# taz.de -- US-Abgeordnete reden mit Ex-Häftling Kurnaz: "9/11 entschuldigt ga… | |
> Erstmals sprach mit dem Bremer Kurnaz ein Ex-Guantanamó-Häftling mit | |
> US-Kongressabgeordneten. Diese wussten wenig, beteuerten aber das Lager | |
> sei "unamerikanisch". | |
Bild: "Ich gebe Osama Bin Laden die Schuld dafür": Ex-Guantanamó-Häftling Ku… | |
Sie wollten ihn nicht einreisen lassen. Keine Chance. Aber hören wollten | |
die amerikanischen Abgeordneten den ehemaligen Guantánamo-Häftling Murat | |
Kurnaz trotzdem. Also haben Techniker eine Videoschaltung aufgebaut | |
zwischen dem Sitzungssaal III der Bremischen Bürgerschaft und dem | |
Kongressgebäude in Washington. Am Dienstag tagte der Ausschuss für | |
Auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses zum Thema: "Die | |
Fehler von Guantánamo und der Niedergang des Ansehens Amerikas". Und zum | |
ersten Mal überhaupt sollte dabei ein einstiger enemy combattant, ein | |
feindlicher Kämpfer also, über seine Inhaftierung im Camp X-Ray auf Kuba | |
befragt werden. | |
Es gibt Probleme mit der Technik. Murat Kurnaz sitzt mit seinem Anwalt | |
Bernhard Docke an einem Tisch vor einem großen schwarzen Bildschirm und | |
wartet. Seinen Bart hat er abrasiert, er trägt einen glänzenden schwarzen | |
Anzug, ein weißes Hemd mit rotem Einstecktuch, seine Haare sind mit Gel | |
nach hinten gekämmt. Nur eine Handvoll Menschen ist mit im Raum, die Medien | |
haben das Interesse an ihm offenbar verloren, obwohl Docke sich persönlich | |
die Mühe gemacht hat, Journalisten einzuladen. In der Hand hält Kurnaz eine | |
vierseitige Erklärung, die er später verlesen wird. Auf Englisch. Das hat | |
er von seinen Wärtern in Guantánamo gelernt. | |
"Ich gebe Osama Bin Laden die Schuld dafür, fünf Jahre meines Lebens | |
verloren zu haben", steht auf den Blättern und dass der Koran ihn gelehrt | |
habe, dass man niemals sich selbst, Frauen oder Kinder töten dürfe. Noch | |
immer sitzen 257 Häftlinge in Guantánamo. Dass sie freikommen und es | |
künftig keine Foltergefängnisse mehr geben möge, darum sei er hier, sagt | |
er. | |
Die Techniker haben den Fehler gefunden, und auf dem Bildschirm erscheint | |
der Ausschussvorsitzende Bill Delahunt, ein Demokrat und ehemaliger | |
Staatsanwalt aus Massachusetts. "Wir wollen die Gründe für die Wandlung des | |
amerikanischen Ansehens in der Welt untersuchen", sagt er etwas | |
umständlich. Sein Urteil steht offenbar bereits fest. "Guantánamo ist der | |
Ort für die Unglücklichsten der Unglücklichen." Die dortigen Gefangenen | |
seien "die Beute von Kopfgeldjägern, die einen schnellen Dollar machen | |
wollten." "Keine fünf Prozent" seien von amerikanischen Soldaten gefangen | |
genommen worden. Das gilt auch für Kurnaz. Milizionäre aus Pakistan hatten | |
ihn als angeblichen Taliban für 3.000 Dollar an die Amerikaner in | |
Afghanistan verkauft. "Doch die amerikanische Justiz hat keine Angst vor | |
der Wahrheit, sie sucht die Wahrheit", sagt Delahunt. Wasserfolter, | |
Isolationshaft von 14-jährigen: "In dem Camp wurden amerikanische Werte | |
ignoriert. Das war verheerend für unser Ansehen in der Welt. Es werde | |
"Jahrzehnte dauern, den Schaden zu beheben", fürchtet er. | |
"Kein Fall von Sadismus" | |
Würden all die Vorwürfe stimmen, wäre das "natürlich vollkommen | |
inakzeptabel", entgegnet ihm sein Stellvertreter, der kalifornische | |
Republikaner Dana Rohrabacher. Rohrabacher ist Redenschreiber von Ronald | |
Reagan gewesen und hatte sich in den 1980er-Jahren als Emissär der | |
amerikanischen Rechten zur Unterstützung der Taliban im Kampf gegen die | |
Sowjets lange in Afghanistan aufgehalten. "Wenn aber physische Gewalt nur | |
benutzt wird, um den physischen Widerstand von Gefangenen zu brechen, dann | |
