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# taz.de -- Soundtrack einer verpassten Revolution
> POP Mit dem „Beat-Club“ brachte Radio Bremen die Musik der Alliierten ins
> Fernsehen – zwecks Entnazifizierung der Jugend
von Jan-Paul Koopmann
Es ist beinahe vergessen, aber Radio Bremen war einmal Keimzelle und
Speerspitze der Jugendkultur – einer emanzipatorischen und weltoffenen
Jugendkultur, die Naziballast abwerfen und sich miefiger
post-faschistischer Zwänge entledigen wollte. Mit seinem „Beat-Club“
schrieb sich der Sender ein in die Geschichte der jungen BRD und des
weltweiten 1968.
So geht die Legende, die heute viele zu ihrer eigenen erklären. Als eine
Gruppe Studierender der Bremer Hochschule für Künste kürzlich nach
ZeitzeugInnen suchte, da standen auch so einige auf der Matte – deren
tatsächliches Dabeigewesensein den Studierenden dann aber fragwürdig
schien. Diese Leute seien wohl gekommen, „um ein bisschen Beat-Club für
ihre Biografien abzubekommen”, vermuten sie. Tatsächlich erzählt heute bei
jeder sich bietenden Gelegenheit irgendwer, wie das damals war – als im
Herbst 1965 plötzlich amerikanische Musik im deutschen Fernsehen lief,
ansatzweise ekstatisch herumgezappelt wurde und dazu das Haupthaar
geschwungen.
Der Rest ist bekannt. Und doch ist sie gar nicht leicht zu beantworten,
diese Frage nach Henne und Ei – oder eben nach der Popmusik und der
Rebellion von 1968. Und während Radio Bremen gerade seinen 70. feiert und
den „Beat-Club“ mit all seinen Anekdötchen aus der Mottenkiste holt, wird
dieser Mythos von individuellen Aufbrüchen und der Genese einer Pop-Nation
Deutschland auch anderswo neu verhandelt. So fragen sich linke
Kulturschaffende von heute und Avantgardisten von damals, was da schief
gelaufen ist, wo diese befreite Gesellschaft denn sein soll, bitte – und
warum die Top-Ten-Charts heute so geschlossen dumm wie deutsch singen.
Irgendwo ist etwas verloren gegangen. Nach emanzipatorischen Potenzialen im
Pop muss man heute mühsam suchen und wenn man sie denn überhaupt findet,
dann ganz sicher nicht in Radio und TV.
## Rebellion in Scherben
Da ist zum Beispiel Wolfgang Seidel, Gründungsmitglied der
Hausbesetzer-Band Ton, Steine, Scherben. Er ist kaum verdächtig, irrigem
Glauben an eine damals gut gewordene Welt anzuhängen. Er weiß aber auch,
dass es mit der musikalischen Entnazifizierung der Jugend damals eine
ernste Sache war. Gerade schreibt er ein Buch darüber: „Wir müssen hier
raus. Krautrock, Free Beat, Reeducation“, das im Februar erscheint. Darin
erzählt Seidel auch vom „Beat-Club“ – als bewusst gesetztem Beitrag zur
seinerzeit ja längst noch nicht abgeschlossenen Entnazifizierung.
Im Zentrum steht bei Seidel dann auch nicht der Minirock von Moderatorin
Uschi Nerke, sondern der „Beat-Club“-Format-Erfinder Ernest Bornemann. In
die offizielle Fernsehgeschichte fand der als „Sexualwissenschaftler“ und
„Quereinsteiger” einen eher kuriosen Eingang. Seidel schreibt, wie der Sohn
jüdischer Eltern 1933, mit gefälschten Papieren als Austauschschüler
getarnt, nach London floh. Dort betrieb er als Mitglied der
Sexpol-Organisation des Freudo-Marxisten Wilhelm Reich die sexuelle
Aufklärung der Arbeiterjugend – und gab Verhütungsmittel aus.
