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# taz.de -- Völkerrechtler über Gaza-Krieg: "Vorschnelle Urteile sind fehl am…
> Der Völkerrechtler Michael Bothe zum Krieg in Gaza: Israel durfte sich
> gegen Hamas-Raketen wehren. Ob dabei die Verhältnismäßigkeit der Mittel
> gewahrt wurde, kann nur eine internationale Kommission klären.
Bild: "Es gilt, Schaden und Nutzen einer Aktion zu vergleichen (...)" Ein Palä…
taz: Herr Bothe, seit drei Wochen herrscht im Gazastreifen Krieg. Durfte
Israel den Gazastreifen bombardieren und dort einmarschieren?
Michael Bothe: Grundsätzlich hatte Israel das Recht, sich gegen
Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen zu wehren. Ob aber die Kriegsführung
dem Völkerrecht entspricht, kann von Außenstehenden kaum beurteilt werden.
Hier halte ich eine internationale Untersuchung für erforderlich.
Ist der massive israelische Angriff nicht eindeutig unverhältnismäßig?
Ein unverhältnismäßiger Angriff ist stets rechtswidrig. Wann aber ein
Militärschlag konkret unverhältnismäßig ist, ist eine schwierige
Bewertungsfrage. Es gilt, Schaden und Nutzen einer Aktion zu vergleichen,
obwohl die Größen eigentlich nicht vergleichbar sind. Vorschnelle Urteile
sind da nicht am Platz.
Kann es verhältnismäßig sein, wenn bei israelischen Luftschlägen auch
Frauen und Kinder getötet werden?
Es mag zwar zynisch klingen, aber je nach den Umständen der konkreten
Situation kann auch das verhältnismäßig sein. Eindeutig unzulässig ist nur,
wenn der Angriff auf ein ziviles Objekt gerichtet ist. Wenn der Angriff
jedoch einem militärischen Ziel gilt, dann wird er nicht schon dadurch
unzulässig, dass dabei auch Zivilpersonen oder zivile Güter in
Mitleidenschaft gezogen werden. Man spricht dann von Kollateral- oder
Begleitschäden. Unzulässig ist ein solcher Angriff nur dann, wenn der
Begleitschaden nicht im Verhältnis zu dem erwarteten unmittelbaren
militärischen Nutzen steht.
Israel hat jüngst eine UN-Schule angegriffen, wobei rund 40 Menschen
starben. Kann das verhältnismäßig sein?
Israel behauptet, dass aus der Schule heraus eine Rakete abgefeuert wurde.
Dadurch würde die Schule grundsätzlich zu einem militärischen Ziel. Ob
allerdings der militärische Nutzen dieses Angriffs die hohe Zahl an zivilen
Opfern rechtfertigt, bezweifle ich sehr. Israel hat inzwischen auch
erklärt, dass eine Mörsergranate 30 Meter neben dem berechneten Ziel
einschlug.
Der Hamas wird vorgeworfen, dass sie Waffenlager und Raketenabschussrampen
gezielt in Wohngebieten und Moscheen unterhält. Ist das eine zulässige
Kriegslist?
Nein. Es ist völkerrechtlich eindeutig unzulässig, wenn Zivilisten als
sogenannte lebende Schutzschilde missbraucht werden, dennoch muss Israel
auch dann unverhältnismäßige Opfer unter Zivilisten vermeiden.
Darf Israel auch Einrichtungen der Hamas-Regierung angreifen?
Nur wenn und so weit diese in die militärische Kommandostruktur von Gaza
eingebunden sind. Die palästinensische Polizei ist zum Beispiel nur dann
ein zulässiges Ziel, wenn sie in militärische Strukturen oder Handlungen
integriert ist.
Immer wieder greift Israel private palästinensische Werkstätten an. Ist das
zulässig?
Solche Werkstätten sind nur dann militärische Ziele, wenn sie dem Bombenbau
oder ähnlichen Zwecken dienen.
Und wer stellt fest, ob eine bestimmte Werkstatt nun tatsächlich ein
zulässiges militärisches Ziel war?
Im Moment steht meist Aussage gegen Aussage. Israel sagt, es habe Beweise
für die militärische Nutzung, die Palästinenser bestreiten diese. Was
fehlt, ist eine unabhängige Untersuchung. Hier könnte zum Beispiel eine
Fact-Finding-Mission im Auftrag der Vereinten Nationen helfen. Ohne
Kenntnis der genauen Fakten ist eine völkerrechtliche Bewertung meist nicht
möglich.
