# taz.de -- Tilo Jung im Interview: Angekotzt vom Stillstand | |
> Tilo Jung will kein Haus, keine Familie und keinen Baum pflanzen. Er will | |
> einen großen Wurf. | |
Interview: [1][Peter Unfried] und [2][Harald Welzer] | |
taz FUTURZWEI: Wer sind Sie? | |
Tilo Jung: Ich bin Tilo Jung. | |
Gehts noch genauer? | |
Die einen sagen Blogger, wenn sie mich nicht mögen, die anderen sagen | |
Journalist, wenn sie akzeptieren, was ich mache. | |
Sie machen Videointerviews mit Politikern, die genau so beginnen, wie wir | |
das jetzt gemacht haben, nur dass Sie duzen: Ist das politischer | |
Journalismus? | |
Würde ich schon sagen. | |
Worin unterscheidet er sich vom konventionellen Journalismus? | |
Ich adressiere Leute, die sagen, dass sie sich nicht für Politik | |
interessieren. | |
Wie definieren Sie Ihr Format Jung & Naiv und wie gewinnen Sie damit Leute | |
unter dreißig? | |
Wir führen Interviews mit interessanten Persönlichkeiten. Und meine Aufgabe | |
ist es, die so interessant zu führen, dass man dranbleibt. Mich stört, dass | |
meiner Genration unterstellt wird, unsere Aufmerksamkeitsphase sei kürzer | |
als Ihre. Wenn, dann liegt es nicht an uns, sondern an der Technologie. | |
Unsere Sendung fördert das Gegenteil, sie will die Aufmerksamkeit | |
verlängern. Deshalb mache ich lange, ausführliche Gespräche mit einer | |
Person zu ihren Gedanken. Das läuft dann ungeschnitten, manchmal anderthalb | |
Stunden und mehr. Das finde ich wichtig. Weil es keiner sonst macht. | |
Günter Gaus vor vielen Jahren. | |
Genau. Ein Gast, eine Stunde reden. Gibt‘s nicht mehr. | |
Schweizer Fernsehen. Und Richard David Precht. | |
Stimmt. Aber Richard führt akademische Diskussionen. Das kann ich leider | |
nicht. | |
Und die Unterstellung, dass junge Leute nur zwei Minuten aufpassen können, | |
ist falsch? | |
Die ist falsch. Kann sein, dass Leute das selbst glauben, weil man ihnen | |
das so gesagt hat. Wir haben eine überdurchschnittliche Verweildauer. | |
Selbst Youtube in London sagte: Hä, was führst du denn für Interviews, dass | |
deine Leute so lange dranbleiben? Unsere Abonnenten wissen natürlich auch, | |
was sie erwartet. | |
Wer schaut Ihre Interviews? | |
18- bis 35-Jährige, im Schnitt 28, 70 Prozent davon männlich. | |
Warum weniger Frauen? | |
Weiß ich nicht, kann mir vorstellen, dass die andere politische Formate | |
anschauen. | |
Jan Böhmermann sagte im Gespräch mit uns, hier spreche nicht die | |
Kunstfigur, sondern die Steuerungsmaschine der Kunstfigur. Und hier | |
interessiert uns jetzt auch Tilos Meinung. Auf welcher politischen | |
Grundlage machen Sie Ihre Sendungen? | |
Ich habe keine politische Agenda. Ich bin kein Politiker oder Aktivist, der | |
Rezepte zu haben behauptet. Ich weiß nur, wie es nicht mehr laufen sollte. | |
Ich war mit 15 und 16 an der Highschool in den USA, da wurde ich an der | |
Schule politisiert, da meine Mitschüler mich aufforderten, Deutschland zu | |
verteidigen, weil wir beim Irakkrieg nicht mitmachten. Ich war der Einzige, | |
der gegen den Krieg war. Da sagten die: Klar, du bist ja Deutscher. Da habe | |
ich Argumente gesammelt und gleichzeitig gemerkt, wie verloren man ist, | |
wenn man als Einziger eine andere Position vertritt. Ich habe dann aber | |
doch bei der Aktion meiner Schule mitgemacht: »Support the troops.« | |
Das klingt amerikanisch. | |
Ich war naiv und fand das okay, nicht den Krieg, sondern die Menschen zu | |
unterstützen. Dann bekam ich eine Pentagon-Medaille für dieses Engagement | |
und das wurde zu Hause im Nordkurier und in der Bild berichtet. Als ich in | |