Als Bornemann den „Beat-Club“ erfand, war Reichs Wiederentdeckung durch die
68er längst nicht in Sicht. Seidel zufolge steckte hinter der Sendung aber
Reichs Strategie: Faschismus-Prophylaxe durch antiautoritäre Erziehung und
eine Befreiung der Sexualität. Die Popmusik soll ihm dabei eher Mittel zum
Zweck gewesen sein. Von Beatmusik mit Körpereinsatz versprach sich
Bornemann demnach zwar „emanzipatorisches Potential“, er selbst allerdings
blieb dann doch lieber beim Jazz.
## Gedudel auf dem Markt
Bei der Zielgruppe angekommen ist diese „Reeducation“ ohne Frage – und au…
der Markt reagierte. Seidel berichtet, wie damals eilig Handzettel an
überforderte Plattenhändler ausgegeben wurden: „Rannewai“ stand etwa drau…
um „Del Shannons“ Hitsingle „Runaway“ auch der deutschen Jugend gemäß
anpreisen zu können. Mit dem Wettbewerb ums Taschengeld geriet jener um die
Köpfe dann offenbar in den Hintergrund: „Leider“, sagt Seidel, habe sich
Bornemann auf Dauer nicht gegen den Regisseur Michael Leckebusch
durchsetzen können, der den „Beat-Club“ „in ein Schaufenster für die
neuesten Produkte der Plattenindustrie verwandelte“.
Nicht ohne jeden Widerspruch: Als das tanzende Publikum zwischenzeitlich
aus der Sendung verschwand, um die Bands nicht beim Playback zu stören, gab
es lauten Protest, und ab Ende der 60er spielten die Bands dann doch wieder
live. Und entlang der politischen Debatten bekam auch die Moderation einen
kritischeren Anstrich.
In der Sendung wurden auch die Briefe verlesen, von denen auf dem Höhepunkt
des Erfolgs wöchentlich Tausende eingetrudelt sein sollen. Die wütenden
BürgerInnen dem öffentlichen Gelächter auszusetzen, das war laut Seidel die
Absicht Bornemanns. Lässt sich der „Beat-Club“ in diesem Sinne als
zeitgemäße politische Intervention verstehen, so blieb er letztlich dem
Spektakel verhaftet. Die sozialgeschichtlichen Hintergründe der unter
anderem aus der US-Bürgerrechtsbewegung gespeisten Popmusik beispielsweise,
sie blieben in der Regel außen vor.
## Hinter dem Pop
Geändert hat sich das 1973 mit der Radio-Bremen-Radiosendung „Roll over
Beethoven” von Klaus Kuhnke, Peter Schulze und Manfred Miller: Neben den
Inhalten der Songs reflektierte die Reihe auch die Produktionsbedingungen,
den Aufstieg der Label-Monopole etwa und den noch heute tobenden Kampf ums
Urheberrecht.
Da war im Radio zu erfahren, wie bereits in den 1920er-Jahren
standardisiert wurde, was bis heute als Folk und Traditional gehandelt
wird. Auch die Zensur fand Eingang in die Debatte oder auch der
patriarchale Blick, den der Markt hier auf insbesondere schwarze Musiker
warf, die vermeintlich kulturelle Eigenarten in der Musik unterhaltsam zur
Schau stellten.
Später sagten die Macher, sie hätten mit der Sendung einem Mangel begegnen
wollen – dem „eines brauchbaren, nämlich materialistischen Abrisses der
Geschichte der populären Musik“. Und da waren sie in den 70er-Jahren
mittendrin im Streit um Kulturbegriffe und der Auseinandersetzung mit jenen
Linken, die Musik für politische Zwecke instrumentalisierten.
Heute haben sich die Kulturwissenschaften solcher Fragen angenommen und sie
regalmeterweise ausdifferenziert. Irgendein Gemeinsames aber von
Massenkultur und Kritik, das scheint vorbei zu sein. Nicht nur auf Radio
Bremen.
2 Jan 2016
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
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