# taz.de -- Umstrittene Inszenierung: Manche mögen’s bunt | |
> Bremens Operndirektor Benedikt von Peter inszeniert Giacomo Puccinis „La | |
> Bohème“ als Kammerspiel der Männlichkeit. | |
Bild: Eine spektakuläre Sicht auf Giacomo Puccinis "La Bohème": Benedikt von … | |
BREMEN taz | Von Zeit zu Zeit wird Oper neu erfunden, das ist eine | |
Konstante in ihrer Geschichte. Nur wo und wann, das ist unvorhersehbar – | |
was sich auch darin zeigt, dass die Operngeschichte eben sehr oft an | |
randständigen Orten spielt: Bayreuth etwa, oder gar Mantua, wer kennt schon | |
Mantua? Derzeit erfindet Regisseur Benedikt von Peter die Oper in Bremen | |
neu, sprich: Er fragt grundsätzlich nach dem, was sie ausmacht, was sie | |
kann und wozu. In Hannover war er damit schon vor vier Jahren auffällig | |
geworden, und als Bremer Operndirektor setzt er diese Arbeit mit dem | |
gleichen Furor fort, seit zwei Jahren, und immer fragwürdiger wird dabei | |
die Frage und unsicherer die Antwort. | |
Das bedeutet nicht, dass die einzelnen Inszenierungen an Überzeugungskraft | |
verlören. Bloß weitet sich mit jeder von ihnen als neue Formulierung das | |
Problem aus. Denn: Wenn sich an jeder Oper von neuem die ganze Gattung in | |
Frage stellen lässt, muss auch die Inszenierung alles ganz von Anfang immer | |
wieder neu entdecken. Sich gemütlich im Sessel einrichten und in schönen | |
Tönen schwelgend wegdämmern – vorbei! | |
Und das polarisiert. Und vermutlich täte es das auch woanders als in | |
Bremen: Mit seiner spektakulär neuen Sicht auf Giacomo Puccinis „La Bohème�… | |
hat von Peter dort am Sonntag das Premierenpublikum auseinanderdividiert: | |
Es gab enthusiastische JublerInnen, ein Bravi-Chor. Und es gab weißglühende | |
Zornbolzen, denen es einfach zu bunt war, sodass sich am Ende eine Stimmung | |
kurz vor Handgreiflichkeiten ergab. | |
Gottseidank wirkte da der Applaus für die MusikerInnen, den Dirigenten | |
Markus Poschner, das Orchester und die SolistInnen harmonisierend – und | |
ganz zu recht, denn: Puccinis offene Quinten, seine Farbigkeit und | |
Transparenz, das ist etwas, was den Philharmonikern liegt. Und Luis | |
Olivares Sandoval als Rodolfo zuzuhören, ist tatsächlich ein Fest für die | |
Ohren, weil er über den Schmelz, die innige Zärtlichkeit und die Virilität | |
dieser Partie verfügt, plus eine tolle Präsenz, und er spielt das | |
Herzleiden so schmachtend aus, ehrlich, während Nadine Lehner als Mimì… | |
Tja, die singt auch schön. | |
Aber eben hinterm schwarzen Vorhang. Manchmal lässt sich ihr Gesicht | |
erahnen. Gegen Ende schreitet sie dann, ganz in schwarz, einmal über die | |
Bühne, und singt ihre Todesangst, mit starrer Miene, unbeweglich – kein | |
Mensch: eine Erscheinung, Lacans fundamentales Fantasma, aus der Unterwelt | |
gerufen wie Eurydike, Quell und Inhalt der „sogni d’amore“, denen das | |
Addio! im dritten Akt gilt, das berühmte, wie es pieno rimpianto – voller | |
Reue – dahinschmilzt. Schließlich ist da Frühling. | |
Dieses Addio! ist gleichsam das Herzstück dieser Herzschmerz-Oper, die kaum | |
eine Handlung hat, sondern eine Abfolge von Szenen aus dem Leben der Boheme | |
