# taz.de -- Was alle wollen und was doch nicht kommt | |
> Seit sechs Jahren wird erbittert um die Frage gestritten, wie an | |
> lesbische Gefangene des KZ Ravensbrück erinnert werden soll. Jetzt gibt | |
> es eine – wiederum umstrittene – Entscheidung: Es gibt so lange kein | |
> Gedenken, bis sich alle einig sind | |
Bild: Krematorium im KZ Ravensbrück: vorn Frauenskulpturen von Will Lammert | |
Von Klaas-Wilhelm Brandenburg | |
Es ist ein trauriger Superlativ, der am ehemaligen Konzentrationslager | |
Ravensbrück haftet: größtes Frauen-KZ des damaligen Deutschen Reiches. | |
120.000 Frauen und Kinder waren zwischen 1939 und 1945 hier inhaftiert, | |
außerdem 20.000 Männer und 1.200 weibliche Jugendliche im von den Nazis so | |
genannten „Jugendschutzlager“ Uckermark, das zu Ravensbrück gehörte. Es | |
sind unvorstellbare Zahlen – zu groß, um auch nur annähernd das Grauen zu | |
erfassen, das sich sechs Jahre lang hier abgespielt hat. Doch während diese | |
Zahlen historisch gesichert sind, herrscht über andere völlige Unklarheit: | |
Wie viele der im KZ gefangenen Frauen liebten andere Frauen, wie viele | |
waren deshalb überhaupt im KZ? | |
Es sind diese Fragen, die seit Jahren für Streit sorgen – und zwar darüber, | |
wie man der lesbischen Frauen, die im Nationalsozialismus in | |
Konzentrationslager verschleppt wurden, angemessen gedenkt. Dabei sind sich | |
alle Beteiligten einig, dass es in Ravensbrück ein Gedenken geben soll, und | |
wissen auch schon, wie: mit einer Gedenkkugel. | |
Aber welcher Text auf dieser Kugel stehen soll, darüber gibt es bis heute | |
keine Einigung. | |
„Lesbische Beziehungen waren kein offizieller Grund, warum Frauen in | |
Ravensbrück inhaftiert waren“, meint Axel Drecoll, Direktor der Stiftung | |
Brandenburgische Gedenkstätten, die für Ravensbrück zuständig ist. Das sei | |
auch die Position der Fachkommission, die eines von zwei wichtigen Gremien | |
der Stiftung ist. Einige Historiker*innen dagegen betonen, dass lesbische | |
Frauen – anders als schwule Männer – von den Nazis zwar nicht wegen eines | |
konkreten Gesetzes verfolgt wurden, aber ihr Lesbisch-Sein ein Faktor war, | |
der dazu beitragen konnte, im KZ zu landen. | |
„Lesbische Frauen galten als ‚entartet‘ und wurden als ‚asozial‘, als | |
widerständig und verrückt und aus anderen Gründen verfolgt und ermordet“, | |
will darum die Initiative „Autonome feministische FrauenLesben aus | |
Deutschland und Österreich“ auf die Gedenkkugel schreiben – und hat es | |
sogar schon getan: Am 19. April vor drei Jahren legte sie zum 70. Jahrestag | |
der Befreiung Ravensbrücks eigenmächtig eine Kugel mit dieser Inschrift im | |
ehemaligen KZ nieder. Die Stiftung entfernte sie daraufhin, weil sie | |
offiziell nicht genehmigt war. Ein anderes Mahnmal ließ seitdem auf sich | |
warten. | |
Aber vor Kurzem schien es so, als habe dieses Warten endlich ein Ende. Der | |
internationale Beirat, neben der Fachkommission das zweite Gremium der | |
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, beschloss in seiner letzten | |
Sitzung mit einer Mehrheit von sechs zu vier Stimmen die Inschrift: „Den | |
lesbischen Frauen unter den Häftlingen der verschiedenen | |
Verfolgtengruppen“. Diese Inschrift ging auf einen Antrag des Lesben- und | |
Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD) zurück – davor hatte es in den | |
sechs Jahren der Debatte kein Antrag geschafft, eine Mehrheit für eine | |
Inschrift im Beirat zu bekommen. Trotzdem wurde der Antrag von der Stiftung | |
abgelehnt – und für den LSVD hagelte es Kritik. | |
## Heftige Auseinandersetzungen | |
Die kam vor allem von lesbischen Aktivistinnen, denn ihnen ging der | |
Textvorschlag nicht weit genug. Der Grund: Der LSVD akzeptiert die Sicht | |
der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und hat seine Zeilen | |
entsprechend formuliert, was in den queeren Communitys – also unter Lesben, | |
Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen – schon | |
vorher zu teils heftigen Auseinandersetzungen geführt hatte. Birgit Bosold, | |
Vorständin des Schwulen Museums in Berlin, stellt deshalb in Frage, „ob der | |
LSVD die richtige Organisation ist, die Interessen der queeren Communitys | |
in den Gremien der Gedenkstätten zu vertreten. Ich persönlich fühle mich | |
auf jeden Fall durch den LSVD nicht vertreten.“ | |
Die Zerwürfnisse in der queeren Szene führt die Stiftung Brandenburgische | |
Gedenkstätten wiederum als einen Grund an, warum sie den Antrag des LSVD – | |
obwohl er im Stiftungsbeirat eine Mehrheit bekam – abgelehnt hat: „Solange | |
