| # taz.de -- Tilo Jung im Interview: Angekotzt vom Stillstand | |
| > Tilo Jung will kein Haus, keine Familie und keinen Baum pflanzen. Er will | |
| > einen großen Wurf. | |
| Interview: [1][Peter Unfried] und [2][Harald Welzer] | |
| taz FUTURZWEI: Wer sind Sie? | |
| Tilo Jung: Ich bin Tilo Jung. | |
| Gehts noch genauer? | |
| Die einen sagen Blogger, wenn sie mich nicht mögen, die anderen sagen | |
| Journalist, wenn sie akzeptieren, was ich mache. | |
| Sie machen Videointerviews mit Politikern, die genau so beginnen, wie wir | |
| das jetzt gemacht haben, nur dass Sie duzen: Ist das politischer | |
| Journalismus? | |
| Würde ich schon sagen. | |
| Worin unterscheidet er sich vom konventionellen Journalismus? | |
| Ich adressiere Leute, die sagen, dass sie sich nicht für Politik | |
| interessieren. | |
| Wie definieren Sie Ihr Format Jung & Naiv und wie gewinnen Sie damit Leute | |
| unter dreißig? | |
| Wir führen Interviews mit interessanten Persönlichkeiten. Und meine Aufgabe | |
| ist es, die so interessant zu führen, dass man dranbleibt. Mich stört, dass | |
| meiner Genration unterstellt wird, unsere Aufmerksamkeitsphase sei kürzer | |
| als Ihre. Wenn, dann liegt es nicht an uns, sondern an der Technologie. | |
| Unsere Sendung fördert das Gegenteil, sie will die Aufmerksamkeit | |
| verlängern. Deshalb mache ich lange, ausführliche Gespräche mit einer | |
| Person zu ihren Gedanken. Das läuft dann ungeschnitten, manchmal anderthalb | |
| Stunden und mehr. Das finde ich wichtig. Weil es keiner sonst macht. | |
| Günter Gaus vor vielen Jahren. | |
| Genau. Ein Gast, eine Stunde reden. Gibt‘s nicht mehr. | |
| Schweizer Fernsehen. Und Richard David Precht. | |
| Stimmt. Aber Richard führt akademische Diskussionen. Das kann ich leider | |
| nicht. | |
| Und die Unterstellung, dass junge Leute nur zwei Minuten aufpassen können, | |
| ist falsch? | |
| Die ist falsch. Kann sein, dass Leute das selbst glauben, weil man ihnen | |
| das so gesagt hat. Wir haben eine überdurchschnittliche Verweildauer. | |
| Selbst Youtube in London sagte: Hä, was führst du denn für Interviews, dass | |
| deine Leute so lange dranbleiben? Unsere Abonnenten wissen natürlich auch, | |
| was sie erwartet. | |
| Wer schaut Ihre Interviews? | |
| 18- bis 35-Jährige, im Schnitt 28, 70 Prozent davon männlich. | |
| Warum weniger Frauen? | |
| Weiß ich nicht, kann mir vorstellen, dass die andere politische Formate | |
| anschauen. | |
| Jan Böhmermann sagte im Gespräch mit uns, hier spreche nicht die | |
| Kunstfigur, sondern die Steuerungsmaschine der Kunstfigur. Und hier | |
| interessiert uns jetzt auch Tilos Meinung. Auf welcher politischen | |
| Grundlage machen Sie Ihre Sendungen? | |
| Ich habe keine politische Agenda. Ich bin kein Politiker oder Aktivist, der | |
| Rezepte zu haben behauptet. Ich weiß nur, wie es nicht mehr laufen sollte. | |
| Ich war mit 15 und 16 an der Highschool in den USA, da wurde ich an der | |
| Schule politisiert, da meine Mitschüler mich aufforderten, Deutschland zu | |
| verteidigen, weil wir beim Irakkrieg nicht mitmachten. Ich war der Einzige, | |
| der gegen den Krieg war. Da sagten die: Klar, du bist ja Deutscher. Da habe | |
| ich Argumente gesammelt und gleichzeitig gemerkt, wie verloren man ist, | |
| wenn man als Einziger eine andere Position vertritt. Ich habe dann aber | |
| doch bei der Aktion meiner Schule mitgemacht: »Support the troops.« | |
| Das klingt amerikanisch. | |
| Ich war naiv und fand das okay, nicht den Krieg, sondern die Menschen zu | |
| unterstützen. Dann bekam ich eine Pentagon-Medaille für dieses Engagement | |
| und das wurde zu Hause im Nordkurier und in der Bild berichtet. Als ich in | |