Würde eine solche Kommission dann auch die völkerrechtliche Bewertung
vornehmen?
Das ist von ihrem Auftrag abhängig. Aber auch die unabhängige Bewertung von
Fakten könnte sinnvoll sein, zum Beispiel bei der Frage, ob der Angriff auf
ein militärisches Ziel noch verhältnismäßig war, obwohl er auch zivile
Opfer gefordert hat.
Was nutzt dann eine völkerrechtliche Bewertung? Hat sie irgendwelche
Folgen?
Die sollte sie haben. Die Staatengemeinschaft sollte und wird großen Druck
auf diejenigen ausüben, die das Völkerrecht nicht einhalten. Auch die
Konfliktparteien berufen sich ja auf das Völkerrecht und könnten deshalb
eine unabhängige Untersuchung nicht ignorieren.
Drohen bei einer Verletzung des Völkerrechts auch Sanktionen?
Durchaus. Zwar ist hier der Internationale Strafgerichtshof nicht
zuständig: Weder Israel noch die Palästinenserbehörde haben dessen Statut
unterzeichnet. Aber geht es um Kriegsverbrechen, Mord und Totschlag, können
auch nationale Strafgerichte weltweit die Schuldigen bestrafen. Wer
Kriegsverbrechen begangen hat, sollte also besser sein Land nicht mehr
verlassen.
Sie sagten, Israel hatte grundsätzlich das Recht, sich zu wehren. Haben
denn die Palästinenser den militärischen Konflikt überhaupt angefangen?
Der Beschuss israelischen Staatsgebiets mit Raketen hat jedenfalls eine
neue Phase des Konflikts eingeleitet.
Muss sich die Hamas-Regierung den Raketenbeschuss auf Israel zurechnen
lassen?
Ja, mir scheint, dass die Hamas ihre Verantwortung für diesen Beschuss
nicht bestreitet.
Die Palästinenser verweisen zur Rechtfertigung auf die israelische
Abriegelung des Gazastreifens …
Diese Abriegelung ist zwar unzulässig. Das rechtfertigt aber den
Raketenbeschuss nicht als Gegenmaßnahme.
Warum ist die israelische Abriegelung von Gaza rechtswidrig?
Weil eine Besatzungsmacht - und als solche sehe ich Israel in Gaza immer
noch - für das Wohlergehen der Bevölkerung im besetzten Gebiet sorgen muss
und diese nicht weitgehend von Lebensmittel- und Energielieferungen sowie
Arbeitsmöglichkeiten abschneiden darf. Sieht man Israel nicht mehr als
Besatzungmacht an, gilt im Ergebnis wohl das Gleiche, die rechtliche
Argumentation ist aber komplexer. Sie hat sich insbesondere auf
menschenrechtliche Erwägungen zu stützen.
Israel sah die Blockade als Druckmittel, um den Raketenbeschuss zu stoppen
…
Es ist nicht zulässig, die Bevölkerung verelenden zu lassen, um Druck auf
Politiker auszuüben.
Warum durften sich die Palästinenser dann nicht militärisch gegen die
rechtswidrige israelische Blockade wehren?
Sieht man den Gazastreifen noch als besetztes Gebiet an, dann mag der
militärische Widerstand zwar rechtmäßig sein. Das ändert aber nichts an dem
Recht der Besatzungsmacht, militärische Maßnahmen zu ihrer eigenen
Sicherheit zu ergreifen. Sieht man hingegen die Lage so an wie die zwischen
zwei Nachbarstaaten, dann ist ausschlaggebend, dass die Abriegelung von
Gaza kein bewaffneter Angriff war, der ein Selbstverteidigungsrecht der
Palästinenser auslöst. Hiergegen wäre nur diplomatischer und
wirtschaftlicher Druck zulässig gewesen.
Gibt es eine Pflicht, die Waffen zeitweise ruhen zu lassen, damit die
Verletzten sicher versorgt werden können?
Solche begrenzten Feuerpausen zu humanitären Zwecken sind eine alte
Tradition. Die erste Genfer Konvention sieht auch eine - freilich weich
formulierte - Verpflichtung vor, nach einzelnen Kampfhandlungen vor Ort
Maßnahmen zur Bergung von Toten und Verwundeten zu ermöglichen.
17 Jan 2009
## AUTOREN
Christian Rath
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