meine alte Klasse zurückkam, war ich wieder Außenseiter, weil »Support the | |
troops« für die anderen anstößig war. | |
Was machte das mit Ihnen? | |
Ich wurde eine Zeit lang ein konservativer Mensch. Ich las nur die Medien, | |
die meine Meinung unterstützten und mir die Argumente gegen die anderen | |
gaben. Sodass ich 2005 auch CDU gewählt habe, was mir heute peinlich ist. | |
Was ich sagen will: Ich weiß, wie leicht man in eine bestimmte politische | |
Einstellung reinrutschen und sich dann da eingraben kann. | |
Heute sehen viele Merkel anders. Wen finden Sie sonst bei der Suche nach | |
Leuten, die die offene Gesellschaft verteidigen? | |
Jogi Löw vielleicht noch? Außer Merkel und Löw fällt mir jedenfalls niemand | |
ein, der seit meiner Jugend für Deutschland identitätsstiftend war. Aber | |
ich habe sie ja damals gewählt, weil ich total neoliberal war. Ich kam aus | |
Amerika und dachte, wenn diese Wirtschaftsfreundlichkeit dort klappt, warum | |
nicht bei uns? Ich fand Hartz IV okay, ich dachte, denen muss mal ein | |
bisschen Feuer unterm Arsch gemacht werden. Heute sehe ich es so, dass das | |
einer der großen Fehler der letzten zwanzig Jahre war, wie wir den | |
Sozialstaat umgebaut haben. Die soziale Schieflage ist einer der Gründe für | |
den Aufstieg der AfD. | |
Haben Sie Angst vor der AfD? | |
Die autoritären Entwicklungen machen mir bei den Nachbarländern mehr Angst | |
als bei uns. In der Bundesrepublik macht mich traurig, dass unsere | |
etablierten Parteien die Politik der AfD mit anderen Worten betreiben. | |
Was ist der Beleg dafür? | |
Im Herbst 2015 klagte die AfD in der Bundespressekonferenz Angela Merkel | |
als Schlepperin an und präsentierte einen Zehnpunkteplan. In den | |
darauffolgenden Monaten habe ich in der Bundespressekonferenz gemerkt, dass | |
sieben oder acht Punkte dieses Plans von der Bundesregierung umgesetzt | |
wurden, nur anders genannt. Im Prinzip hat die AfD die Leitlinien der | |
Bundespolitik in der sogenannten Flüchtlingskrise bereitgestellt. Unsere | |
Regierung hat das angenommen in der Hoffnung, die Leute damit | |
ruhigzustellen. Und genau das Gegenteil ist eingetreten. | |
Was hat Sie journalistisch geprägt, Herr Jung? | |
Ich habe fünf, sechs Jahre für den Nordkurier gearbeitet. Es hat mir sehr | |
viel Spaß gemacht. Man kann überall hinfahren, die Leute reden mit einem, | |
und dann lesen sie das auch noch, was man schreibt. Ich hatte die Chance, | |
das Volontariat zu überspringen und fester Redakteur zu werden. Aber das | |
war nicht das, was ich machen will. | |
Was ist mit der Sicherheit einer Festanstellung als Grundlage für Haus, | |
Familie, Rente? | |
Ich komme vom Land, ich hatte ein Haus, ich war zwanzig Jahre mit meiner | |
Familie zusammen, das war keine Option für mich. Ich wollte kein Haus, | |
keine Familie, keinen Baum pflanzen und ich will das immer noch nicht. | |
Geld interessiert Sie nicht? | |
Doch, Geld war früher ganz wichtig, ich komme aus einem eher armen | |
Elternhaus und wollte schnell Geld verdienen, um meinen Eltern nicht auf | |
der Tasche zu liegen. | |
Sie sind nach Berlin. | |
Ich habe BWL studiert, weil ich ein Start-up gründen wollte, hab dann aber | |
gemerkt, dass die meisten Start-ups nur Copycats sind. | |
Also Ideenklau aus den USA. | |
Dann habe ich Jura angefangen, ich wollte als Staatsanwalt für die | |
Gerechtigkeit eintreten. Die Professoren sagten, ihr könnt den Fall lösen, | |
aber nur so, wie ich es will. Das war nichts für mich. Dann hab ich | |
Radiojournalismus gemacht, Interviews geführt und gemerkt, dass in der | |
Berliner Szene so eine Attitüde herrschte. | |
Was ist das für eine Attitüde? | |
Wenn ich sagte, ich habe das nicht verstanden, können Sie das nochmal | |
erklären, dann hat der und die manchmal gesagt: Nein, das ist doch dein | |
Problem, wenn du das nicht verstehst. Ich hab mich furchtbar geärgert über | |
diese Arroganz und habe dann versucht, einen Weg zu finden, wie ich freche, | |
dumme Fragen stellen kann, ohne dass der Gast aufstehen kann und geht. | |
Daraus wurde Jung & Naiv. Anfangs interviewte ich meine Freunde und die | |
habe ich geduzt. In der elften Folge kam dann die erste Politikerin, Doro | |
Bär. | |
Die heutige CSU-Staatsekretärin für Digitales. | |
Die ließ sich auch duzen und so fing das an. | |
Inzwischen nähern Sie sich der vierhundertsten Sendung. Wer war am öftesten | |
dabei? | |
Von den Politikern Gregor Gysi. Der kam dreimal und das reicht jetzt aber | |
auch. Er wiederholt sich ständig. | |
Wer war der Lustigste? | |
Kann ich mich nicht erinnern. | |
Der Jusovorsitzende Kevin Kühnert hat mit dem Hashtag #diesejungenleute | |
kritisiert, dass man ihn und andere Junge nicht ernst nimmt. Ist das auch | |
Ihre Erfahrung? | |
Die Erfahrung teile ich. Ich habe schnell gemerkt, dass das gravierend ist | |
in dem Zirkel, mit dem ich zu tun habe, dass die uns nicht ernst nehmen. | |
Ich dachte mir: Wenn ihr so auf uns herabschaut, dann nutze ich das aus. | |
Alt gegen Jung ist der größte soziale Konflikt der nichthaltigen | |
Weltgesellschaft, wird aber selten thematisiert. | |
In unserem Aufwachen!-Podcast ist das ständig Thema. Wir sind eine alternde | |
Gesellschaft, die Mehrheit der Wähler ist über fünfzig, die Parteien | |
orientieren sich an dieser Mehrheit der Alten, in den Parteien sind auch | |
die Alten am Ruder oder die Parteisoldaten, die nicht alt sind, aber alte | |
Säcke. Hubertus Heil oder Peter Altmaier, die haben das Alte gefrühstückt. | |
Und dann kommt die mediale Ebene dazu, die politischen Inhalte, die es im | |
Fernsehen gibt, Tagesthemen, heute journal, wer guckt denn das? | |
Diese alten Leute. | |
Genau. Das heute journal hat ein paar Prozent Marktanteil bei den unter | |
49-Jährigen. Mehr Junge kennen meinen Kram als das heute journal. Das ist | |
nicht schön, das ist ein Problem. Wir bezahlen das und dann sollte das auch | |
für uns alle sein, wird aber nicht so gemacht. Wer älter ist und alte | |
Erfolge hat, bei dem ist das Risiko geringer – so ist das Denken. Ich habe | |
im Januar einen Piloten gedreht beim ZDF, kein Kabarett, kein | |
heute-show-Kram. Meine Sache, mit Unterhaltung. Die, die das bestellt | |
hatten, waren sehr zufrieden, bestes Ding seit Jahren, sagten die. | |
Wir ahnen, was kommt. | |
Drei Monate später wird einem gesagt: Nee. Dann erfährt man, dass das an | |
wem gelegen hat? An den Alten im Sender. Je höher die Ebene geht, desto | |
älter werden sie und die finden das dann gefährlich. Bitter. Ich hatte | |
kurzzeitig Hoffnung, dass man da was ändern könnte. | |
Warum wollen Sie in das alte Medium Fernsehen? | |
Weil meine Oma das noch guckt. Und meine Mutter. Die machen nicht jeden | |
Sonntag mein neues Interview an, die schauen Fernsehen. | |
Sie sind in der DDR geboren. Wie war das? | |
Ich war vier, als die Mauer fiel. Das Einzige, woran ich mich erinnere: auf | |
den Schultern meines Vaters am Alexanderplatz irgendwann nach der Mauerfall | |
gewesen zu sein. Sonst habe ich keine Erinnerungen an die DDR. | |
Gut oder schlecht? | |
Ich finde es schade, ein paar Erinnerungen hätte ich gern, um vergleichen | |
zu können. Viele in meiner Familie sagen: Früher war es besser. Viele | |
wurden langzeitarbeitslos, die Wende ist an ihnen vorbeigerauscht, einmal | |
Job verloren, nie wieder einen neuen gefunden. Mein Vater hat seinen Ende | |
der Neunziger verloren, meine Mutter war Standesbeamtin, musste in die | |
freie Wirtschaft, hat seit neunzehn Jahren keine Gehaltserhöhung. Das war | |
vor neunzehn Jahren noch in Ordnung und schön viel Geld, aber heutzutage | |
ist es viel zu wenig. Ich möchte die Welt in dem Sinne besser machen, dass | |
ich finde, unser Land wird immer asozialer, und das müssen wir ändern. | |
Wie sieht Ihre Familie Ihre Arbeit? | |
Mein Opa lehnt ab, was ich mache. Er ist Ende achtzig und er guckt das | |
nicht. Selbst dann nicht, wenn ich sage, ich habe hier den | |
SPD-Kanzlerkandidaten. Dabei ist er Sozi. Aber er sagt: Du duzt die Leute, | |
das ist respektlos, das lehne ich ab. Ich laufe gegen Wände in der eigenen | |
Familie, aber das war schon immer bei mir so, vielleicht hat mich das | |
geprägt. | |
Was haben Sie vor Ihrem Highschool-Jahr an Politik wahrgenommen? | |
Politisch habe ich zum ersten Mal was mitbekommen, als Kohl abgewählt | |
wurde. Das war was Großes, aber in der eigenen Familie habe ich es nicht | |
gemerkt. Meine Eltern gehen nicht wählen, weil sie in der DDR bei den | |
sogenannten Wahlen dazu gezwungen wurden. | |
Wie das? | |
Da kamen fünf vor sechs am Wahlsonntag immer die Polizisten und sagten zu | |
meinem Vater: Komm mal mit, du warst noch nicht wählen, und dann haben sie | |
ihn die Wahlkabine gefahren. Das waren seine Kumpels, aber trotzdem haben | |
sie ihn abgeholt. Und seit sie frei entscheiden können, gehen sie nicht | |
wählen. Die reiben sich die Augen, wie ich dazu kommen konnte, was ich | |
heute mache. Ich wurde nicht am Abendbrottisch politisiert, wie es meine | |
Gäste oft erzählen. Kann sein, dass ich froh bin, dass das bei mir nicht so | |
war. Wir haben über andere Dinge geredet und wenn wir über Politik geredet | |
hätten, hätten wir uns bestimmt gestritten. | |
Auch wenn Sie kein Politiker sind, welche zentralen politischen Punkte sind | |
Ihnen wichtig? | |
Ich nehme das Grundgesetz ernst. Die Menschenwürde ist unantastbar, | |
Eigentum verpflichtet, nie wieder Krieg. Wenn jetzt alle sagen, Deutschland | |
muss sich außenpolitisch mehr engagieren, meinen sie damit: militärisch. | |
Ich fände es gut, wenn die deutsche Verantwortung hieße, dass wir uns jetzt | |
erst recht friedlich, diplomatisch für Frieden engagieren. Das würde jeder | |
verstehen. Eine andere Vision: auf 0,002 Prozent unserer Wirtschaftskraft | |
verzichten, um die deutschen Waffenexporte ganz einzustellen. Ich finde | |
zudem die Idee von Ulrike Guérot interessant, die Nationalstaaten in Europa | |
aufzuheben. Ich glaube auch, dass wir die EU nur so retten können. Es ist | |
gar nicht so einfach, den Deutschen klarzumachen, dass es uns so gut geht, | |
weil es den anderen so schlecht geht. | |
Was stört Sie sonst noch? | |
Die öffentlich-rechtlichen Medien orientieren sich bundespolitisch zu sehr | |
an der Regierung und entsprechend machen sie Programm. Warum wird in | |
Nachrichten immer über die Themen der Regierung berichtet, aber viel zu | |
selten über die Anliegen der Opposition? Ich lehne auch den Einfluss der | |
Parteien in den Rundfunkräten ab. | |
Es fiel bei den Jamaika-Verhandlungen auf, dass Journalisten das unfassbar | |
geil fanden. Normale Leute eher nicht. | |
Exakt. Die standen vor parlamentarischen Räumen und warteten, dass die | |