| meine alte Klasse zurückkam, war ich wieder Außenseiter, weil »Support the | |
| troops« für die anderen anstößig war. | |
| Was machte das mit Ihnen? | |
| Ich wurde eine Zeit lang ein konservativer Mensch. Ich las nur die Medien, | |
| die meine Meinung unterstützten und mir die Argumente gegen die anderen | |
| gaben. Sodass ich 2005 auch CDU gewählt habe, was mir heute peinlich ist. | |
| Was ich sagen will: Ich weiß, wie leicht man in eine bestimmte politische | |
| Einstellung reinrutschen und sich dann da eingraben kann. | |
| Heute sehen viele Merkel anders. Wen finden Sie sonst bei der Suche nach | |
| Leuten, die die offene Gesellschaft verteidigen? | |
| Jogi Löw vielleicht noch? Außer Merkel und Löw fällt mir jedenfalls niemand | |
| ein, der seit meiner Jugend für Deutschland identitätsstiftend war. Aber | |
| ich habe sie ja damals gewählt, weil ich total neoliberal war. Ich kam aus | |
| Amerika und dachte, wenn diese Wirtschaftsfreundlichkeit dort klappt, warum | |
| nicht bei uns? Ich fand Hartz IV okay, ich dachte, denen muss mal ein | |
| bisschen Feuer unterm Arsch gemacht werden. Heute sehe ich es so, dass das | |
| einer der großen Fehler der letzten zwanzig Jahre war, wie wir den | |
| Sozialstaat umgebaut haben. Die soziale Schieflage ist einer der Gründe für | |
| den Aufstieg der AfD. | |
| Haben Sie Angst vor der AfD? | |
| Die autoritären Entwicklungen machen mir bei den Nachbarländern mehr Angst | |
| als bei uns. In der Bundesrepublik macht mich traurig, dass unsere | |
| etablierten Parteien die Politik der AfD mit anderen Worten betreiben. | |
| Was ist der Beleg dafür? | |
| Im Herbst 2015 klagte die AfD in der Bundespressekonferenz Angela Merkel | |
| als Schlepperin an und präsentierte einen Zehnpunkteplan. In den | |
| darauffolgenden Monaten habe ich in der Bundespressekonferenz gemerkt, dass | |
| sieben oder acht Punkte dieses Plans von der Bundesregierung umgesetzt | |
| wurden, nur anders genannt. Im Prinzip hat die AfD die Leitlinien der | |
| Bundespolitik in der sogenannten Flüchtlingskrise bereitgestellt. Unsere | |
| Regierung hat das angenommen in der Hoffnung, die Leute damit | |
| ruhigzustellen. Und genau das Gegenteil ist eingetreten. | |
| Was hat Sie journalistisch geprägt, Herr Jung? | |
| Ich habe fünf, sechs Jahre für den Nordkurier gearbeitet. Es hat mir sehr | |
| viel Spaß gemacht. Man kann überall hinfahren, die Leute reden mit einem, | |
| und dann lesen sie das auch noch, was man schreibt. Ich hatte die Chance, | |
| das Volontariat zu überspringen und fester Redakteur zu werden. Aber das | |
| war nicht das, was ich machen will. | |
| Was ist mit der Sicherheit einer Festanstellung als Grundlage für Haus, | |
| Familie, Rente? | |
| Ich komme vom Land, ich hatte ein Haus, ich war zwanzig Jahre mit meiner | |
| Familie zusammen, das war keine Option für mich. Ich wollte kein Haus, | |
| keine Familie, keinen Baum pflanzen und ich will das immer noch nicht. | |
| Geld interessiert Sie nicht? | |
| Doch, Geld war früher ganz wichtig, ich komme aus einem eher armen | |
| Elternhaus und wollte schnell Geld verdienen, um meinen Eltern nicht auf | |
| der Tasche zu liegen. | |
| Sie sind nach Berlin. | |
| Ich habe BWL studiert, weil ich ein Start-up gründen wollte, hab dann aber | |
| gemerkt, dass die meisten Start-ups nur Copycats sind. | |
| Also Ideenklau aus den USA. | |
| Dann habe ich Jura angefangen, ich wollte als Staatsanwalt für die | |
| Gerechtigkeit eintreten. Die Professoren sagten, ihr könnt den Fall lösen, | |
| aber nur so, wie ich es will. Das war nichts für mich. Dann hab ich | |
