# taz.de -- StadtgesprächNiklas Franzen aus Rio de Janeiro: Trübe Aussichten:… | |
Auch heute musste der Getränkelieferant mehrmals kommen. „Alle wollen | |
Wasser kaufen“, sagt Salete Martins und hievt einen Wasserträger auf eine | |
Europalette. „Die Leute rennen uns den Laden ein.“ Die 44-Jährige, die eine | |
Bluse mit Leopardenmuster trägt, arbeitet in einem kleinen Getränkeladen | |
unweit des weltbekannten Copacabana-Strandes in Rio de Janeiro. | |
Dass die Bewohner*innen der Stadt am Zuckerhut die Getränkeregale in den | |
Supermärkten leerräumen, hat einen Grund: Seit Anfang des Jahres ist das | |
Wasser aus dem Hahn in vielen Teilen der Stadt trübe, es riecht übel und | |
hat einen schlechten Geschmack. Die bundesstaatlichen Wasserwerke CEDAE | |
erklärten, dass eine Substanz namens Geosmina die Unreinheit des Wassers | |
verursache. Geosmina wird durch Algen produziert und entsteht meist bei | |
Verschmutzung. Der Chef der Wasserwerke trank auf einer Pressekonferenz ein | |
Glas Wasser und erklärte: Das Wasser könne getrunken werden und stelle | |
keinerlei Gesundheitsrisiken dar. | |
Etliche Bewohner*innen klagten allerdings über Übelkeit, Durchfall und | |
Fieber, nachdem sie Wasser aus dem Hahn getrunken hatten. Auch | |
Wissenschaftler*innen der Bundesuniversität von Rio de Janeiro erklärten, | |
dass das Wasser ein Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung darstelle. Viele | |
Häuser in Rio de Janeiro haben zwar Wasserfilter, doch selbst nach der | |
Filterung wies es weiterhin Geosmina auf. Viele Expert*innen machen die | |
chronisch verschmutzten Flüsse, jahrelanges Missmanagement und die fehlende | |
Abwasserversorgung in vielen Teilen der Stadt für die Krise verantwortlich. | |
In Copacabana haben sich die Menschen mittlerweile auf die Situation | |
eingestellt. Vor vielen Läden verkaufen Händler*innen Wasserflaschen und | |
20-Liter-Kanister. Um mehr als 100 Prozent seien die Umsätze in ihrem Laden | |
gestiegen, sagt Martins. „Ich habe das Wasser getrunken und mir ist nichts | |
passiert. Aber viele Leute haben Angst.“ Einen Real mehr nehme sie jetzt | |
pro Flasche. Andere Händler*innen sind schamloser und kassieren bis zu 50 | |
Prozent mehr. Die Kund*innen kommen trotzdem. Vor mehreren Getränkemärkten | |
in Copacabana haben sich Schlangen gebildet. Es ist Hochsommer, | |
Temperaturen von über 40 Grad sind keine Seltenheit in Rio de Janeiro. | |
30 Kilometer von den wohlhabenden Vierteln der Südzone entfernt, befindet | |
sich die Cidade de Deus – die Stadt Gottes. Die Favela im Westen von Rio de | |
Janeiro wurde durch den gleichnamigen Kinofilm („City of God“) weltbekannt | |
und zählt zu den gewalttätigsten Gebieten der Stadt. Regelmäßig liefern | |
sich Polizei und Drogengangs schwere Gefechte. | |
Carla Siccos läuft in schnellen Schritten durch „ihre Favela“, vorbei an | |
biertrinkenden Rentnern in kleinen Bars, grölenden Kindern auf | |
Fußballplätzen und schwer bewaffneten Jungs, die an mehreren Straßenecken | |
auf Sofas herumlungern. Die 38-Jährige ist Journalistin und lebt im Herzen | |
der rund 60.000 Einwohner*innen zählenden Favela. „Ich trinke das Wasser | |
aus dem Hahn nicht mehr“, sagt Siccos. Vor ein paar Tagen habe sie damit | |
gekocht und der Reis schmeckte nach Erde. Probleme mit dem Wasser seien | |
hier nicht neu. Auch zuvor habe es öfters mal komisch geschmeckt, der Hahn | |
bleibe manchmal ganz trocken. „Wir Arme sind besonders von solchen | |
Problemen betroffen“, meint Siccos. Zwar könne sie es sich derzeit leisten, | |
Wasser im Supermarkt zu kaufen. Viele andere Bewohner*innen der Favela aber | |
nicht. Die ausgerufene „Wasserkrise“ ist vor allem eine Krise für die | |
Armen. | |
Der rechtsradikale Gouverneur Wilson Witzel, der durch seine harte Hand in | |
den Favelas bekannt wurde, erklärte in verschwörungstheoretischer Manier, | |
dass sich bei der Krise um „Sabotage“ handele. Das Ziel: der CEDAE | |
schaden. Die Wasserwerke sollen noch in diesem Jahr privatisiert werden und | |
bald bei einer Auktion verkauft werden. Viele cariocas – wie die | |
Einwohner*innen von Rio de Janeiro genannt werden – kritisieren die | |
Privatisierungspläne scharf und fürchten eine Zunahme der Probleme. | |
Außerdem steht die Landesregierung in der Kritik, weil sie im vergangenen | |
Jahr 54 Expert*innen der CEDAE aus Spargründen entlassen hatte. Darunter | |
befanden sich auch Spezialist*innen, die für die Prüfung der Wasserqualität | |
zuständig waren. Kritiker*innen vermuten einen Zusammenhang mit den | |
aktuellen Problemen. | |
Die Wasserwerke haben derweil damit begonnen, das Wasser mit | |
Aktivkohle-Pulver zu behandeln. Gouverneur Witzel erklärte, dass das | |
Problem bald behoben sei – Expert*innen widersprechen dem ehemaligen | |
Richter jedoch. So wird wohl auch beim Karneval Ende Februar noch | |
verschmutztes Wasser aus den Hähnen kommen. | |
1 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Niklas Franzen | |
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