liegt ganz offensichtlich kein Fall von Sadismus oder Misshandlung vor." | |
Dann nämlich handele es sich um "normale Vorgänge wie in jedem Gefängnis | |
der Welt". Überhaupt mache es "viel mehr Sinn, die Leute auf Guantánamo zu | |
verhören, als in den Ländern, in denen sie aufgegriffen wurden, weil unsere | |
Verhörspezialisten dann jeweils dorthin reisen müssten". Sie in die USA zu | |
bringen komme ebenfalls nicht in Frage. "Würden wir für sie die gleichen | |
rechtlichen Standards wie für Amerikaner anwenden, dann müssten wir uns auf | |
viele freie Terroristen und viele neue Opfer einstellen." Immerhin räumt er | |
Fehler ein: "Ich habe noch nie eine militärische Operation gesehen, bei der | |
keine Fehler gemacht wurden." Doch Guantánamo sei kein Ort, an dem es eine | |
Art "Erbsünde des Bösen" gebe. | |
"Keine Supermarkträuber" | |
Von dort seien 500 Gefangene freigelassen worden, von denen eine | |
"signifikante Zahl nach ihrer Entlassung das Morden fortgesetzt und sich | |
wieder islamistischen Milizen angeschlossen hat", sagt Rohrabacher. Die | |
Foltervorwürfe zweifelt er an. Die CIA habe eingeräumt "in drei Fällen | |
Waterboarding" angewendet zu haben, um Geständnisse von Terroristen zu | |
erpressen. Beim Waterboarding wird dem auf ein Brett gefesselten Opfer im | |
Liegen Wasser über den Kopf geschüttet, bis es zu ertrinken glaubt. In | |
diesen drei Fällen sei die Maßnahme "gerechtfertigt" gewesen, sagt | |
Rohrabacher. "Sollte das aber öfter vorgekommen sein, dann müssen wir das | |
wissen." Doch wenn schon: Ähnliche Praktiken kämen auch bei der Ausbildung | |
des amerikanischen Militärs zur Anwendung. "Es handelt sich dabei nicht um | |
körperliche Folter, sondern um psychologischen Druck, und der ist legitim." | |
Murat Kurnaz starrt auf den Bildschirm und regt sich nicht. Rohrabacher | |
fährt fort: "Wir misshandeln die Gefangenen in Guantánamo nicht. Aber sie | |
haben nicht die gleichen Rechte wie Supermarkträuber in Amerika. Die Räuber | |
sind keine Terroristen, und wir führen keinen Krieg gegen sie. Gegen die | |
Islamisten aber schon." Das sei "kein Imperialismus, keine Aggression". | |
Sondern "Selbstverteidigung". Auch im Zweiten Weltkrieg habe es | |
Kollateralschäden gegeben. "Ich glaube an den Krieg gegen den radikalen | |
Islam", schließt er. | |
Der Ausschussvorsitzende erteilt dem Anwalt eines Inhaftierten das Wort. | |
"Ich vertrete einen unschuldigen Mann, der sich sicher ist, dass er in | |
Guantánamo sterben wird", sagt der Anwalt. "Er hat mich gebeten, seiner | |
Frau zu sagen, dass sie ihn als tot betrachten soll, damit sie wieder | |
heiraten kann." | |
Dann spricht Kurnaz. Er erzählt, wie er zum Koranstudium nach Pakistan | |
ging, verschleppt und dann jahrelang gefoltert wurde. "Einmal hat man mich | |
fünf Tage lang an den Händen gefesselt und an einer Kette an der Decke | |
hochgezogen. Ich wurde nur runtergelassen, um einem Arzt vorgeführt | |
zuwerden. Als der dann O. K. sagte, wurde ich immer wieder hochgezogen, bis | |
ich ein Papier unterschrieben habe." Ob es dabei Kameras gab, will ein | |
Abgeordneter wissen. Kurnaz bejaht. Der Abgeordnete findet das "sehr | |
interessant". | |
"Das sind ohne Zweifel schwere Straftaten", sagt ein Ausschussmitglied. Er | |
hoffe sehr, dass "wir die Verantwortlichen in den nächsten paar Jahren zur | |
Rechenschaft ziehen können". Ein anderer Abgeordneter sagt, es sei "schwer | |
zu verstehen", dass die US-Regierung schon 2002 wusste, dass er | |
nachweislich unschuldig war und ihn dennoch nicht freigelassen habe. "Mr | |
Kurnaz, haben Sie irgendeine Idee, warum man Sie als enemy combattant | |
eingestuft hat, obwohl man es besser wusste? Können Sie Licht in dieses | |