| Radiojournalismus gemacht, Interviews geführt und gemerkt, dass in der | |
| Berliner Szene so eine Attitüde herrschte. | |
| Was ist das für eine Attitüde? | |
| Wenn ich sagte, ich habe das nicht verstanden, können Sie das nochmal | |
| erklären, dann hat der und die manchmal gesagt: Nein, das ist doch dein | |
| Problem, wenn du das nicht verstehst. Ich hab mich furchtbar geärgert über | |
| diese Arroganz und habe dann versucht, einen Weg zu finden, wie ich freche, | |
| dumme Fragen stellen kann, ohne dass der Gast aufstehen kann und geht. | |
| Daraus wurde Jung & Naiv. Anfangs interviewte ich meine Freunde und die | |
| habe ich geduzt. In der elften Folge kam dann die erste Politikerin, Doro | |
| Bär. | |
| Die heutige CSU-Staatsekretärin für Digitales. | |
| Die ließ sich auch duzen und so fing das an. | |
| Inzwischen nähern Sie sich der vierhundertsten Sendung. Wer war am öftesten | |
| dabei? | |
| Von den Politikern Gregor Gysi. Der kam dreimal und das reicht jetzt aber | |
| auch. Er wiederholt sich ständig. | |
| Wer war der Lustigste? | |
| Kann ich mich nicht erinnern. | |
| Der Jusovorsitzende Kevin Kühnert hat mit dem Hashtag #diesejungenleute | |
| kritisiert, dass man ihn und andere Junge nicht ernst nimmt. Ist das auch | |
| Ihre Erfahrung? | |
| Die Erfahrung teile ich. Ich habe schnell gemerkt, dass das gravierend ist | |
| in dem Zirkel, mit dem ich zu tun habe, dass die uns nicht ernst nehmen. | |
| Ich dachte mir: Wenn ihr so auf uns herabschaut, dann nutze ich das aus. | |
| Alt gegen Jung ist der größte soziale Konflikt der nichthaltigen | |
| Weltgesellschaft, wird aber selten thematisiert. | |
| In unserem Aufwachen!-Podcast ist das ständig Thema. Wir sind eine alternde | |
| Gesellschaft, die Mehrheit der Wähler ist über fünfzig, die Parteien | |
| orientieren sich an dieser Mehrheit der Alten, in den Parteien sind auch | |
| die Alten am Ruder oder die Parteisoldaten, die nicht alt sind, aber alte | |
| Säcke. Hubertus Heil oder Peter Altmaier, die haben das Alte gefrühstückt. | |
| Und dann kommt die mediale Ebene dazu, die politischen Inhalte, die es im | |
| Fernsehen gibt, Tagesthemen, heute journal, wer guckt denn das? | |
| Diese alten Leute. | |
| Genau. Das heute journal hat ein paar Prozent Marktanteil bei den unter | |
| 49-Jährigen. Mehr Junge kennen meinen Kram als das heute journal. Das ist | |
| nicht schön, das ist ein Problem. Wir bezahlen das und dann sollte das auch | |
| für uns alle sein, wird aber nicht so gemacht. Wer älter ist und alte | |
| Erfolge hat, bei dem ist das Risiko geringer – so ist das Denken. Ich habe | |
| im Januar einen Piloten gedreht beim ZDF, kein Kabarett, kein | |
| heute-show-Kram. Meine Sache, mit Unterhaltung. Die, die das bestellt | |
| hatten, waren sehr zufrieden, bestes Ding seit Jahren, sagten die. | |
| Wir ahnen, was kommt. | |
| Drei Monate später wird einem gesagt: Nee. Dann erfährt man, dass das an | |
| wem gelegen hat? An den Alten im Sender. Je höher die Ebene geht, desto | |
| älter werden sie und die finden das dann gefährlich. Bitter. Ich hatte | |
| kurzzeitig Hoffnung, dass man da was ändern könnte. | |
| Warum wollen Sie in das alte Medium Fernsehen? | |
| Weil meine Oma das noch guckt. Und meine Mutter. Die machen nicht jeden | |
| Sonntag mein neues Interview an, die schauen Fernsehen. | |
| Sie sind in der DDR geboren. Wie war das? | |
| Ich war vier, als die Mauer fiel. Das Einzige, woran ich mich erinnere: auf | |
| den Schultern meines Vaters am Alexanderplatz irgendwann nach der Mauerfall | |
| gewesen zu sein. Sonst habe ich keine Erinnerungen an die DDR. | |
| Gut oder schlecht? | |
| Ich finde es schade, ein paar Erinnerungen hätte ich gern, um vergleichen | |