Kanzlerin mit Lindner auf den Balkon tritt, so wie früher Könige raus | |
kamen. Ich hab schon Mitleid mit den Kollegen. Deren Redaktionen haben die | |
fatale Dynamik verinnerlicht, dass es wichtig ist, dass umgehend und | |
permanent gesendet wird, wenn Politiker tagelang sagen, dass nichts | |
entschieden ist. Stets will man der Erste sein. Nur warum? Wenn wir von | |
Krise in Deutschland und Europa reden wollen, dann betrifft sie auf jeden | |
Fall auch den politischen Journalismus. Da möchte ich was tun. | |
Sie stören damit den etablierten Politikjournalismus. | |
Und wie. Das musste ich auch erstmal kapieren. Erst dachte ich, das sei nur | |
Neid, weil viele Kollegen zwanzig Jahre darauf hinarbeiten mussten, endlich | |
Hauptstadtkorrespondent zu werden, und dann kommt ein junger Typ und macht | |
das auch. Aber das steckt viel tiefer drin. | |
Was ist das Störende? | |
Erstens stört es ihren Arbeitsablauf. Ich bringe in die | |
Bundespressekonferenz nicht-tagesaktuelle Sachen ein. Dann dauert das | |
länger, und sie schaffen ihren Abgabetermin nicht. Das Zweite ist die Würde | |
der Institution. Es wird so getan, als ob ich sie hijacke und daraus eine | |
One-Man-Show mache. Ich stelle Fragen, man sieht mich nicht – wo ist da die | |
One-Man-Show? | |
Was genau ist die Idee? | |
Ich spiele zwar nicht den Charakter, den ich in den Videointerviews spiele, | |
aber ich spiele den, der aneckt. Ich weiß mittlerweile, wie die | |
Regierungssprecher in ihren Sprachregelungen feststecken, und ich frage – | |
nicht damit ich sie aufs Glatteis führe, sondern damit ich bestimmte Sachen | |
herausbekomme. Etwa bei militaristischen Einsätzen. Die Kollegen fragen in | |
der Regel: Okay, wann gehts los, wie viel schicken wir? Ich frage: Warum | |
gehen wir, wie kommt man hin, was ist das Ziel, was ist das Exitszenario? | |
Es ist ein Running Gag, dass weder Regierungssprecher Seibert noch | |
Verteidigungsministerin von der Leyen eine Antwort auf diese Fragen haben. | |
Sie wissen nicht, warum sie mitmachen? | |
Nein, die machen immer nur mit. Bündnisstreue und so. | |
Hinter dem Ärger der Kollegen steht offensichtlich ein zentraler Konflikt: | |
Was ist wirklich wichtig? Den Kollegen ist wichtig, dass der tägliche | |
Betrieb weiterläuft. | |
Der Begriff Betrieb ist nicht schlecht. Wenn die Regierungssprecher sich | |
verabschieden, sagen sie gern: Danke für die gute Zusammenarbeit. | |
Sehen Sie anders. | |
Das lehne ich ab. Das ist keine Zusammenarbeit. Selbst wenn da eine eher | |
linke Regierung sitzen würde, würde ich die genauso kritisieren. Diesem | |
staatstragenden Journalismus begegne ich oft. Ich bin nicht die Fliege an | |
der Wand, manchmal erzeuge ich Eilnachrichten durch meine Fragen, obwohl | |
das nicht mein Ziel ist, also bin ich auch Akteur, aber ich will nicht | |
einer vom Hof sein. | |
Hofnarr vielleicht? | |
Ich würde mich nicht als Hofnarr bezeichnen, ich meine es ernst. | |
Der Hofnarr hat etwas ausgesprochen, was sonst keiner aussprechen durfte. | |
Okay, damit kann ich leben. | |
Für Leute, die Ihre Interviews nicht kennen, aber Satiriker, die mit | |
Puschelmikros rumlaufen und Politiker provozieren: Was ist der Unterschied? | |
Die kommen mit einer fertigen Frage und überraschen den Politiker. Ich sage | |
den Politikern vorher, dass ich auch provokante Fragen stelle, aber es | |
ernst meine. | |
Es wird gern behauptet, dass Satireformate politische Information und | |
Aufklärung übernehmen. Der heute-show-Anchor Oliver Welke gilt manchen als | |
politischer Aufklärer. | |