Dunkel bringen?" Murat Kurnaz kann das nicht. Er hat keine Idee. | |
Rohrabacher, Reagans Redenschreiber, meldet sich wieder zu Wort. Ob Kurnaz | |
sich sicher sei, dass es sich bei seiner Folterung um Waterboarding | |
gehandelt habe, will er wissen. Denn das habe die CIA nur in drei Fällen | |
zugegeben, und der von Kurnaz sei nicht darunter. "Nein", sagte Kurnaz. | |
Nicht Waterboarding habe man bei ihm angewendet, sondern water treatment, | |
Wasserbehandlung, das sei nicht dasselbe. "Man hat meinen Kopf in einen | |
Eimer Wasser gesteckt und mich dann so hart in den Magen geschlagen, dass | |
ich unter Wasser einatmen musste und meine Lungen voller Wasser sog." | |
Rohrabacher ist offenbar zufrieden, das Kurnaz nicht die CIA der Lüge | |
bezichtigt. Zum Dank glaubt er ihm. "Hier sind Fehler gemacht worden", sagt | |
er und dann noch etwas von "Entschädigung". Aber eines verstehe er nicht: | |
"Wir sind sehr harsch für Guantánamo kritisiert worden, vor allem von | |
Deutschland. Wieso haben die ihn dann so lange nicht zurückgenommen?" | |
Von diesem Punkt abgesehen sind die Abgeordneten erstaunlich schlecht | |
informiert, viele Dinge, die seit Langem in den Zeitungen standen, wie die | |
Tatsache, dass Kurnaz Türke ist, sind einigen nicht bekannt. Immer wieder | |
sprechen sie seinen Namen falsch aus, meist nennen sie ihn "Kurzan". | |
Dann fragen sie sich, ob sie all das früher hätten wissen müssen, | |
schließlich haben schon 107 Kongressabgeordnete das Camp X-Ray besucht. | |
Auch einige der Ausschussmitglieder waren dort. "Mr Kurnaz, haben Sie | |
während Ihrer Gefangenschaft je gewählte Repräsentanten gesehen?" Kurnaz | |
kann sich nicht daran erinnern. Sie sind erleichtert. "Wir hatten keine | |
Möglichkeit, all das zu wissen. Sie haben uns ja nur gezeigt, dass die | |
Klimaanlagen funktionieren, aber uns nicht mit den Gefangenen sprechen | |
lassen", sagt eine Abgeordnete. "Das hier ist ein großartiges Land mit | |
einer großartigen Verfassung. Die Kategorie des enemy combattant muss | |
abgeschafft werden. Das ist total illegal", meint sie dann noch. | |
"Positiv überrascht" | |
Als Erstes fällt es dem Demokraten Jerrold Nadler ein. Er ist Vorsitzender | |
des Subkomitees für Verfassung und Bürgerrechte. "Mr Kurnaz, hat sich die | |
Regierung je bei Ihnen entschuldigt?" - "Nein, niemals." - "Dann lassen Sie | |
mich mein tiefstes Bedauern ausdrücken", sagt Nadler. "Was Ihnen angetan | |
wurde, war grausam, unzivilisiert, hochgradig illegal, es war unwürdig. | |
Unser Land wurde am 11. September auf schreckliche Weise angegriffen. Aber | |
das entschuldigt überhaupt nichts." | |
Der Vorsitzende Delahunt versichert Kurnaz, man stehe zu seinen Fehlern und | |
arbeite daran, das, was Kurnaz angetan wurde, wiedergutzumachen. "Denn das | |
ist wahrer amerikanischer Patriotismus." Dann sagt er noch auf Deutsch | |
"Vielen Dank", und diesmal spricht er Kurnaz Namen richtig aus. Er sei | |
"positiv überrascht von dem kritischen Grundton", meint später Kurnaz | |
Anwalt Bernhard Docke. "Der Kongress hat jahrelang seine Kontrollpflicht | |
vernachlässigt und die Regierungspolitik durchgewunken. Nun scheint er zu | |
erwachen." Die Anhörung sei hoffentlich "der Beginn einer längst | |
überfälligen Aufarbeitung". | |
Die Entschuldigungen hätten ihn gefreut. Bisher war der einzige Politiker, | |
der sich bei Murat Kurnaz entschuldigt habe, der Bremer Bürgermeister Jens | |
Böhrnsen (SPD). Ansonsten gebe es nur das "bittere" Statement des | |
Außenministers und ehemaligen Kanzleramtsministers Frank-Walter Steinmeier | |
(SPD). Dieser habe über den Fall gesagt: "Ich habe mir nichts vorzuwerfen. | |
Ich habe keine Fehler gemacht und würde wieder so entscheiden." | |
22 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |