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# taz.de -- Streit um elfjährige Transsexuelle: Alex soll in die Psychiatrie
> Die transsexuelle Alex fühlt sich als Mädchen und lebt auch so. Nun
> urteilte ein Gericht, dass ihre Mutter die Transexualität „induziert“
> habe. Das Kind soll in die Psychiatrie.
Bild: Alex fühlt sich als Mädchen.
BERLIN taz | Die transsexuelle Alex Kaminski (Name geändert) darf in die
Psychiatrie eingewiesen werden. Dies entschied das Berliner Kammergericht
am Donnerstag. Die Mutter der Elfjährigen hatte gegen die Entscheidung des
Jugendamts geklagt und verloren. Ihr Anwalt kündigte an, vors
Verfassungsgericht zu ziehen.
Das Kind, das sich sein Leben lang als Mädchen fühlt und wie ein Mädchen
lebt, darf nun in die Berliner Charité zwangseingewiesen werden. Das
Jugendamt konnte diese Entscheidung treffen, weil die getrennt lebenden
Eltern unterschiedliche Auffassungen über die medizinische Behandlung des
Kindes hatten und die Gesundheitsfürsorge deshalb ans Jugendamt abgetreten
hatten. Dort vertrat eine Pflegerin die Auffassung, Alex solle in der
Charité stationär behandelt werden und anschließend in eine Pflegefamilie
wechseln.
Die Pflegerin meint, die Mutter habe die Transsexualität des Kindes
„induziert“, deshalb müsse Alex aus ihrem Einflussbereich gebracht werden.
In der Charité geht es darum, Alex sein „biologisches“ Geschlecht nahe zu
bringen und „geschlechtsatypisches Verhalten“ zu „unterbinden“, erklärt
Chefarzt Klaus Beier die Therapie. Das bezeichnet die Hamburger
Sexualwissenschaftlerin Hertha Richter-Appelt als „überholten Standpunkt“.
Eine Zwangseinweisung erscheint ihr unklug. Ob die Mutter die
Transsexualität induziere, könne auch in einer ambulant festgestellt
werden.
## Kein Gutachten erforderlich
Mutter und Tochter baten darum, psychiatrisch begutachtet zu werden. Doch
diese Begutachtung lehnte das Kammergericht nun ab. Ein Gutachten sei nicht
erforderlich, zitiert der Anwalt der Familie aus dem Beschluss. Die
Ausführungen der Pflegerin seien nachvollziehbar, die angestrebte
stationäre Diagnostik liege in deren Ermessen. Demgegenüber sei der Mutter
vorzuwerfen, dass sie beabsichtige, das Kind an den Unikliniken in Hamburg
und Frankfurt am Main – den einzigen Spezialisten für Transsexualität im
Kindes- und Jugendalter in Deutschland – vorzustellen.
Der Anwalt der Kaminskis nennt den Beschluss „erschreckend“: „Die Ansicht,
dass eine Transsexualität über Jahre hinweg und widerspruchslos ’induziert�…
werden könne, wird nirgends in der Fachliteratur vertreten. Das ist eine
Erfindung dieser Pflegerin.“ Diese habe sich nur ein einziges Mal eine
Stunde lang mit dem Kind unterhalten – dessen Ansichten habe sie ignoriert.
Anwalt und Familie wollen nun vors Bundesverfassungsgericht ziehen. In
Sorgerechtsangelegenheiten könne dies sehr schnell entscheiden, so der
Anwalt, von Karlsruhe werde das Recht des Kindes in der Regel ernst
genommen.
## Internationale Unterschriftenkampagne
Unterstützung bekommt Alex auch von MenschenrechtsaktivistInnen. Am Montag
um 15 Uhr wird das „Aktionsbündnis Alex“ vor der Berliner Senatsverwaltung
für Jugend demonstrieren, Motto: „Zwangspsychiatrisierung von Alex sofort
stoppen!“ „Dies ist keine Einzelgeschichte“, heißt es in dem Aufruf.
„Institutionen wie das Jugendamt und die Charité üben durch Zwang und
psychischen Druck Gewalt auf Menschen aus! Jedes Geschlecht und jede
Geschlechtsidentität ist ein Recht, keine Krankheit.“
Auch eine Unterschriftenkampagne ist auf den Weg gebracht. Die britische
transsexuelle Aktivistin Katrina Swales startete sie auf [1][Change.org].
An Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit gerichtet, heißt es dort: „Diesem
jungen Mädchen wird beigebracht, dass seine Gefühle falsch sind, es wird
somit immer mehr in jene Selbstverneinung gedrängt, welche schon das Leben
so vieler Transsexueller gefordert hat.“ Unterschrieben haben über 9.000
Menschen.
