier in Bremen hervorgegangen, das bis heute Menschen mit und | |
ohne Behinderung oder Psychiatrieerfahrung in Kunstprojekten | |
zusammenbringt. | |
Bis heute ist die Geschichte Blankenburgs nicht im allgemeinen Bewusstsein | |
angekommen. Das Freifeld Festival, das sie im August thematisieren sollte, | |
wurde wegen inhaltlicher Differenzen mit dem Eigentümer, einer Oldenburger | |
Immobilienfirma, kurzfristig abgesagt. | |
Ab dem ersten November kommen, zum zweiten Mal nach der Unterbringung | |
zwischen 1990 und 2011, wieder Asylsuchende im Kloster unter. Es entsteht | |
dort eine neue Erstaufnahmestelle, die bis zu 600 Flüchtlinge beherbergen | |
soll. Manuela Sies | |
2 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Manuela Sies | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |