# taz.de -- Viel Geist und wenig Autorität | |
> 5. PUNKFILMFEST BERLIN Anschauungsmaterial nicht nur für Rüpel: Im | |
> Kreuzberger Kino Moviemento laufen im Rahmen von „Too Drunk to Watch“ | |
> interessante Dokumentationen mit Punkbezug aus der ganzen Welt | |
Bild: Lufthoheit: Unwanted aus Winnipeg mit blutjungen Fans, Szene aus „Piss … | |
von Jens Uthoff | |
Mit der Historisierung von Punk und Postpunk ist die Kulturindustrie | |
zuletzt sehr beschäftigt gewesen – an Dokumentationen in Form von Büchern | |
oder Filmen mangelt es wahrlich nicht. Trotzdem gut, dass sich in der Stadt | |
ein Festival etabliert hat, um – überwiegend dokumentarischen – Filmen üb… | |
die wichtigste Jugendkulturbewegung der siebziger und achtziger Jahre Raum | |
zu geben. Der Erfolg gibt ihm recht: Das Punkfilmfest Berlin im Kreuzberger | |
„Moviemento“ steigt zum fünften Mal. | |
„Too Drunk to Watch“, so sein nicht empfehlenswertes Motto, stellt eine | |
Besonderheit im Reigen der Punk-Narrative dar. Denn das Team um | |
Festival-Initiator Cornelius Schulz lenkt den Blick auf Szenen, von denen | |
man bis dato nicht viel wusste. Da werden etwa lokale Phänomene | |
aufgegriffen wie die frühe Punkszene im kanadischen Winnipeg („Piss on You | |
– Winnipeg’s early punk scene“) oder die Entwicklung der polnischen Rock- | |
und Punkszene („History of Polish Rock – To The Future“) wird beleuchtet. | |
Und über Punk in Mosambik und Simbabwe dürften die Wenigsten etwas wissen | |
(„Punk in Africa“). | |
## Keine Musealisierung | |
Gut ist es, dass auch ältere Filme ins Programm aufgenommen werden, denn | |
einen Dokumentarfilm über die britische Anarchopunkband Crass würde man | |
sonst niemals auf der Kinoleinwand zu sehen bekommen. „There is No | |
Authority but Yourself“ (2006), so der Filmtitel, der sich auf einen | |
Crass-Slogan bezieht, zeigt die Biografien einiger Mitglieder der zwischen | |
1977 und 1984 wirkenden Band. Crass sahen sich damals als Gegenspieler der | |
kommerzielleren Punkbands und sorgten mit ihrem Design und ihren | |
politischen Aktionen für Aufsehen. Der Film des Niederländers Alexander Oey | |
entgeht der Falle bloßer Musealisierung, indem er zeigt, wie | |
Crass-ProtagonistInnen – Sänger Steve Ignorant, Drummer Penny Rimbaud, | |
Art-Designerin Gee Vaucher, Sängerin Eve Libertine – gut 20 Jahre nach | |
Bandauflösung leben. Das ist so erhellend wie amüsant: Penny Rimbaud | |
schreitet nackend über das Anwesen jener Landkommune, die Crass einst als | |
„Open Creative House“ gründeten und die inzwischen einem Ökodorf gleicht. | |
Man schaut Dias aus alten Zeiten mit dem Filmemacher. Sänger Steve | |
Ignorant, glatzköpfig und mit Bomberjacke, sieht man derweil mit Freundin | |
in einem Reihenhäuschen, zu ihren Füßen ein kleiner Bullterrier-Mischling. | |
Während Penny Rimbaud eher reflektiert über Crass erzählt („Wir versuchten | |
zu zeigen, dass es möglich ist, außerhalb des vorgegebenen Rahmens zu | |
existieren”), schildert Ignorant den Impetus der Band etwas direkter. Was | |
die Message von Crass gewesen sei? „Fuck Off You Bastards. I Hate You. I | |
Want More Money. Why Do I Have To Work? Stop Telling Me What To Do. (…) Was | |
junge Männer eben sagen, wenn sie wütend sind.“ | |
Genauso gibt es bewegende Momente, wenn Ignorant, inzwischen im Pub Fußball | |
schauend, berichtet, wie er sich im Kreise der Band erstmals in seinem | |
Leben respektiert gefühlt habe: „Es war jemand interessiert an meiner | |
Meinung, das war eine große Sache.“ Die Bedeutung von Crass, vor allem die | |
entscheidende Rolle, die der Do-it-yourself-Gedanke im Ethos der Band | |
gespielt hat, kommt in jeder Minute rüber. Zudem erzählt er auf | |
verschiedenen Ebenen etwas über die britische Gesellschaft und ihre | |
Klassenfrage. | |
## Heterogene Jugendkulturen | |
„Black Hole – Uno sguardo sull’underground italiano“ (2015), eine | |
Dokumentation über die Geschichte des Italo-Undergrounds, fällt dagegen | |
etwas ab. „Uno sguardo“, also einen Blick wirft der Film von Turi Messineo | |
in sehr unterschiedliche Subkulturen: Punk, HipHop, Graffiti, Skinheads – | |
selbst die Geschichte der Centri Sociali (Sozial- und Kulturzentren) und | |
Squats wird aufgegriffen. Man bekommt höchstens einen oberflächlichen | |
Einblick in die verschiedensten Szenen in Bologna, Mailand oder Palermo. | |
Ein Manko ist es, dass er den Protagonisten nicht nahekommt – nur manchmal | |
wird klar, welche Bedeutung die Szenen für die Beteiligten haben. Das | |
größere Problem ist, dass jede Subkultur einen eigenen Film bräuchte, damit | |
sie adäquat abgebildet werden kann – Graffiti-Szene oder Punk in Italien | |
waren und sind extrem heterogene Jugendkulturen. | |
Die Mischung des Programms ist dennoch gelungen: Mit dem kanadischen | |
TrashKurzfilm „Skate Bitches“ (2012) hat man etwa eine völlig abgedrehte, | |
absurde und rotzig-feministische Super-Low-Budget-Produktion über | |
Skateboarderinnen im Programm. Sie zeigt anschaulich, was es braucht, das | |
Lebensgefühl von Punk für sich zu entdecken: eine Handvoll Leute, ein | |
bisschen Geist und Witz – und vielleicht noch ein Skateboard oder eine | |
Gitarre. | |
6 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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