| # taz.de -- Spaniens hohe Mieten fördern "Hotel Mama": Zwangs-WG mit Eltern | |
| > Wegen horrender Mieten können viele junge Spanier nicht von zu Hause | |
| > ausziehen - trotz Zuschuss vom Staat. Über die Verkindlichung einer | |
| > Gesellschaft. | |
| Bild: Kinofiktion wie "Tanguy, der Nesthocker" ist in Spanien bittere Realität. | |
| MADRID taz "Es ist nicht leicht, von zu Hause auszuziehen", berichtet | |
| Vanesa García. Zwar hat die 26-jährige Designerin aus Barcelona einen Job | |
| in der Marketingabteilung eines der großen spanischen Anwaltsbüros. Und mit | |
| 1.200 Euro verdient sie mehr, als wenn sie in einem Grafikstudio arbeiten | |
| würde. Doch in Spaniens zweitgrößter Stadt sind die Wohnungspreise einfach | |
| zu hoch. "Ich suche seit Monaten mit einer Freundin eine Mietwohnung", | |
| berichtet sie. Doch die beiden können und wollen mit den Preisen nicht | |
| mithalten. "Wenn wir schon 1.000 Euro und mehr im Monat für 50 oder 60 | |
| Quadratmeter zahlen müssen, dann kaufen wir doch gleich", hat Vanesa | |
| beschlossen. Aber auch das ist nicht ganz einfach. Denn genügend | |
| Grundkapital haben sie nicht. | |
| Nirgendwo in Europa sind die Wohnungspreise in den vergangenen zehn Jahren | |
| so gestiegen wie in Spanien. Vielerorts haben sie sich mehr als | |
| verfünffacht. Viele Wohnungen stehen leer. Sie dienen den Besitzern als | |
| Kapitalanlage. Während ein ganzes Land Monopoly spielt, fehlen | |
| Mietwohnungen. Junge Menschen und sozial Schwache sind die Opfer des | |
| Spekulationsbooms. | |
| Seit zwei Jahren gehen deshalb in den großen Städten Spaniens Monat für | |
| Monat Tausende von jungen Menschen auf die Straße. "Für eine | |
| menschenwürdige Wohnung" lautet der Slogan der parteiunabhängigen Bewegung, | |
| die per SMS und E-Mail mobilisiert wurde. Vanesa war von Anfang an mit | |
| dabei. "Gleichzeitig werden die Arbeitsbedingungen für Berufsanfänger immer | |
| prekärer", weiß sie aus eigener Erfahrung. | |
| "Mil-Euristas", "Tausend-Euro-Verdiener" nennt der Volksmund die Generation | |
| mit niedrigen Löhnen und befristeten Verträgen, die immer länger zu Hause | |
| wohnen bleiben. Die Hälfte lebt selbst im Alter von 30 bis 34 noch bei den | |
| Eltern. "Die hohen Mieten haben die Verarmung einer ganzen Generation zur | |
| Folge", ist sich Eva Sodres, eine 29-jährige Verlagsmitarbeiterin aus | |
| Madrid, sicher. Viele Jugendliche ziehen nicht aus. Stattdessen genießen | |
| sie mit den spärlichen Löhnen das Leben. | |
| "Selbstbetrug", so urteilt Eva. "Das führt zu einer Verkindlichung der | |
| gesamten Gesellschaft, denn wir werden immer später erwachsen", erklärt die | |
| junge Frau. Eva teilt sich eine Mietwohnung mit einer 43-jährigen Frau, die | |
| beim Fernsehen arbeitet. "Es ist nicht normal, dass zwei Menschen mit einer | |
| ordentlichen Arbeit keine eigenen Wohnung finanzieren können." 495 Euro | |
| zahlt jede für die 90 Quadratmeter im Herzen Madrids. "Billig", meint Eva. | |
| Sie verdient 1.700 Euro. "Wer in keiner festen Beziehung lebt, dem bleibt | |
| nur die Zwangs-WG", sagt sie. | |
| Auch Eva würde lieber kaufen, wenn sie Grundkapital hätte. Während im | |
| europäischen Schnitt 38 Prozent zur Miete leben, sind es in Spanien gerade | |
| einmal 10 Prozent. Wohneigentum war von jeher die wichtigste Form der | |
| Spanier, etwas zu sparen. "Das ist nicht nur kulturell bedingt. Es gibt in | |
| Spanien kein ordentliches Mietrecht", sagt Eva. Die Verträge sind | |
| befristet, die Mietpreise unterliegen keiner Bindung, die Vermieter | |
| überlassen die Wohnungen oft in einem unmöglichen Zustand. Die | |
| Verpflichtung, kaputte Einrichtungsgegenstände zu reparieren, gibt es | |
| nicht. | |
| Zudem waren die Monatsraten beim Kauf lange Zeit nicht teurer als die Miete | |
| einer gleichwertigen Wohnung. Denn viele Besitzer lassen sich den Kredit | |
| für ihre Zweit- oder Drittwohnung komplett von den Mietern finanzieren. Die | |
| Option, zur Miete zu wohnen, gilt in Spanien daher als rausgeschmissenes | |
| Geld. Felix Carbonell ist einer von denen, die den Absprung nicht geschafft | |
| haben. Der 37-jährige Informatiker aus Madrid lebt noch bei seinen Eltern. | |
| Als er einen Job hatte, wo er gut verdiente, war er noch jung. Dann kam die | |
| Arbeitslosigkeit und danach ein Job für 1.200 Euro im Monat. Als | |
| Scheinselbstständiger betreut er dafür die gesamte Informatik eines | |
| mittelständischen Herstellers medizinischer Geräte. | |
| Trotz einer festen Beziehung reicht beiden das Geld nicht, um in Madrid | |
| eine bezahlbare Mietwohnung zu finden. "Appartements kosten um die 1.000 | |
| Euro", musste Felix erfahren. Zwar zahlt die Regierung mittlerweile 250 | |
| Euro für schlecht verdienende junge Menschen als Mietzuschuss. Doch dies | |
| gilt nur bis zum Alter von 30 Jahren. "So wie ich die Mentalität der | |
| Wohnungsbesitzer kenne, wird dieser Zuschuss nur dazu führen, dass die | |
| Mietpreise weitersteigen", schaut Felix pessimistisch in die Zukunft. | |
| 27 Nov 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |