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# taz.de -- Schmidt hat Geburtstag: Über Langenhorn
> In Langenhorn, einem Stadtteil in Hamburgs Norden, lebt seit 1962 das
> Ehepaar Schmidt - den Gerüchten nach in einem "Reihenendhaus". Eine
> Ortsbegehung zum 90. Geburtstag des Altbundeskanzlers
Bild: Langenhorst hin- oder her: Happy Birthday, Herr Schmidt!
Es ist nicht anzunehmen, dass Helmut Schmidt jetzt noch mit der U-Bahn
fährt. Womöglich ist er überhaupt nie mit der U-Bahn in den Hamburger
Vorort gefahren, in den er 1962 gezogen sein soll, als er noch Hamburger
Innensenator war. Seine Adresse wird mittlerweile bereitwillig überall
gestreut. Das Leben eines Ex-Bundeskanzlers ist eben nie nur privat, auch
wenn Helmut Schmidt der Letzte ist, dem das gefallen dürfte.
Würde Helmut Schmidt noch einmal mit der U-Bahn nach Hamburg-Langenhorn
fahren, würde er vielleicht in "Langenhorn Markt" aussteigen. Es ist ein
schöner alter U-Bahnhof, mit Neon-Stabröhren, die von der Decke hängen.
"Entschuldigen Sie, wo ist das Zentrum von Langenhorn?" - "Na hier!", der
Passant weist auf den kleinen runden Platz vor dem U-Bahnhof. Es gibt eine
Grillbude und einen Edeka-Supermarkt, weiter die Straße runter leuchten
Kneipenschilder. "Und wo geht man von hier hin?" - "Da runter", sagt der
Passant und zeigt auf einen Fußgängertunnel, der unter einer mehrspurigen
Straße durchführt.
Dort, auf der anderen Seite, ist das neue Zentrum von Langenhorn. Das
Entrée bildet ein flacher Hertie-Bau der Sorte, die eigentlich schon
ausrangiert worden ist, gebaut aus grauen Riffelbeton. Dahinter erstreckt
sich ein weiträumiger Marktplatz, auf dem sich die wenigen Passanten
verlieren, und noch weiter hinten ragt das neue Shopping-Center empor.
Unter der überdachten Passage findet der Weihnachtsmarkt von Langenhorn
statt, es gibt ein Walt-Disney-Kinderkarussell und eine
Weihnachtsmann-Statue aus Plastik. Müde Glühweinverkäufer starren ins
Leere, die Stehtische sind schwach besucht.
Würde man hier, im Zentrum von Langenhorn, eine Kamera installieren und
vorlaufen lassen, würde man sehen, wie sich die Passage nach Feierabend
etwas füllt. Das Walt-Dinsey-Karussel wäre nicht mehr leer, ein paar Kinder
würden sich darauf verteilen, auf einer Bank säße eine ältere Frau, im
schicken Wintermantel, neben sich eine Einkaufstasche. Auf dem Marktplatz
würde ein Mann in Zirkusuniform mit einem Pony auftauchen, einige Kinder
würden Geldstücke in seinen Hut werden. Es wäre ein kurzes Aufflackern,
bevor die Leere wieder zurückkehrte, auch der Mann mit dem Pony würde
verschwinden. "Ich mach jetzt auch Feierabend", sagt er und versucht zu
lachen.
Das Zentrum von Langenhorn wirkt, als hätte es ein Riese gewaltsam in die
Siedlung hineingefräst, und damit es noch etwas brutaler aussieht, hat er
an die Ecken Parkhaustürme gesetzt aus einem Beton, der schon wieder Risse
bekommt, obwohl die Parkhäuser noch gar nicht alt sind. Nein, das Zentrum
von Langenhorn ist nicht Langenhorn, auch wenn direkt hinter dem Hertie die
Schule liegt, an der Loki Schmidt unterrichtete, bis Helmut 1974
Bundeskanzler wurde.
Langenhorn ist, wo das Zentrum nicht ist. Gäbe es den Stadtteil nicht
schon, und man wollte ihn erfinden, so müsste man den Traum vom Reihenhaus
träumen. Ganz Langenhorn ist voll von Reihenhaussiedlungen, die ersten
stammen aus den 1920er Jahren. Es sind bescheidene Reihenhäuser, sie sind
niedrig und eng. Die Chancen stehen gut, dass sie solide durchfinanziert
sind, dass sich keiner ihrer Bewohner in Schulden gestürzt hat oder über
seine Verhältnisse lebt.
Würden die Schmidts mit der U-Bahn fahren, müsste man ihnen empfehlen, sich
Langenhorn-Markt zu schenken und eine Station später auszusteigen, in
Langenhorn-Nord. Dort geht es rechts zu der Gartensiedlung, die der
Stadtbaudirektor Fritz Schumacher vor "der großen Scheiße des Krieges"
(Schmidt) für einige Tausend Arbeiter entlang der Tangstedter Landstraße
baute. Über den Gärten liegt winterliche Ruhe, einige blasse
Deutschland-Fahnen wehen im Wind, ein Mann führt seinen Hund aus.
