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# taz.de -- Spionageverdacht bei der Bahn: Mehdorns Methoden
> Auch die Bahn steht jetzt unter Spionageverdacht. Ehemalige
> Führungskräfte sind nicht überrascht: Das "System Mehdorn" beruhe auf
> Einschüchterung.
Bild: Mehdorns System der Einschüchterung: "Jeder, der unter Verdacht stand, w…
Schlüterstraße, Berlin-Charlottenburg. Im dritten Stock des noblen
Bürohauses an der Ecke zum Kurfürstendamm ist an diesem Dienstagvormittag
niemand anzutreffen. Der Eingang der Firma Network.Deutschland ist
verschlossen, auf Klingeln und Anrufe gibt es keine Reaktion. Nur ein
Schild hängt an der Tür. Darauf stehen die Namen von Firma und Inhaber. Und
ein durchgestrichenes Handy - telefonieren verboten.
"Die sind schon seit Monaten am Ausziehen", sagt eine Frau aus der
benachbarten Kanzlei. Wann sie zuletzt einen Mitarbeiter gesehen habe,
könne sie nicht sagen: "Wir haben ja keinen Spion in der Tür."
Spion und Telefon - nichts umreißt besser die Funktion des
Kleinunternehmens inmitten der riesigen Bespitzelungsaffäre, die derzeit
die Deutsche Telekom erschüttert. Hunderttausende Verbindungsdaten aus dem
eigenen Führungszirkel ließ die Telekom mit Nummern von Journalisten
abgleichen, um undichte Stellen zu finden. Und den Auftrag dazu hatte
Network.Deutschland bekommen.
Doch der Skandal könnte noch weitere Kreise ziehen. Denn auch ein anderer
Großkonzern schusterte der Schnüffelfirma Aufträge zu: die Deutsche Bahn
AG. Und zwar ebenfalls, um zu verhindern, dass Geheiminfos nach außen
gelangten. Das zumindest berichtete das Handelsblatt am Dienstag. "Es ging
um die Ausforschung von Telefonverbindungen, Bankdaten und die komplette
Durchleuchtung von Zielpersonen", zitiert die Zeitung einen anonymen
Subunternehmer der Spitzel-Firma.
Die Reaktion der Bahn folgte prompt. Am Mittag räumte die Bahn eine
Zusammenarbeit ein. "Network.Deutschland hat im Lauf der letzten zehn Jahre
in 43 Fällen für uns gearbeitet", erklärte Wolfgang Schaupensteiner, der
oberste Korruptionsbekämpfer des Konzerns. Allerdings seien die Späher nur
eingesetzt worden, um Scheinfirmen aufzudecken oder verschwundene
Vermögensgegenstände, etwa Lokomotiven, aufzustöbern. Die Dienstleistungen
hätten insgesamt rund 800.000 Euro gekostet. "Es gab keine Aufträge zur
Beschaffung nicht öffentlicher Daten", stellte Schaupensteiner klar: "Der
Versuch, hier Parallelen zur Telekom herzustellen, ist unsachgemäß". Für
die Suche nach undichten Stellen sei immer die Abteilung Konzernsicherheit
zuständig gewesen. Und die habe immer im rechtlichen Rahmen gehandelt und
nie externe Dienstleister beauftragt.
Doch hochrangige Mitarbeiter zeichnen ein ganz anderes Bild - wenn auch
überwiegend nur unter Zusicherung der Anonymität. Zu groß ist offenbar die
Angst vor den Methoden bei der Bahn. "Im Unternehmen herrscht permanente
Angst", sagt ein ehemaliger Führungsmann zur taz. "Unter Mehdorn gab es
eine richtige Hexenjagd, ein brachiales System der Einschüchterung",
berichtet ein anderer. "Die Atmosphäre erinnerte an die DDR, inklusive
Politbüro und Stasi", schildert ein dritter.
