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# taz.de -- Sexualbegleiterinnen für Behinderte: Sex gehört bei allen dazu
> Für behinderte Menschen ist es oft schwierig, ihre Sexualität auszuleben.
> Eine Möglichkeit sind SexualbegleiterInnen, die eigens dafür ausgebildet
> werden.
Bild: Fast unmöglich: Bordellbesuch eines geistig Behinderten in Hamburg.
Behinderte Körper gelten nicht als schön, nicht nach dem gängigen Ideal.
Lothar Sandfort sagt: "Behinderte stehen außer Konkurrenz, das macht sie
unattraktiv." "Normale" Menschen finden es deshalb oft irritierend, wenn
jemand mit einem defekten Körper sagt: Ich möchte Sex. Sandfort sitzt im
Rollstuhl, seit seinem 20. Lebensjahr ist er querschnittsgelähmt. Seit 2000
leitet der Psychologe das Institut zur Selbstbestimmung Behinderter
([1][ISBB]), wo er auch SexualbegleiterInnen ausbildet. Was das ist und
welche Probleme behinderte Menschen im Zusammenhang mit Sexualität
überwinden müssen, darum ging es bei einem Salongespräch des
Familienplanungszentrums in Lichtenberg.
Der Entwicklung einer eigenen Sexualität stehen bei behinderten Menschen
neben strukturellen Problemen zum Beispiel aufgrund eingeschränkter
körperlicher Mobilität oft entwicklungspsychologische Gründe entgegen. Für
die meisten Menschen gehört der Aufbau einer Intimsphäre ganz
selbstverständlich zu ihrer Entwicklung. Menschen mit einer geistigen
Behinderung aber müssen oft von klein auf medizinisch-therapeutische
Eingriffe erdulden, die zwar notwendig, aber eben auch Übergriffe auf ihre
körperliche und seelische Intimsphäre sind.
Später werden sie von Außenstehenden deshalb häufig als distanzlos
bezeichnet. In solchen Fällen kann eine Sexualpädagogin eingesetzt werden,
die gemeinsam mit dem Kunden eine einfache und klare Sprache für dessen
Bedürfnisse entwickelt.
Aufklärung und Hilfe zur Selbstbefriedigung sind aber erst die
Voraussetzungen für eine gelebte Sexualität. Dafür gibt es zum Beispiel die
aktive Sexualassistenz oder Sexualbegleitung. In seinem Institut in Trebel
verfolgt Sandfort diesen Ansatz, hier bilden er und sein Team seit 2000
selbst SexualbegleiterInnen aus.
Im Unterschied zum Umgang mit Prostituierten bezahlen die Kunden nicht für
sexuelle Dienstleistung oder bestimmte Praktiken, sondern für die mit der
Assistentin verbrachte Zeit. Was in dieser Zeit geschieht, bleibt offen und
kann von Gesprächen über zarte Berührungen, Massagen oder dem Anziehen
einer Strumpfhose bis zum Geschlechtsverkehr reichen. Der Preis bleibt
dabei stets derselbe, 90 Euro für eine Stunde.
Die Sexualbegleiterin ist zu absoluter Ehrlichkeit ihrem Kunden gegenüber
verpflichtet, sie gibt ihm ein Feedback und zeigt auch eigene Grenzen auf.
Die Kunden müssen interagieren und die Sexualbegleiterin auch "überzeugen".
"Wer nicht fragt, bekommt keine Begleiterin", sagt Sandfort, das sei ein
entscheidender Schritt auf dem Weg der Selbstermächtigung.
Der Inhalt der Ausbildung im ISBB legt daher den Schwerpunkt auf das
Zuhören und Reflektieren der Kunden, nicht auf das Anbieten von Hilfe oder
Koitus. Ähnlich wie Betreuer hätten viele Frauen in der Ausbildung anfangs
oft den Wunsch, Behinderte vor Leid zu schützen. "Sie müssen aber
vergessen, dass Behinderung irgendetwas mit Leiden zu tun hat!", betont
Sandfort.
Manuela Schmidt von den Samariteranstalten in Fürstenwalde beschreibt einen
Fall aus der von ihr betreuten Wohngruppe, bei dem eine junge, geistig
behinderte Frau von einem Mitbewohner vergewaltigt wurde. Infolge der Tat
bekam der Täter eine psychologische Einzelfallhilfe von zwei Jahren
bewilligt. Erst durch die täglichen Gespräche mit einer Sexualpädagogin
lernte er, seinem Wunsch nach Geschlechtsverkehr Ausdruck zu verleihen.
Da es ihm aber bisher nicht gelang, eine Freundin zu finden, bemühte sich
Schmidt, den Kontakt zu einer Prostituierten herzustellen. Bezahlt wird
diese nicht von der diakonischen Einrichtung, sondern vom Bewohner selbst.
Die Frau wird nicht im Vorfeld über die Beeinträchtigung ihres Kunden
informiert. "Dies würde eine Stigmatisierung unseres Bewohners bedeuten",
betont Schmidt.
Ein Recht auf Liebe gibt es für keinen Menschen, auch nicht für Behinderte.
Aber, so Sandfort: "Es gibt ein Recht auf Liebeskummer."
22 Sep 2009
## LINKS
[1] http://www.isbbtrebel.de/
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Schleswig-Holstein
Grüne
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