# taz.de -- Terror im Irak: Hexenjagd im Zweistromland | |
> Jesiden, Christen und andere Minderheiten leiden unter religiösem Terror | |
> und den Machtkämpfen der Kurden. Höhepunkt des Hasses: die Steinigung | |
> einer Siebzehnjährigen. | |
Bild: Trümmer eines Wohngebiet der Jesiden in Khatania am Dienstag nach einem … | |
NINIVE-EBENE taz Einige flache Betonhäuser, eine kleine Ladenstraße und | |
zwei, drei Villen sind alles, was das Dorf Tell Eskof in der Ninive-Ebene | |
nördlich von Mossul zu bieten hat. Lieber heute als morgen möchte Nisan | |
Franso wieder nach Bagdad in ihre Wohnung zurück. Doch daran ist vorläufig | |
nicht zu denken. Denn Nisan (36) ist Christin. | |
In ihrem Stadtteil machen sunnitische Extremisten Hatz auf Christen. Sie | |
verlangen, dass die Christen "Sondersteuern" entrichten oder gar zum Islam | |
konvertieren. "Täglich gingen neue Drohungen bei uns ein", sagt Franso. Als | |
schließlich ihr Nachbar ermordet wurde, packte sie mit ihrer Familie das | |
Nötigste und flüchtete nach Tell Eskof im Nordwesten des Irak. Ihre | |
Schwester Salima kam aus dem südirakischen Basra dorthin, aus Angst, dass | |
sich schiitische Milizen an ihren drei Töchtern vergreifen könnten. Die | |
beiden teilen sich nun ein bescheidenes Haus mit einer Christin, die sich | |
aus Mossul dorthin flüchtete. | |
Wie die Frauen aus Bagdad, Basra und Mossul sind tausende Christen und | |
Angehörige anderer Minderheiten aus dem gesamten Land in den Nordirak | |
geflohen. Hier waren sie bislang vor religiöser Verfolgung sicher. Doch | |
nach den Anschlägen in den Wohngebieten der Jesiden am Dienstag scheinen | |
auch die Rückzugsgebiete im von Kurden kontrollierten Irak an den Terror | |
verloren zu gehen. | |
Auch die Jesiden sind Kurden, aber sie misstrauen der kurdischen | |
Regionalmacht. Ursprung sind auch religiöse Unterschiede: Viele Jesiden | |
sehen in ihrer 4.000 Jahre alten Religion die Wurzeln der Kurden. Sie | |
glauben jedoch im Gegensatz zu den mehrheitlich sunnitischen Kurden nicht | |
an das Böse in Gestalt des Teufels. Dennoch werden sie von ihren Nachbarn | |
als "Teufelsanbeter" verunglimpft, denn die Jesiden verehren einen Engel in | |
der irdischen Gestalt eines Pfau, den Christen und Muslime in der Region | |
als Verkörperung des Teufel betrachten. | |
Die tiefsitzenden Ressentiments brachen Ende April erneut aus, als eine | |
junge Jesidin aus Bashika ermordet wurde. Sie hatte eine Liebelei mit einem | |
sunnitischen Araber gehabt und war zum Islam konvertiert. Der Mord wurde | |
auf einem Handy-Video dokumentiert, das in ganz Nordirak verbreitet wurde: | |
Ein entfesselter Mob meist junger Männer aus dem Dorf des Mädchens zerrt | |
die 17-jährige durch die Straßen, tritt sie mit Füßen und erschlägt sie | |
schließlich mit einem Zementblock. Polizisten sahen tatenlos zu, Frauen | |
trillerten, als wäre es eine Freudenfeier. | |
Als "Vergeltung für das Verbrechen der Ungläubigen" ermordeten sunnitische | |
Extremisten in Mossul 26 Jesiden. Selbst in Kurdistan wurden Jesiden | |
angepöbelt und angegriffen, erst nach einem Machtwort von Regionalpräsident | |
Barsani kehrte wieder Ruhe ein. Vertreter der Jesiden, die den Mord | |
ebenfalls scharf verurteilen, werfen den Kurden jedoch vor, mit zweierlei | |
Maß zu messen: Vor einiger Zeit hatten Kurden eine Sunnitin ermordet, der | |
man ein Verhältnis mit einem Jesiden angedichtet hatte. Der Mord hatte kaum | |
Aufsehen erregt, allerdings kam es in Sheikhan, dem Sitz des geistlichen | |
Oberhaupts der Jesiden, zu Ausschreitungen. Bewohner fühlten sich in | |
vergangene Zeiten zurück versetzt, als hunderte von Jesiden Pogromen zum | |
Opfer fielen. | |
Trotz der Machtworte von Barsani ist unter den Jesiden seitdem das Gefühl | |
stark, dass sie den Muslimen schutzlos ausgeliefert sind. Zumal zahlreiche | |