| zu können. Viele in meiner Familie sagen: Früher war es besser. Viele | |
| wurden langzeitarbeitslos, die Wende ist an ihnen vorbeigerauscht, einmal | |
| Job verloren, nie wieder einen neuen gefunden. Mein Vater hat seinen Ende | |
| der Neunziger verloren, meine Mutter war Standesbeamtin, musste in die | |
| freie Wirtschaft, hat seit neunzehn Jahren keine Gehaltserhöhung. Das war | |
| vor neunzehn Jahren noch in Ordnung und schön viel Geld, aber heutzutage | |
| ist es viel zu wenig. Ich möchte die Welt in dem Sinne besser machen, dass | |
| ich finde, unser Land wird immer asozialer, und das müssen wir ändern. | |
| Wie sieht Ihre Familie Ihre Arbeit? | |
| Mein Opa lehnt ab, was ich mache. Er ist Ende achtzig und er guckt das | |
| nicht. Selbst dann nicht, wenn ich sage, ich habe hier den | |
| SPD-Kanzlerkandidaten. Dabei ist er Sozi. Aber er sagt: Du duzt die Leute, | |
| das ist respektlos, das lehne ich ab. Ich laufe gegen Wände in der eigenen | |
| Familie, aber das war schon immer bei mir so, vielleicht hat mich das | |
| geprägt. | |
| Was haben Sie vor Ihrem Highschool-Jahr an Politik wahrgenommen? | |
| Politisch habe ich zum ersten Mal was mitbekommen, als Kohl abgewählt | |
| wurde. Das war was Großes, aber in der eigenen Familie habe ich es nicht | |
| gemerkt. Meine Eltern gehen nicht wählen, weil sie in der DDR bei den | |
| sogenannten Wahlen dazu gezwungen wurden. | |
| Wie das? | |
| Da kamen fünf vor sechs am Wahlsonntag immer die Polizisten und sagten zu | |
| meinem Vater: Komm mal mit, du warst noch nicht wählen, und dann haben sie | |
| ihn die Wahlkabine gefahren. Das waren seine Kumpels, aber trotzdem haben | |
| sie ihn abgeholt. Und seit sie frei entscheiden können, gehen sie nicht | |
| wählen. Die reiben sich die Augen, wie ich dazu kommen konnte, was ich | |
| heute mache. Ich wurde nicht am Abendbrottisch politisiert, wie es meine | |
| Gäste oft erzählen. Kann sein, dass ich froh bin, dass das bei mir nicht so | |
| war. Wir haben über andere Dinge geredet und wenn wir über Politik geredet | |
| hätten, hätten wir uns bestimmt gestritten. | |
| Auch wenn Sie kein Politiker sind, welche zentralen politischen Punkte sind | |
| Ihnen wichtig? | |
| Ich nehme das Grundgesetz ernst. Die Menschenwürde ist unantastbar, | |
| Eigentum verpflichtet, nie wieder Krieg. Wenn jetzt alle sagen, Deutschland | |
| muss sich außenpolitisch mehr engagieren, meinen sie damit: militärisch. | |
| Ich fände es gut, wenn die deutsche Verantwortung hieße, dass wir uns jetzt | |
| erst recht friedlich, diplomatisch für Frieden engagieren. Das würde jeder | |
| verstehen. Eine andere Vision: auf 0,002 Prozent unserer Wirtschaftskraft | |
| verzichten, um die deutschen Waffenexporte ganz einzustellen. Ich finde | |
| zudem die Idee von Ulrike Guérot interessant, die Nationalstaaten in Europa | |
| aufzuheben. Ich glaube auch, dass wir die EU nur so retten können. Es ist | |
| gar nicht so einfach, den Deutschen klarzumachen, dass es uns so gut geht, | |
| weil es den anderen so schlecht geht. | |
| Was stört Sie sonst noch? | |
| Die öffentlich-rechtlichen Medien orientieren sich bundespolitisch zu sehr | |
| an der Regierung und entsprechend machen sie Programm. Warum wird in | |
| Nachrichten immer über die Themen der Regierung berichtet, aber viel zu | |
| selten über die Anliegen der Opposition? Ich lehne auch den Einfluss der | |
| Parteien in den Rundfunkräten ab. | |
| Es fiel bei den Jamaika-Verhandlungen auf, dass Journalisten das unfassbar | |
| geil fanden. Normale Leute eher nicht. | |
| Exakt. Die standen vor parlamentarischen Räumen und warteten, dass die | |