Der aktuelle Verdacht, dass E-Mails und Telefonverbindungen systematisch
überprüft wurden, wird als wenig überraschend empfunden. Diese Vermutung,
so heißt es unter den früheren Mitarbeitern, habe es immer gegeben. "Heikle
Gespräche mit Außenstehenden führt man grundsätzlich nur von
Privatapparaten aus", heißt es. "Oder am besten im persönlichen
Vier-Augen-Gespräch." Genährt wurde der Verdacht auch dadurch, dass vor
einigen Jahren viele Bahn-Mitarbeiter neue Handys erhielten, über die unter
unterschiedlichen Nummern sowohl dienstliche als auch private Gespräche
geführt werden durften. Erst im Nachhinein aufhorchen lässt hingegen, dass
der neue Anbieter ausgerechnet die Telekom war.
Berüchtigt soll auch die "Abteilung Konzernsicherheit" sein, die vom
ehemaligen Kriminalbeamten Jens Puls geleitet wird. Überraschende
Bürodurchsuchungen gehörten laut den Angaben ebenso zu deren Aktivitäten
wie Verhöre von Mitarbeitern - bis in jüngste Zeit, als interne Dokumente
über die Privatisierung in den Medien auftauchten.
In manchen Fällen mussten selbst Mitarbeiter, denen nichts nachgewiesen
wurde, das Unternehmen verlassen. Wer das Unternehmen dann verließ, sei in
vielen Fällen mit Verträgen zu Stillschweigen verpflichtet worden. "Jeder,
der unter Verdacht stand, war dran", berichtet ein Ex-Bahner.
Einer der wenigen, die das auch mit ihrem Namen bezeugen, ist der ehemalige
Bahn-Manager Klaus-Dieter Streit. Der Führungszirkel habe ihm
Geheimnisverrat vorgeworfen und ihm umgehend Hausverbot erteilt. "Plötzlich
standen Leute in meinem Büro, die mir erklärten, ich habe mein Büro sofort
zu verlassen", erinnert er sich an den Tag im März 2005. Der unmittelbare
Anlass für den Besuch ist bis heute rätselhaft. Die Bahn AG habe ihm bis
heute keinen Nachweis für ihren Anfangsverdacht vorgelegt, sagt Streit.
Erst bei der Durchsuchung seines Büros fanden die Sicherheitsleute einen
handschriftlichen Vermerk, Streit habe interne Dokumente an den
Verkehrsforscher Gottfried Ilgmann weitergereicht. "Ich habe diese Papiere
aber nie weitergegeben", bestätigt Ilgmann gegenüber der taz. Ilgmann
glaubt nicht, dass die Bahn AG Klaus-Dieter Streit nur mit legalen Mitteln
ausgeforscht habe. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen vor dem
Arbeitsgericht sowie ein Strafverfahren hat Klaus-Dieter Streit aufgrund
der Büronotiz verloren. "Mein Fall hat viele abgeschreckt", sagt Streit
heute: "Viele Bahn-Mitarbeiter fürchten, sich kritisch zur offiziellen
Linie zu äußern".
Ähnliche Erfahrungen machte der Bundestagsgrüne Albert Schmidt in seiner
Zeit als Mitglied des Bahn-Aufsichtsrates von 1999 bis 2002. Auch über ihn
habe es Gerüchte gegeben, er würde vertrauliche Daten an Medien
weitergeben. "Die Bahn AG hat mehrmals versucht, mich aus dem Aufsichtsrat
herauszukomplementieren, ohne etwas gegen mich in der Hand zu haben", sagte
Schmidt der taz. Hinweise auf konkrete Überwachung habe er zwar nicht
gehabt. "Ich habe Herrn Mehdorn nun aber in einem Brief aufgefordert, klipp
und klar zu sagen, ob, wann und wie ich abgehört wurde". Schmidt legte 2002
seinen Job als Aufsichtsrat nieder, weil "ich als Aufsichtsrat die geplante
Privatisierung der Bahn nicht offensiv kritisieren konnte."
4 Jun 2008
## AUTOREN
T. Ahmia
M. Kreutzfeldt
V. Medick
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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