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# taz.de -- Voll auf Neurotransmittern
> Optimales Drogenlevel: Die Autorin Rebekka Kricheldorf hat
> Wissenschaftler*innen bei der Arbeit beobachtet. Entstanden ist daraus
> das anregende, aber auch anstrengende Theaterstück „Das Haus auf Monkey
> Island“, das nun in Oldenburg uraufgeführt wurde
Bild: Kricheldorf macht die Wissenschaftler*innen zu Laborobjekten ihrer eigene…
Von Jens Fischer
Nun ist er deutlich über 50 Jahre alt, der Soziologe Hannes: Er hat zwar
noch so eine 68er-Mähne, will sich aber nicht länger als verwegener
Abenteurer der sexuellen Befreiung und antikapitalistischen Aufklärung
feiern. „Ich verlasse alle zwei Jahre meine jeweilige Freundin, weil ich
mich neu verliebe. Und zwar in exakt dasselbe Modell, nur ein paar Jahre
jünger“, resümiert er selbstkritisch. Hannes fragt, wie sein Leben gelaufen
wäre, wenn er selbst seine Lebensabschnittsgefährtinnen ausgewählt hätte
und nicht das Belohnungszentrum seines Gehirns.
Mit diesem Stichwort ist er mitten im Thema der jüngsten Uraufführung eines
Rebekka-Kricheldorf-Stücks. In „Das Haus auf Monkey Island“ hat es Hannes
verschlagen, eine Hightech-Villa auf einer philippinischen Insel. Dort
sollen Werbefuzzi Andre, der ständig chaotisiert, Neurowissenschaftlerin
Ann, die ständig strukturiert, Psychologin Kristina, die ständig
moralisiert, und eben Hannes, der ständig ironisiert, eine
Marketing-Strategie entwickeln für In-vitro-Fleisch – das zweite Thema des
Abends.
## Glückshormon-Junkies
Es ist ja längst möglich, omnipotente Stammzellen von Tieren so zu
programmieren, dass sie Muskelgewebe, also Fleisch produzieren. Bald könne
man diese Wundermanufakturen „in Teebeuteln kaufen und sich sein Schnitzel
zu Hause selbst züchten. Im Meat-Maker! Froschburger gefällig?
Krokodil-Leguan-Steak? Alles machbar“, behauptet Kristina. Schluss mit
Tierfolter, Welthunger, Klimawandel? „Die Zukunft gehört der
Postanimalischen Bio-Ökonomie“, verkündet das Bühnenquartett beim
Brainstorming-Meeting.
Wobei als Zuschauer zu beachten ist: Das Verhalten der Figuren wird nicht
psychologisch entwickelt, sondern neurophysiologisch erklärt. Sie sind
Laborobjekte ihrer eigenen Theorien. Mit steriler Klarheit inszeniert
Matthias Kaschig das am Staatstheater Oldenburg in einem abstrakt weißen
Raum. Helen Wendt, Caroline Nagel, Thomas Birklein und Johannes Schumacher
geben klischeelustige Typen, die die Künstlichkeit des Mixes aus
Wissenschafts- und PR-Sprech betonen sowie mit hohem, für die
Verständlichkeit häufig zu hohem Tempo den Schlagabtausch der Argumente
abarbeiten.
Zu erleben ist dabei, wie sich Geistesarbeiter aus unterschiedlichen
Bereichen in einer abgeschotteten Idylle dezent näherkommen, während sie
miteinander arbeiten. Kricheldorf kennt das. Zur Vorbereitung des Stücks
war sie vier Monate ins Fellowship-Programm vom Hanse-Wissenschaftskolleg
(HWK) geladen, eine Stiftung der Länder Niedersachsen und Bremen, die immer
wieder neu 20 Fachleute aus den Gebieten Neurobiologie, Meeresforschung,
regenerative Energien und Gesellschaftswissenschaften für einige Monate
nach Delmenhorst holt, wo sie zusammen mit Künstlern leben und
projektorientiert arbeiten. „Selten miteinander“, so hat es die Autorin
erlebt, „im bunt zusammengewürfelten Haufen geht jeder seiner Forschung
nach, der Austausch über Weltbilder und Seinsweisen findet eher abends
privat bei Rotwein statt“.
Sie selbst habe vor allem in der HWK-Bibliothek recherchiert und viel
gelesen über das Belohnungssystem, um in ihrem populärwissenschaftlichen
Drama-Seminar auch die Perversion des Neuromarketings darstellen zu können.
Nicht faktische Vorteile eines Produktes sollen dabei beworben, sondern
Gehirnstrukturen potenzieller Kunden manipuliert werden, auf dass
Glückshormonausschüttungen sie zu Junkies dieses Produktes machen.