Bei Oliver Welke würde ich mir wünschen, dass er sich über seine Rolle | |
Gedanken macht. Auf der einen Seite kritisiert er satirisch Politik, auf | |
der anderen präsentiert er stolz ... | |
... als ZDF-Fußballmoderator ... | |
... die FIFA-WM einer Organisation, die durch und durch korrupt ist und | |
über die er sich in seiner eigenen Sendung vermutlich lustig macht. Da | |
verstehe ich Olli Welke nicht, wie er das vereinbaren kann. Oder Jörg | |
Thadeusz, der Brummbär Berlins, der sich für eine journalistische Koryphäe | |
hält, und dann kommt man bei einer CDU-Wahlparty vorbei und sieht, dass er | |
die moderiert. Darf er das, fragte ich bei Twitter. Er bekam dann eine | |
öffentliche Missbilligung vom RBB. | |
Wie sehen Sie es denn nun, wenn andere junge Leute Satire als | |
Politikinformation verstehen? | |
Ich habe früher Colbert und Stewart geguckt, weil ich mich schon für | |
Politik interessiert habe und nochmal auf einer anderen Ebene drüber lachen | |
wollte. Ich verstehe Leute nicht, die nur über vermittelte Satire | |
Wahlentscheidungen treffen, das halte ich für gefährlich. Die heute show | |
scheint mir sowieso eher unpolitisch, da sind die Fragen eher, wie dick | |
einer ist oder wie sie sich wieder blamiert hat. Böhmermann ist auch eher | |
unpolitisch, politisch ist am ehesten Die Anstalt. | |
Aus der Shell Jugendstudie wissen wir, dass das Politikinteresse der Jungen | |
zugenommen hat, sie sind nur nicht mehr interessiert an Parteipolitik. Was | |
treibt sie aus Ihrer Sicht um? | |
Sie erwarten einen großen Wurf, sie erwarten sich Visionen, die meisten | |
kotzt die Visionslosigkeit unserer Gesellschaft an und speziell unserer | |
Politiker. Und das teile ich mit ihnen. Sie sehen, was ihre Freunde in | |
aller Welt interessiert, in den sozialen Medien, dass die in Frankreich, | |
Spanien, Griechenland ähnliche Probleme haben, obwohl es uns noch | |
verhältnismäßig besser geht als den allermeisten im Westen, sie sehen, was | |
der Kapitalismus mit unserer Gesellschaft anstellt, sie sehen, was die | |
Rechten wollen. | |
Was? | |
Die CSU- und AfD-Logik: Gegen Ausländer, Ordnung, Arbeitgeberseite stärken, | |
damit durch Wachstum noch mehr entsteht. Die große Nachkriegserzählung, was | |
Deutschland ist und sein soll, was wir in der Schule gelernt haben über | |
unser Land, dass wir nie mehr Kriege führen wollen, eine soziale | |
Marktwirtschaft sind, das stimmt einfach nicht mehr. Die einen wollen | |
hören, wie der Weg zurück führt, und die anderen wissen, dass das nicht | |
geht und dass wir einen neuen Weg nach vorne finden müssen. | |
Sie stehen für den einen Teil, Typus liberaler Weltbürger mit | |
Highschool-Jahr. | |
Aber uns alle eint, ohne dass ich uns als große Gruppe sehe, dass wir | |
angekotzt sind vom Stillstand und von der Glorifizierung des Stillstands in | |
Deutschland. Obwohl alle immer so tun, als ob es nach vorne geht. | |
Wirtschaftswachstum heißt ja nicht, dass es gesellschaftlich nach vorne | |
geht. Und mal eben nebenbei Ehe für alle zu beschließen, ist zwar schön und | |
ich bin auch froh für viele meiner Freunde, aber wenn man dann merkt, dass | |
es wieder nur ein Move der Kanzlerin ist, um andere Dinge kleinzuhalten, | |
dann ist das bitter. | |
Sie selbst haben ein gutes Leben. | |
Dank dem Einfluss meiner Eltern und Mentoren hab ich mir ein gutes Leben | |
erarbeitet. | |
Privilegiert? | |
Ich bin weiß, männlich und mach meine eigene politische Sendung. Ja, klar. | |
4 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
Harald Welzer | |
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