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# taz.de -- Tiki-Trend: Die Südseewelle schwappt rüber
> Die Tiki- Kultur erlebte seine Blüte in den späten Fünfzigern und den
> frühen Siebzigern. Jetzt werden die Blumenketten und Hawaii-Hemden wieder
> entdeckt.
Bild: Anders als das Hawaii-Hemd hat sich das Baströckchen noch nicht durchges…
"Bali Hai", so heißt es, sei eine wunderbare Insel, ein Paradies in der
Südsee mit bunten Vögeln, schönen Schwarzhaarigen in Kokosnussbikinis und
von Hawaiigitarrensound und Wellenrauschen untermalten Sonnenuntergängen.
In Wirklichkeit, das erklärt jemand im Film "Armchair Travelling", sei
"Bali Hai" eine der hässlichsten, schmutzigsten und stinkigsten Orte, die
der Schriftsteller James A. Michener je gesehen hätte. Und nur, weil ihm
der Name gefiel, habe er eine der Inseln seiner "Tales of the South
Pacific" so genannt.
Das war kurz nach dem zweiten Weltkrieg, 1949 adaptierten Richard Rodgers
und Oscar Hammerstein II das Buch für ihr Broadway-Musical "South Pacific".
Und legten damit den Grundstein für die Tiki-Leidenschaft, die sich -
passend zur Südsee - in Wellenbewegungen durch die Festland-Zivilisationen
der Kontinente bewegt: Tiki, ein Wort aus der Maori-Sprache, das
gleichzeitig "Mensch", "Gott", "Schnitzerei" und "Phallus" bedeutet, heißt
seit den 50ern hochprozentige Rum-Cocktails, Hawaii-Hemden, barbauchige
Hulamädchen, holzgeschnitzte Tikigötter und allerhand polynesischer Nippes.
Tiki war eine Mode, die sich in den USA von den 50ern bis in die frühen
70er hielt. Passend zum zweifelhaften Status als 50. Bundesstaat der USA,
den Hawaii 1959 verliehen bekam, versuchte man, dem streng reglementierten
Alltag durch eine Flucht ins Paradies zu entkommen, einem diffusen Fernweh
zu frönen oder sich mit Hilfe einer Blumenkette, eines unzureichend
verhüllten Barmädchens und eines Daiquiris kurz auszuschalten.
In Sven A. Kirstens 2000 im Taschen Verlag erschienenen Standardwerk "The
Book of Tiki" wird diese Flucht dokumentiert, und es wimmelt von Bildern,
auf denen barfüßige Beehive-Trägerinnen schüchtern fruchtig verzierte
Drinks servieren, und spießige 50er-Jahre-Paare steif in prachtvollen
Bambus-Tiki- Restaurants und Hotels herumstehen. Das neue, soeben
erschienene Buch des Tiki-Experten heißt "Tiki Modern", und wieder hat
Kirsten zwei Buchdeckel mit pittoresken 50s- und 60s-Schätzchen gefüllt. Er
widmet sich diesmal Teilaspekten wie etwa den bekanntesten Tiki-Schnitzern
"The house of Witco", dem "Do-it-yourself-Tiki", nach dessen
Bastelanleitungen die giggelnde Prä-Ikea-Gemeinde in den 60ern Hulagötter
und böse guckende Masken für die Tiki-Ecke im Wohnzimmer zusammentackerte,
der "Bedeutung und Geschichte des Leopardendrucks" und dem "Primitivismus
in der modernen Welt" - eine interessante wie grundätzliche
Auseinandersetzung mit dem Begriff des "Primitiven" in der Kunst und der
Attraktivität der damit verbundenen Attribute, die in Ankündigungspostern
mit Aufschriften wie "50 wilde Kongoweiber, Männer und Kinder in ihrem
aufgebauten Kongodorfe" für eine 1913 in Berlin stattfindende Ausstellung
kulminieren.
"Polynesian Pop" heißt das Phänomen in Jochen Hirschfelds
Tiki-Dokumentation, die heute Abend zusammen mit einer Lesung von Kirsten,
einem Konzert und jeder Menge Tikidrinks für einen Abend in Berlin halt
macht, und trifft es damit genau. Denn mehr als Pop scheint die Tikiwelt
für ihre späten KonsumentInnen nicht zu sein: Die Bedeutung der
polynesischen Mythologie, der Rituale, der grimmigen Masken und Designs,
oder das Verhältnis zwischen den Zivilisationsaussteigern, angefangen mit
Paul Gauguin bis hin zu Elvis Presley im Film "Blaues Hawaii", und vor
allem den Inselbewohnerinnen sind für die meisten Tikifans nicht von
Interesse. Man annektiert Folklore ganz nach dem "Aloha"-Motto, das für
Gastfreundschaft, Respekt und Liebe steht.
Auch Hirschfelds Film kann dem nicht abhelfen, trotz aller
Detailverliebtheit und beeindruckendem Rechercheaufwand ist "Armchair
Travelling", der nun auf DVD erscheint, eine streckenweise schön
anzuschauende und elegant geschnittene Talking-Heads-Aneinanderreihung mit
bis ins Klitzekleinste augebreiteten Geschichten darüber, wer nun wo den
ersten Mai Thai gemixt und welche Bar eingerichtet hat. Spannende Infos
sind rar, wie etwa der Hinweis, dass der echte Südseebewohner eher den
bitteren, alkoholfreien Kava trinkt, und die Rum-Basis für die Tikidrinks
vor allem der nach-prohibitionellen Alkoholknappheit und dem günstigen
Rumpreis geschuldet ist. Und Frauen kommen nur als sexy Hulamädchen vor -
ursprünglich war Tiki ein typischer "Bachelor"-Trend.
Heute hat er viele Fans, die man getrost Nerds nennen kann - FreundInnen
einer früheren Zeitepoche zeichnen sich oft durch eine genaue Adaption der
Gegebenheiten ihres Lieblingsjahrzehnts aus. Für den modernen Tikifan, denn
Tiki hat in Form von dekorativen Bars und Läden seit ein paar Jahren auch
Deutschland überzeugt, ist die Nähe zu den 50ern und 60ern wichtiger als
der Ethno-Anteil: Vor allem in Rockabilly-Zusammenhängen, in denen die 50er
als wichtigster modischer, musikalischer und stilistischer Einfluss geltend
gemacht werden, kommen die Rattan-Bars gut an. Indonesische Restaurants mit
Bambuswänden und Ente an Bali-Sauce gibt es zwar schon ewig, aber erst die
neuen Tikibars schafften die Brücke zur modernen Rock-n-Roll-Variante: Tiki
und Tattoo vertragen sich gut.
Trotz vereinzelter Frauenzeitungs-Modestrecken oder Tiki-Bareinrichtungen
in schlimmen Vorabendserien ist Tiki in Deutschland nach wie vor eher ein
Nischenstil, zu camp und zu eigenwillig kitschig für den Mainstream. Wenn
man Glück hat, ändert sich das auch nicht: Als Massenphänomen würde Tiki
seinen Charme verlieren.
Sven A. Kirsten: "Tiki Modern. Sexy Savage: Excavating Tikis Finest
Offerings". Taschen Verlag, 336 S., 29,99 Euro
"Armchair Travelling". DVD
Tour: heute Abend Berlin, 27. 9. München, 28. 9. Zürich, 29. 9. St. Gallen
21 Sep 2007
## AUTOREN
Jenni Zylka
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