es keinen Konsens der Antragssteller über die Inschrift gibt, sondern | |
weiter darum gestritten wird, wollen wir keine Inschrift beschließen“, so | |
Stiftungsdirektor Axel Drecoll. So habe es auch die Fachkommission | |
empfohlen. Dass es keinen Konsens gab, habe sich allein schon durch eine | |
Sache ganz deutlich gezeigt: „Neben dem Antrag des LSVD gab es vier | |
weitere.“ Alle wollten eine andere Inschrift als die des LSVD, alle wurden | |
– genauso wie der Antrag des LSVD – von der Stiftung abgelehnt. | |
„Natürlich hat das Wort des Beirates sehr hohes Gewicht“, erklärt Drecoll. | |
„Aber die Entscheidung trifft die Stiftung.“ Der Beirat habe nur beratende | |
Funktion, genauso wie die Fachkommission. Auch diese Kommission sei ein | |
Grund für die Ablehnung des LSVD-Antrags gewesen, denn sie hatte sich für | |
eine andere Inschrift ausgesprochen: „Den lesbischen Frauen aller | |
Haftgruppen.“ – „Obwohl die Formulierung der Fachkommission auf den ersten | |
Blick der des LSVD sehr ähnlich ist, meint sie doch etwas anderes“, so | |
Drecoll – was gerade bei einem so sensiblen Thema von großer Bedeutung sei. | |
„Sich jetzt an diesen Begrifflichkeiten aufzuhängen, ob es ein Gedenken | |
gibt, halte ich für vorgeschoben“, meint dagegen Jörg Steinert, | |
Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg. „Es gibt keine inhaltliche | |
Differenz zwischen Fachkommission, Beirat und LSVD.“ | |
Die Konsequenz des LSVD aus der Ablehnung seines Antrags: Er zog ihn | |
zurück. „Die Debatte könnte noch jahrelang geführt werden, weil die | |
Stiftung die Mehrheitsentscheidung des eigenen Beirates nicht eins zu eins | |
umsetzen will“, fürchtet Steinert. Der LSVD wolle aber nach sechs Jahren | |
Debatte nun endlich eine Lösung: „Wir lassen uns von der Stiftung nicht als | |
Scheinargument vorschieben.“ Jetzt sei die Stiftung am Zug. | |
## Denkpause scheint angeraten | |
Die Stiftung sieht allerdings den Ball im Spielfeld der verschiedenen | |
Antragsteller*innen und rät zu einer „Denkpause“, wie Axel Drecoll sagt: | |
„Wir fordern die Initiativen auf, sich auf einen Widmungstext zu | |
verständigen, der den bisherigen Diskussionsprozess berücksichtigt.“ Die | |
Stiftung wolle das Thema weiter bearbeiten und plane perspektivisch eine | |
Ausstellung über lesbische Gefangene im KZ – wie schnell, ist allerdings | |
offen: „Wir müssen uns jetzt erst mal mit den Fragen auseinandersetzen, wie | |
wir so eine Ausstellung konzipieren und was für ein Begleitprogramm | |
möglicherweise dazukommen könnte.“ Auch die Finanzierung sei noch nicht | |
geklärt. | |
Es gibt also noch viele offene Fragen – zum Beispiel, ob eine Ausstellung | |
dafür sorgen kann, dass sich bisher unversöhnlich gegenüberstehende Akteure | |
plötzlich an einem Strang ziehen. Dagegen spricht nicht nur der jahrelange | |
Streit, sondern auch Entwicklungen in der jüngsten Vergangenheit. So wurde | |
Mitte Oktober eine interne E-Mail des LSVD geleakt. Die ist zwar schon ein | |
Jahr alt, ihr Inhalt aber trotzdem explosiv: Denn in ihr nennt Ulrich | |
Keßler, der im Vorstand des LSVD Berlin-Brandenburg sitzt, einige | |
Aktivistinnen, die sich seit Jahren für eine Gedenkkugel einsetzen, | |
Krawalllesben. | |
Mitglied des LSVD-Vorstands ist Keßler trotzdem bis heute. „Ulrich Keßler | |
hat diese Äußerungen schon vor über einem Jahr bedauert, und damit ist | |
angemessen darauf reagiert worden“, meint LSVD-Geschäftsführer Jörg | |
Steinert. Ohnehin könne Steinert Keßler nicht absetzen, denn der Vorstand | |
wird demokratisch von der Mitgliederversammlung des LSVD gewählt – oder | |
eben abgewählt. Und Steinert betont: „Ulrich Keßler wurde auf der letzten | |
Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit im Amt bestätigt.“ Die allerdings | |
war lange vor der Veröffentlichung der Mail. | |
Wenn Keßler auf der kommenden LSVD-Mitgliederversammlung erneut | |
wiedergewählt wird, könnte das also für den nächsten großen Zoff sorgen. | |
Dabei hinterließ schon der aus der Mail und ihrer Veröffentlichung | |
entstandene „Krawalllesben-Streit“ tiefe Klüfte zwischen den verschiedenen | |
queeren Communitys. Das alles dürfte eine Einigung über das Gedenken in | |
Ravensbrück nicht leichter machen oder gar wahrscheinlicher. | |
Wenn sich an der verfahrenen Lage nichts ändert, ist wohl nur eines sicher: | |
Bis eine Gedenkkugel für lesbische Gefangene in Ravensbrück kommt, werden | |
noch Jahre vergehen – und das, obwohl sie eigentlich alle wollen. | |
3 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaas-Wilhelm Brandenburg | |
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