| Kanzlerin mit Lindner auf den Balkon tritt, so wie früher Könige raus | |
| kamen. Ich hab schon Mitleid mit den Kollegen. Deren Redaktionen haben die | |
| fatale Dynamik verinnerlicht, dass es wichtig ist, dass umgehend und | |
| permanent gesendet wird, wenn Politiker tagelang sagen, dass nichts | |
| entschieden ist. Stets will man der Erste sein. Nur warum? Wenn wir von | |
| Krise in Deutschland und Europa reden wollen, dann betrifft sie auf jeden | |
| Fall auch den politischen Journalismus. Da möchte ich was tun. | |
| Sie stören damit den etablierten Politikjournalismus. | |
| Und wie. Das musste ich auch erstmal kapieren. Erst dachte ich, das sei nur | |
| Neid, weil viele Kollegen zwanzig Jahre darauf hinarbeiten mussten, endlich | |
| Hauptstadtkorrespondent zu werden, und dann kommt ein junger Typ und macht | |
| das auch. Aber das steckt viel tiefer drin. | |
| Was ist das Störende? | |
| Erstens stört es ihren Arbeitsablauf. Ich bringe in die | |
| Bundespressekonferenz nicht-tagesaktuelle Sachen ein. Dann dauert das | |
| länger, und sie schaffen ihren Abgabetermin nicht. Das Zweite ist die Würde | |
| der Institution. Es wird so getan, als ob ich sie hijacke und daraus eine | |
| One-Man-Show mache. Ich stelle Fragen, man sieht mich nicht – wo ist da die | |
| One-Man-Show? | |
| Was genau ist die Idee? | |
| Ich spiele zwar nicht den Charakter, den ich in den Videointerviews spiele, | |
| aber ich spiele den, der aneckt. Ich weiß mittlerweile, wie die | |
| Regierungssprecher in ihren Sprachregelungen feststecken, und ich frage – | |
| nicht damit ich sie aufs Glatteis führe, sondern damit ich bestimmte Sachen | |
| herausbekomme. Etwa bei militaristischen Einsätzen. Die Kollegen fragen in | |
| der Regel: Okay, wann gehts los, wie viel schicken wir? Ich frage: Warum | |
| gehen wir, wie kommt man hin, was ist das Ziel, was ist das Exitszenario? | |
| Es ist ein Running Gag, dass weder Regierungssprecher Seibert noch | |
| Verteidigungsministerin von der Leyen eine Antwort auf diese Fragen haben. | |
| Sie wissen nicht, warum sie mitmachen? | |
| Nein, die machen immer nur mit. Bündnisstreue und so. | |
| Hinter dem Ärger der Kollegen steht offensichtlich ein zentraler Konflikt: | |
| Was ist wirklich wichtig? Den Kollegen ist wichtig, dass der tägliche | |
| Betrieb weiterläuft. | |
| Der Begriff Betrieb ist nicht schlecht. Wenn die Regierungssprecher sich | |
| verabschieden, sagen sie gern: Danke für die gute Zusammenarbeit. | |
| Sehen Sie anders. | |
| Das lehne ich ab. Das ist keine Zusammenarbeit. Selbst wenn da eine eher | |
| linke Regierung sitzen würde, würde ich die genauso kritisieren. Diesem | |
| staatstragenden Journalismus begegne ich oft. Ich bin nicht die Fliege an | |
| der Wand, manchmal erzeuge ich Eilnachrichten durch meine Fragen, obwohl | |
| das nicht mein Ziel ist, also bin ich auch Akteur, aber ich will nicht | |
| einer vom Hof sein. | |
| Hofnarr vielleicht? | |
| Ich würde mich nicht als Hofnarr bezeichnen, ich meine es ernst. | |
| Der Hofnarr hat etwas ausgesprochen, was sonst keiner aussprechen durfte. | |
| Okay, damit kann ich leben. | |
| Für Leute, die Ihre Interviews nicht kennen, aber Satiriker, die mit | |
| Puschelmikros rumlaufen und Politiker provozieren: Was ist der Unterschied? | |
| Die kommen mit einer fertigen Frage und überraschen den Politiker. Ich sage | |
| den Politikern vorher, dass ich auch provokante Fragen stelle, aber es | |
| ernst meine. | |
| Es wird gern behauptet, dass Satireformate politische Information und | |
| Aufklärung übernehmen. Der heute-show-Anchor Oliver Welke gilt manchen als | |
| politischer Aufklärer. | |