In der Nazizeit war die Gartensiedlung an der Tangstedter Landstraße eine
"Keimzelle" des Widerstands. Doch Schmidt, der ehemalige
Wehrmachtsoffizier, der sich nie als Widerstandsheld ausgab, wohnt nicht
rechts vom U-Bahnhof, sondern links. Es geht vorbei an einem kleinen
halbrunden Platz, der womöglich extra für die Schmidts noch im
Originalzustand der 1960er Jahre erhalten worden ist, mit runden
Bogenlampen und eingeschossigen, vorgelagerten Geschäften, bloß dass der
Friseur jetzt "Magic Hair" heißt, und so etwas wie eine "Brasserie" hätte
es früher auch nicht gegeben. An der Ecke könnten die Schmidts, wenn Bedarf
wäre, in der Kneipe "Zur Mausefalle" einkehren. Doch der Bedarf besteht
vermutlich nicht, für diese Zwecke hat Helmut Schmidt seine Hausbar im
Keller, angeblich entgegen erster Bedenken von Ehefrau und Tochter.
Hinter der "Mausefalle" hört die Bebauung auf und damit auch die Stadt. Die
Straßen sind nicht asphaltiert und tragen Namen wie "Weg 396", vor einem
Vereinsheim wird Bier entladen, ein Mann im blauen Anorak startet seinen
Motorroller durch. Ein Bach taucht auf, dann sogar ein kleiner See,
Gartenhäuschen hinter Zäunen, in der Ferne geht eine alte Frau in Richtung
der Straße, in der die Schmidts wohnen. Die alte Frau trägt einen eleganten
Damenhut, mit einer Hand stützt sie sich auf einen Stock, mit der anderen
hat sie sich bei einer Begleiterin eingehängt, die jünger ist als sie. Loki
Schmidt soll das Haus nur noch mit Gehwagen verlassen, erzählt man, doch
einen Stock besitzt sie auch, es gibt Bilder, auf denen sie und Helmut
nebeneinander sitzen, mit identischen, geschnitzten Stöcken.
In der Straße der Schmidts, die alte Frau ist wie vom Erdboden verschluckt,
gibt es eine Bäckerei mit Café. Nein, sagt die Verkäuferin, die Schmidts
habe sie noch nie gesehen, "das kann aber daran liegen, dass ich meistens
die Spätschicht habe". Außerdem, fügt sie hinzu, würde sie Helmut Schmidt
vielleicht gar nicht erkennen. "Ich bin nicht so politisch."
Etwas weiter runter in der Straße der Schmidts stehen Häuser, die an den
Schwarzwald erinnern. Womöglich haben hier einige der Schwarzwälder
Uhrmacher gewohnt, die in den 1930er Jahren nach Langenhorn kamen, um für
die "Hanseatischen Kettenwerke" Granatenzünder zu produzieren. In der
kriegswichtigen Produktion wurden später auch Zwangsarbeiter beschäftigt.
Gegenüber der Straßenseite, auf der die Schmidts wohnen, liegt, nur durch
ein kleines Wäldchen getrennt, die ehemalige "Landesirrenanstalt"
Ochsenzoll, einer der Schauplätze des nationalsozialistischen
Euthanasieprogramms.
Vom jetzigen Krankenhaus Ochsenzoll sehen die Schmidts allerhöchstens einen
Schornstein. Ihr Haus liegt etwas von der Straße zurück, es ist kein
Reihenhaus und auch kein Reihenendhaus, nur die Schmidtsche Garage schließt
an die benachbarte Häuserzeile an, die mit ihren niedrigen Fenstern geduckt
wirkt. Vor dem Haus der Schmidts steht ein Verkehrsschild: "Parkverbot auf
dem Seitenstreifen", darunter: "Einsatzfahrzeuge der Polizei frei". In der
Garage gibt es ein Fenster mit Jalousien davor, dahinter brennt Licht. Bei
dem Versuch, das Haus der Schmidts zu fotografieren, tritt ein
Uniformierter aus der Garage und telefoniert.
So leben die Schmidts mitten in Langenhorn und doch meilenweit von
Langenhorn entfernt. In einer NDR-Reportage zu Schmidts Geburtstag sind die
Nachbarn befragt worden, die meisten hatten das Ehepaar noch nie gesehen.
Nur ein Nachbar erzählte Anekdoten, die allerdings etwas zurücklagen und
etwa davon handelten, wie einmal Präsident Breschnjew bei Kanzler Schmidt
zu Besuch war und die Straße abgesperrt wurde.
Vermutlich ist Schmidts Blick auf Langenhorn einer aus dem Autofenster, und
genau deswegen ist Langenhorn ideal. In Langenhorn lebt man nicht, man
wohnt dort. Und zum Flughafen ist es auch nicht weit.
22 Dec 2008
## AUTOREN
Daniel Wiese
Daniel Wiese
## TAGS
Städtebau
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