Einwohner von jesidischen Gemeinden die Kurden bezichtigen, mit gezielten | |
Landkäufen die Jesiden-Region zu kolonisieren - und zu islamisieren. | |
Memo Osman, Berater von Barsani in Erbil und selbst Jeside, kann den Unmut | |
seiner Glaubensgemeinschaft wie auch den der Christen und der schiitischen | |
Shabak, einer anderen Minderheit, verstehen. Er hält der eigenen Regierung | |
Versäumnisse vor. "Die Regionalregierung hat nichts für den öffentlichen | |
Sektor in diesen Gebieten getan", sagt Osman. "Die Menschen wollen konkrete | |
Schritte sehen, sie wollen Hilfe." Deshalb müsse die Regierung dringend die | |
Dienstleistungen dort verbessern. Dann ändere sich auch die Stimmung. Die | |
religiösen Spannungen und Vorurteile könnten allerdings nur durch einen | |
"Dialog der Religionen" abgebaut werden. "Überleben können wir aber nur | |
unter dem Schutz Kurdistans", sagt Osman. "Das ist unsere einzige Chance. | |
Die Araber werden uns vernichten." | |
Für das weitgehend friedliche Miteinander der Religionen und Völker in der | |
Region hatten bislang kurdische Einheiten gesorgt. Sie kontrollieren | |
faktisch die Gebiete bis kurz vor Mossul, und ihre Führung setzt sich für | |
religiöse Toleranz ein. Doch das sei auch schon alles, sagt ein | |
Dorfbewohner von Tell Eskof. Einheiten der kurdischen Sicherheitspolizei | |
Asaish haben ihn im Dorf festgenommen. "Sie haben mir die Augen verbunden | |
und mich angekettet", sagt er. "Drei Tage haben sie mich immer wieder | |
geschlagen." Nach fünf Tagen sei er freigelassen worden. Er und andere | |
Folteropfer glauben, dass sie Opfer von Racheakten wurden, weil sie sich | |
den Plänen der Kurden zur Erweiterung des kurdischen Teilstaats | |
widersetzen. | |
Die Ninive-Ebene um Mossul ist umstrittenes Territorium. Die Kurden wollen | |
das Gebiet wie Kirkuk und Teile der Provinzen Diyala und Salahaddin in | |
ihren Teilstaat integrieren. Dabei haben sie in der Gegend von Mossul | |
bereits vollendete Tatsachen geschaffen. An den Straßen haben Einheiten der | |
Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) von Masud Barsani Stellung bezogen. | |
Ihre Parteigänger bestimmen auch die örtlichen Verwaltungen. Christliche | |
Politiker wie Amin Koshaba von der Assyrischen Demokratischen Bewegung | |
laufen dagegen Sturm. "Wir Assyrer sind die Ureinwohner des Irak", sagt | |
Koshaba. "Wir haben eine eigene Sprache und Kultur, diese wollen wir | |
bewahren." | |
Mit den Chaldäern bilden die Assyrer die größte der christlichen | |
Gemeinschaften im Irak, im Parlament sind sie mit einem Abgeordneten | |
vertreten. "Die Ninive-Ebene ist unser Land", sagt Koshaba. "Wir wollen | |
hier eine Selbstverwaltung." | |
Das Gebiet soll von al-Kosh, der frühchristlichen Klosteranlage, bis zum | |
historischen Nimrud die fruchtbare Ebene zwischen Tigris und dem Großen Zab | |
umfassen. In etwa also das Gebiet des antiken Assyrerreichs, nicht groß, | |
aber nirgendwo im Irak leben so viele Völker und Religionsgemeinschaften | |
wie hier. Über Jahrhunderte haben Araber, Kurden, Turkmenen, Christen, | |
Jesiden, Shabak und Juden miteinander Handel getrieben und sich in | |
Notzeiten unterstützt. Genauso alt sind auch die Konflikte um Land und | |
Macht. | |
15 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
## TAGS | |
Irak | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Menschenrechtsverletzungen im Irak-Krieg: Schadensersatz für Folteropfer | |
Großbritannien hat bisher schon über 17 Millionen Euro Schadensersatz an | |
205 Folteropfer gezahlt. Sie waren im Irak von britischen Soldaten | |
misshandelt worden. | |
Anschlagsserie im Irak: Terror im letzten Refugium | |
Bei der Anschlagsserie am Dienstag sind in der Region Ninive nach neueren | |
Angaben rund 500 Menschen gestorben. Vertrieben vom Militär weichen | |
Terrorzellen auf friedliche Regionen aus. |