| Bei Oliver Welke würde ich mir wünschen, dass er sich über seine Rolle | |
| Gedanken macht. Auf der einen Seite kritisiert er satirisch Politik, auf | |
| der anderen präsentiert er stolz ... | |
| ... als ZDF-Fußballmoderator ... | |
| ... die FIFA-WM einer Organisation, die durch und durch korrupt ist und | |
| über die er sich in seiner eigenen Sendung vermutlich lustig macht. Da | |
| verstehe ich Olli Welke nicht, wie er das vereinbaren kann. Oder Jörg | |
| Thadeusz, der Brummbär Berlins, der sich für eine journalistische Koryphäe | |
| hält, und dann kommt man bei einer CDU-Wahlparty vorbei und sieht, dass er | |
| die moderiert. Darf er das, fragte ich bei Twitter. Er bekam dann eine | |
| öffentliche Missbilligung vom RBB. | |
| Wie sehen Sie es denn nun, wenn andere junge Leute Satire als | |
| Politikinformation verstehen? | |
| Ich habe früher Colbert und Stewart geguckt, weil ich mich schon für | |
| Politik interessiert habe und nochmal auf einer anderen Ebene drüber lachen | |
| wollte. Ich verstehe Leute nicht, die nur über vermittelte Satire | |
| Wahlentscheidungen treffen, das halte ich für gefährlich. Die heute show | |
| scheint mir sowieso eher unpolitisch, da sind die Fragen eher, wie dick | |
| einer ist oder wie sie sich wieder blamiert hat. Böhmermann ist auch eher | |
| unpolitisch, politisch ist am ehesten Die Anstalt. | |
| Aus der Shell Jugendstudie wissen wir, dass das Politikinteresse der Jungen | |
| zugenommen hat, sie sind nur nicht mehr interessiert an Parteipolitik. Was | |
| treibt sie aus Ihrer Sicht um? | |
| Sie erwarten einen großen Wurf, sie erwarten sich Visionen, die meisten | |
| kotzt die Visionslosigkeit unserer Gesellschaft an und speziell unserer | |
| Politiker. Und das teile ich mit ihnen. Sie sehen, was ihre Freunde in | |
| aller Welt interessiert, in den sozialen Medien, dass die in Frankreich, | |
| Spanien, Griechenland ähnliche Probleme haben, obwohl es uns noch | |
| verhältnismäßig besser geht als den allermeisten im Westen, sie sehen, was | |
| der Kapitalismus mit unserer Gesellschaft anstellt, sie sehen, was die | |
| Rechten wollen. | |
| Was? | |
| Die CSU- und AfD-Logik: Gegen Ausländer, Ordnung, Arbeitgeberseite stärken, | |
| damit durch Wachstum noch mehr entsteht. Die große Nachkriegserzählung, was | |
| Deutschland ist und sein soll, was wir in der Schule gelernt haben über | |
| unser Land, dass wir nie mehr Kriege führen wollen, eine soziale | |
| Marktwirtschaft sind, das stimmt einfach nicht mehr. Die einen wollen | |
| hören, wie der Weg zurück führt, und die anderen wissen, dass das nicht | |
| geht und dass wir einen neuen Weg nach vorne finden müssen. | |
| Sie stehen für den einen Teil, Typus liberaler Weltbürger mit | |
| Highschool-Jahr. | |
| Aber uns alle eint, ohne dass ich uns als große Gruppe sehe, dass wir | |
| angekotzt sind vom Stillstand und von der Glorifizierung des Stillstands in | |
| Deutschland. Obwohl alle immer so tun, als ob es nach vorne geht. | |
| Wirtschaftswachstum heißt ja nicht, dass es gesellschaftlich nach vorne | |
| geht. Und mal eben nebenbei Ehe für alle zu beschließen, ist zwar schön und | |
| ich bin auch froh für viele meiner Freunde, aber wenn man dann merkt, dass | |
| es wieder nur ein Move der Kanzlerin ist, um andere Dinge kleinzuhalten, | |
| dann ist das bitter. | |
| Sie selbst haben ein gutes Leben. | |
| Dank dem Einfluss meiner Eltern und Mentoren hab ich mir ein gutes Leben | |
| erarbeitet. | |
| Privilegiert? | |
| Ich bin weiß, männlich und mach meine eigene politische Sendung. Ja, klar. | |
| 4 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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