darstellt, die mit einer doppelten Begehrens-Konstellation | |
zusammengetackert ist: Rodolfo, der Dichter, sehnt sich nach Mimì, der | |
Traumfrau. Maler Marcello hat sich mit Musetta liiert, die das Libretto als | |
eine Nutte vorstellt. Das Ganze könnte, nein das Ganze gibt also immer | |
wieder Anlass zu klebrigstem Kitsch, denn logo hat die Hure ein romantisch | |
großes Herz und klaro stirbt Mimì an Schwindsucht, und es wird umarmt und | |
gebarmt et cetera pp. und das ganze Programm: große Oper eben. | |
Doch von Peter misstraut diesem Süßkram, hält ihn für eine Fassade, die er | |
einreißen muss. Er findet dahinter das Porträt einer Männer-WG, in der | |
Marcello und Rodolfo mit dem Philosophen Colline und dem Musiker Schaunard | |
leben – und sich als Künstler selbst inszenieren, als Bohemiens. Und als | |
ganze, präpotente Kerle, indem sie Spritz und Matsch-Orgien feiern mit | |
Marcellos Farben, nämlich, und den Kamin mit Rodolfos Liebesdrama beheizen | |
– und das Geld, das Schaunard mit seiner Mucke eingespielt hat, hemmungslos | |
verprassen: Sprühsahnekarneval, eine turbulente Geschäftigkeit, die etwas | |
verdeckt – oder aber die bloße Leere, das große Nichts. | |
Letztlich ist es ein Kammerspiel der Männlichkeit, das von Peter freilegt, | |
einer Männlichkeit, die sich selbst behaupten will, im Verhältnis zur aus | |
ihrem Kreise ausgeschlossenen Frau, Addio!, eine Gesellschaft, die, auch | |
wenn sie sich zweifellos wilder gebärdet, erinnern kann an jene des | |
traditionellen Bremer Schaffermahls. | |
Natürlich lässt sich die verbannte Frau aus ihr nicht löschen: In von | |
Peters Inszenierung ist sie präsent als Traum – und als Requisit: Je Partie | |
ein rotes Kleid, das mal als Teil einer Mixed-Media-Installation von | |
Marcello auftritt, die dieser bald zerfetzt, das sich aber gern auch mal | |
einer der vier überstreift: Es ist das gleiche Kleid, das bereits Violetta | |
in von Peters komplett auf diese Frauen-Figur konzentrierten „La | |
Traviata“-Inszenierung trägt, hannoversche Produktion die Bremen diese | |
Spielzeit übernommen hat. Eine Brücke von Verdi zu Puccini, von Traviata zu | |
Bohème, denn in beiden Opern werde, so von Peter, „die Liebe verabsolutiert | |
und verherrlicht, wobei wir nichts anderem begegnen als | |
Liebesvermeidungen“. | |
Liebesvermeidung, Kunstvermeidung: Die Künstler-WG bezieht ihre | |
Heiz-Energie aus dem Vernichten eines Textbuchs und ihre Lust aus dem | |
Verspritzen der Farben des Malers. Ein Werk findet nicht statt, es wird | |
keine Geschichte durch die Musik erzählt. Stattdessen ereignet sich eine | |
Suche nach dem wahren Gefühl, das unter all dem Tand und Talmi der Oper | |
doch zu lauern verspricht, als Schimäre, Fantasma, Traum. Und so kniet | |
Rodolfo, vor dem Kleiderberg mit einem Muff oben drauf, und erstickt in | |
Tränen. Der Künstler ohne Werk ist die Figur des Wahnsinnigen. Die Oper als | |
Anti-Oper ist dagegen ein Schritt in deren Zukunft. | |
## 29. &31. 1. sowie 6., 8. & 26. 2 jeweils 19.30 Uhr, 2. &16. 2., jeweils | |
15.30 Uhr, Theater Bremen | |
27 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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