| # taz.de -- Tragikomödie: Am Ende Blut | |
| > Das Theaterstück "Ursprung der Welt" erzählt am Schauspiel Hannover von | |
| > der Konfrontation zweier Welten: Westliche Werbemenschen treffen auf den | |
| > orthodox gelebten Islam. | |
| Bild: Einstellungsgespräch in der Werbeagentur: Janko Kahle, Carolin Eichhorst… | |
| HANNOVER taz | Der Werbefachmann Gyges ist ein Mensch, der von Berufs wegen | |
| den Freiraum schätzt. In seiner Agentur gibt es lediglich einen Tisch, an | |
| dem er und sein Kompanion Kandaulis ihre Ideen entwickeln. Der Tisch ist | |
| leer und weiß, ebenso wie die Wände. Weiß sind auch die Jeans und das | |
| T-Shirt von Gyges. Weiß, so muss man das verstehen, ist hier die Farbe der | |
| Möglichkeiten und der Freiheit. Schwarz ist in dieser Welt nur der Anzug | |
| von Kandaulis, und das zunächst auch nur, weil es zu seinem weißen Hemd gut | |
| aussieht. | |
| Die Schwarz-Weiß-Dichotomie prägt die Bühne am Schauspiel Hannover und | |
| trifft genau in das Zentrum von Soeren Voimas Stück "Ursprung der Welt", | |
| das am Wochenende in Hannover uraufgeführt wurde. Voimas "Ursprung der | |
| Welt" ist die Bearbeitung einer alten Geschichte der Freunde Gyges und | |
| Kandaulis, die der griechische Erzähler Herodot im 5. Jahrhundert vor | |
| Christus aufgeschrieben hat. Voima, gebürtiger Chemnitzer und noch keine 40 | |
| Jahre alt, hat die Fabel in die Gegenwart verlegt und erzählt sie als | |
| Konfrontation zweier Welten: Westliche Werbemenschen treffen auf den | |
| orthodox gelebten Islam. Ein einvernehmlicher Umgang miteinander ist nicht | |
| möglich. Am Ende fließt Blut. | |
| Kandaulis und Gyges sind zwei Freunde, die sich seit ihrer Kindheit kennen | |
| und bei Voima gemeinsam eine Werbeagentur betreiben. Kandaulis ist ein | |
| westlich sozialisierter Muslim und muss eines Tages in seine persische | |
| Heimat zu einer Beerdigung. Gyges vergnügt sich währenddessen mit der | |
| Praktikantin Sarah, die mit ihm für einen Arbeitsvertrag ins Bett geht. | |
| Kandaulis kommt mit der Nachricht zurück, er habe sich in seiner Heimat | |
| verliebt und geheiratet. Seine Braut Nyssia, vollverschleiert mit | |
| tiefschwarzer Burka, hat er gleich mit nach Deutschland gebracht: Sie ist | |
| eine entfernte Cousine von ihm. "Seit zwanzig Jahren sind wir uns | |
| versprochen", sagt Kandaulis. "Ich habe das erst dort erfahren." | |
| ## Grenze der Toleranz | |
| Gyges und Sarah können weder die Zwangsheirat noch die Burka akzeptieren. | |
| Kandaulis wäre glücklich, litt er nicht darunter, dass sein Freund Gyges | |
| ihn für verrückt erklärt. Er will, dass Gyges seine Liebe versteht, und | |
| schlägt ein folgenschweres Mannöver vor: Gyges soll sich in Kandaulis' | |
| Kleiderschrank verstecken, um einen heimlichen Blick auf die unverhüllte | |
| Nyssia werfen zu können. Gyges sieht Nyssia nackt und wird erwischt. Das | |
| kann Nyssia nicht akzeptieren: Es darf nach den Regeln ihres Glaubens nur | |
| einen Mann geben, der sie unverhüllt sehen darf. Also muss einer der beiden | |
| sterben. | |
| Autor Soeren Voima hat aus dem alten Stoff ein leichtgängiges Theaterstück | |
| gemacht, das mit den Mitteln der Komödie eine tragische Geschichte erzählt. | |
| Die Dialoge sind schnell und die Figuren überzeichnet. Um Witz in die | |
| Geschichte zu bringen, schlachtet Voima die gängigen Klischees aus. Um | |
| nicht zu platt zu werden, erweitert Voima das Stück mit mehr oder weniger | |
| zwingenden Anspielungen: Der Titel des Stückes zitiert Gustave Courbets | |
| gleichnamiges Kunstwerk, dessen Rezeptionsgeschichte um den Skandal der | |
| Nacktheit kreist und seinerseits einen Theaterabend füllen könnte. Außerdem | |
| hat sich Voima eine Pointe überlegt, die es in der historischen Geschichte | |
| nicht gibt - und die den Islam schlecht aussehen lässt. | |
| Unterm Strich stehen aber in seinem Stück beide blöd da: der Islam, den die | |
| Krankheit des Fanatismus befallen hat, und die westliche Welt, die sich für | |
| aufgeklärt hält, aber Arbeitsverträge von Sex abhängig macht und schon bei | |
| orthodox Gläubigen an die Grenze ihrer Toleranz stößt. | |
| Die Regisseurin Tina Lanik bestärkt mit Slapstick-Nummern den spielerischen | |
| Umgang mit den Klischees. Ihre Umsetzung dieses interessanten, aber auch | |
| überfrachteten Stückes ist gelungen. | |
| 10 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Irler | |
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