Und Alex? Wollte diese Krise mit der Hilfe eines Therapeuten durchstehen.
Doch das Jugendamt lehnte auch das ab.
Berichtigung
Auf [2][www.taz.de] war unter der Überschrift „Alex soll in die
Psychiatrie“ in einem Artikel vom 23.3.2012 über den Fall eines
transsexuellen Kindes zu lesen: „Die transsexuelle Alex Kaminski (Name
geändert) darf in die Psychiatrie eingewiesen werden. Dies entschied das
Berliner Kammergericht am Donnerstag.“ Diese Behauptung ist unzutreffend.
Zutreffend ist vielmehr, dass das Kammergericht die Beschwerde der
Kindesmutter gegen einen erstinstanzlichen Beschluss des Amtsgerichts
Schöneberg, mit welchem sie erfolglos die Rückübertragung der
Gesundheitssorge für das Kind begehrte, zurückgewiesen hatte.
Weiter hieß es auf [3][www.taz.de] dazu: „Das Kind [...] darf nun in die
Berliner Charité zwangseingewiesen werden.“ Abgesehen davon, dass es für
eine solche Maßnahme an einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung
fehlt, erklärt die Berliner Charité hierzu ergänzend, sie sei nicht bereit,
das Kind gegen dessen erklärten Willen oder gegen den erklärten Willen
seiner Mutter aufzunehmen. Das Kind wird also nicht in die Berliner Charité
zwangseingewiesen.
Schließlich war in dem Beitrag der taz zu lesen: „In der Charité geht es
darum, Alex sein 'biologisches' Geschlecht nahe zu bringen und
'geschlechtsatypisches Verhalten' zu 'unterbinden', erklärt Chefarzt Klaus
Beier die Therapie.“ Sofern sich hierdurch der Eindruck ergibt, der
Chefarzt Klaus Beier habe sich zu dem konkreten Fall und unmittelbar
gegenüber der taz auf diese Weise geäußert, ist dieser Eindruck falsch. Den
von der taz beschriebenen Fall kenne er nicht, erklärt Beier.
Gleichwohl war er einer von drei Verfassern des Buches „Sexualmedizin -
Grundlagen und Praxis“, das zuletzt im Jahre 2005 in 2. Auflage
veröffentlicht wurde. In einem namentlich nicht bezeichneten Abschnitt zum
therapeutischen Vorgehen bei Geschlechtsidentitätsstörung heißt es dort:
„Folgende psychotherapeutische Settings haben sich als hilfreich erwiesen
[...]: [...] geschlechtskonforme Verhaltensangebote [...] und adäquate
Verhaltensweisen belohnt [...]. Geschlechtsatypische Verhaltensweisen
werden nicht beachtet bzw. - beiläufig - unterbunden (nicht jedoch
sanktioniert).“
Chefarzt Klaus Beier lässt dazu mitteilen, dass er diese Passage nicht
selbst verfasst habe, sondern hierdurch lediglich die Position einer
kanadischen Arbeitsgruppe wiedergegeben werde. Leitete er noch am 12.1.2012
per E-Mail „einige Originalarbeiten zum Thema“ von anderen Verfassern an
die Autorin der taz weiter, ohne mitzuteilen, dass diese Aufsätze
anscheinend nicht ausnahmslos seine eigene wissenschaftliche Auffassung
wiedergeben, bezieht er sich nunmehr ausdrücklich nur noch auf eine
Publikation im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahre 2008, in der das Vorgehen
der Charité adäquat beschrieben werde.
Dagegen heißt es in einem anderen der insgesamt drei übersandten
Fachaufsätze zur Behandlung von „Geschlechtsidentitätsstörungen bei Jungen…
übersetzt: Die spezifischen Ziele, die wir für Jungen haben, sind die
Entwicklung eines positiven Verhältnisses zum Vater (oder einer
Vaterfigur), positiver Beziehungen zu anderen Jungen, geschlechtstypischer
Fähigkeiten und Verhaltensweisen, um sich in die Gruppe Gleichaltriger oder
zumindest einen Teil von ihnen einzufügen und sich als Junge wohlzufühlen.
[...] Die Behandlung ist abgeschlossen, wenn der Junge regelmäßig die
Gegenwart gleichgeschlechtlicher Freunde sucht und sein
geschlechtsübergreifendes Verhalten weitgehend normal erscheint.“ Die
Redaktion
23 Mar 2012
## LINKS
[1] http://www.change.org/petitions/mayor-of-berlin-stop-the-institutionalizati…
[2] /Streit-um-elfjaehrige-Transsexuelle/!90229/
[3] /Streit-um-elfjaehrige-Transsexuelle/!90229/
## AUTOREN
Heide Oestreich
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