Daraus entwickelt die Autorin den Bühnendiskurs – als Abgesang auf das
Vernunftwesen Mensch. Gelte doch für ihn „in dubio pro Lustprinzip“ – je…
sei ein unverbesserlicher, sich zu Tode amüsierender Hedonist, behauptet
Hannes. Auf die schnellstmögliche Befriedigung werde Handeln ausgerichtet.
Um den „körpereigenen Drogenhaushalt auf optimalem Level zu halten“,
erklärt Kristina, „grapscht der Mensch wie ein Kind nach dem Nächstbesten,
das am meisten Spaß macht. Alles, was dieses berechenbare, gierige Vieh
will, ist, an guten Stoff zu kommen. Es wird Sportler, weil’s ans Dopamin
will. Es wird Mutter, weil’s ans Oxytocin will“.
Das dafür verantwortliche Belohnungssystem als Ergebnis eines Lernprozesses
ergebe evolutionär Sinn, weil so Unterscheidungen möglich würden, welche
Verhaltensweisen gut für uns sind, weil sie das Überleben sichern, und
daher per Wohlgefühl belohnt werden, erklärt Dorothe Poggel, Leiterin des
Bereichs „Brain“ am HWK. „Ohne Belohnungszentrum käme ich nicht auf die
Idee, zu essen oder zu trinken, vor einem Säbelzahntiger wegzulaufen, mir
einen Partner für die Fortpflanzung zu suchen“ – also etwas für die
Arterhaltung zu tun.
Problem: So animiert uns das Hirn auch, immer und immer wieder das zu tun,
was sich gut anfühlt, sodass die Stimuli dazu schnell zu einer Sucht nach
diesen Reizen führen können. Kricheldorf weiß, wovon sie da schreibt: „Ich
habe vor zwei Jahren mühsam meine Nikotinsucht überwunden.“ Was sorgt heute
für einen Kick? „Etwa eine gute Formulierung beim Schreiben gefunden zu
haben oder beim Lesen.“
Bei Hannes sind es hingegen Mädels vom Typ „blond, etwas fuchsiges Gesicht,
Sanduhr-Figur, Apfelbrüste“. Sie flimmern ihm ständig auf dem TV-Schirm
seines Zimmers entgegen. Ann wurde von einer Sorte Chips getriggert, die
sie esssüchtig werden ließ. Nun liegen die Objekte der Begierde in der
Küche. Andre brauchte einst Kokain zur Selbstoptimierung, jetzt findet er
es portionsweise verpackt auf dem Kopfkissen. Das Haus auf Monkey Island
verhält sich übergriffig, da es online abgelagertes Wissen über die
Sehnsüchte der Bewohner in Beglückungstaten umsetzt. So erlebt Kristina,
wie das Bad ihr Lieblingsgedicht von Friedrich Schiller rezitiert.
Smarthome-Utopie oder -Dystopie? Auch diese Debatte wird im Stück pointiert
geführt.
## Unverkrampfter Humor
Kricheldorf kommt aber dank ihres ausgebreiteten Hirnforschungswissens mit
den Figuren immer wieder auf die Menschmaschine zurück, eine Idee, die sie
als „sehr plausibel“ bei ihren HWK-Studien kennengelernt hat, aber unruhig
werden ließ. Wo bleibt der freie Wille? Deswegen legt Kristina Widerspruch
ein: „Ich möchte nicht hören, dass alle meine Ängste, Wünsche, und
Handlungsmotive nur die innere Neurotransmitter-Fabrik am Laufen halten zum
Überleben meiner Gattung. Ich möchte irgendeine Transzendenz, irgendwas
Nichtfunktionales, irgendwas, ja, Heiliges in meinem Leben wissen.“
All das und noch viel mehr mit erkenntnishell absurden Zuspitzungen und
unverkrampftem Humor angerissen zu haben, macht den Abend zu einem
anregenden, durch das Gesprächsstakkato aber auch zu einem anstrengenden.
Gerade weil die Figuren in keine äußere Handlung eingewoben sind. Nur ein
paar Ängste vor der totalen Überwachung und einem Angriff der Killeraffen
sorgen mal für gruselige Abschweifungen aus den artifiziellen
Wortgefechtsszenen. Kricheldorf wünscht sich daher eine ultrarealistisch
vitale Zweitaufführung des Stücks – als Belohnung für ihren
Aufklärungseifer.
Mi, 6. 3., 20 Uhr, Oldenburgisches Staatstheater. Weitere Aufführungen: 8.
/ 12. /.15. / 21. 3., 3. / 12. / 19. 4.
6 Mar 2019
## AUTOREN
Jens Fischer
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