# taz.de -- Schicksalsschläge: "Ich mag diesen Scheiternden" | |
> Klaus Schumacher bringt Joseph Roths Roman "Hiob" auf die Bühne des | |
> Hamburger Schauspielhauses. Wie die Hauptfigur um eine Logik hinter dem | |
> Leben ringt, sagt er, sei doch sehr heutig. | |
Bild: Ringt mit Gott: "Hiob" alias Mendel Singer (Michael Prelle). | |
taz: Herr Schumacher, warum inszenieren Sie ein so fatalistisches Stück wie | |
"Hiob"? | |
Klaus Schumacher: Ich finde es nicht fatalistisch. Ganz im Gegenteil. | |
Dieser Roman beschreibt die Notwendigkeit, die eigenen Leitlinien immer | |
wieder neu zu überprüfen. | |
Wie das? | |
Mendel Singer, der jüdische Protagonist, sieht sich mit einer Welt der | |
schnellen Veränderungen konfrontiert, die ihn verunsichert. Eine zutiefst | |
moderne Erfahrung. Das Unglück, das ihm widerfährt, kann er sich nicht | |
erklären. Es ist ja nun mal so, dass wir von "Schicksalsschlägen" sprechen, | |
weil wir sie nicht berechnen und schwer verarbeiten können. Es gibt da | |
keine Logik, und das erzählt der Roman sehr eindrücklich. Mendel Singer | |
kommt mit seinem Schlüssel zu Gott und zum Glück nicht zurecht. | |
Das heißt? | |
Er hatte sich als gläubiger Jude ein Erklärungsmodell für die Welt gebaut. | |
Hatte an einen Gott geglaubt, der über ihn wacht und der Gutes mit Gutem, | |
Schlechtes mit Schlechtem vergilt. Und dann plötzlich trifft ihn all dieses | |
Unglück, und die Gleichung stimmt nicht mehr. Sein Erklärungssystem bricht | |
zusammen. | |
Er wird zum Zweifler. | |
Ja, das ganze Buch handelt vom Zweifel. Er wird ständig mitformuliert. Es | |
handelt von der immerwährenden Suche nach Antworten. | |
Ist der Roman nicht auch eine Polemik gegen Gott - der so eitel ist, mit | |
Satan um Hiobs Seele zu wetten? | |
Schwer zu sagen, zumal die Quellenlage unklar ist. Das "Buch Hiob" aus dem | |
Alten Testament, auf den sich Joseph Roths Roman bezieht, hat zwei | |
Versionen, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Wir kennen nur | |
diejenige mit der Wette. Im Wesentlichen geht es aber eher darum, dass Gott | |
jede Logik verweigert. | |
Warum ein religiöses Stück in so kirchenfernen Zeiten? | |
Für mich weist das Stück weit darüber hinaus. Es erzählt über die Welt, wie | |
sie funktioniert. Über Menschen, die etwas suchen, das ihnen eine Ordnung | |
gibt. Diese Sehnsucht nach einer Logik hinter den Ereignissen finde ich | |
sehr weltlich und sehr heutig. Ich kenne viele Menschen, die diesen Wunsch | |
nach Erklärungsmodellen, wie Mendel Singer sie hat, spüren. | |
Aber am Schluss renkt sich für ihn alles ein. Hat ihm sein Glaube doch | |
geholfen? | |
Nein, im Gegenteil. Er hat sich dem Zweifel hingegeben und sich kurz zuvor | |
endgültig von Gott losgesagt. | |
Aber Mendel wird im Nachhinein für erlittenes Unheil entschädigt. | |
Eben nicht. Er bekommt zwar seinen Sohn zurück, der Komponist geworden ist. | |
Aber dies passiert unabhängig von Gott. Dieses Happy-End hat nichts damit | |
zu tun, dass Mendel nun sein Verhalten geändert hat. | |
Hat er das? | |
Ja. Dieser sehr radikal denkende Mensch begibt sich interessanterweise | |
genau in dem Moment, als er sich lossagt, unter die Menschen. Er betreut | |
die Nachbarskinder, macht Besorgungen, erledigt Reparaturen. Er ist auf | |
einmal ein Mensch unter Freunden, irgendwie in der Welt angekommen - obwohl | |
er seinen Glauben verloren hat. Insofern würde ich nicht sagen, er würde | |
von Gott für irgendetwas entschädigt. Es passiert einfach nur das Nächste. | |
Das Leben treibt weiter seine Spiele mit ihm, und in diesem Fall verläuft | |
es mal günstig. | |
Trägt das Stück autobiographische Züge? | |
Ja. Auch Joseph Roth ist im jüdisch geprägten Galizien geboren und hat aus | |
dieser Kultur ein festes Glaubenssystem mitgenommen in die Welt. Er ist | |
viel gereist, hat etliche Städte gesehen, die psychische Krankheit seiner | |
Frau erlebt und ist letztlich an der Welt verzweifelt und Alkoholiker | |
geworden. Sein Leben ist, wie das seiner Figur Mendel Singer, die Suche | |
nach der inneren Ordnung aus Kindertagen, die er verlor und nie wiederfand. | |
Wird das Thema Judentum in Ihrer Inszenierung eine Rolle spielen? | |
Mendel Singer, die Hauptfigur, ist ein jüdischer Lehrer, und das wird immer | |
wieder erwähnt. Ich mache aber keine Inszenierung über die Geschichte der | |
osteuropäischen Juden. Das fokussiert auch der Roman nicht. Roman und | |
Inszenierung gehen vielmehr von einer Figur aus, die sehr | |
fundamentalistisch ist. Und die sich vom fernen Schtetl in Galizien nach | |
New York aufmacht und die Welt betrachtet - immer auf der Folie der | |
mitgebrachten, radikalen Überzeugungen. | |
Heißt das, Sie bewundern diesen verbohrten Mendel Singer? | |
"Bewundern" ist das falsche Wort. Aber ich mag ihn sehr, wie jede | |
scheiternde Figur. Denn er ringt um etwas. Er ringt immer neu darum zu | |
verstehen, wie ein Menschenleben funktioniert. Eine Frage, die man sich | |
selber dauernd stellt. Man ist mit seinen Zweifeln nicht allein. Man kämpft | |
mit diesem Mendel Singer. Mal denkt man: Reiß dich mal zusammen. Dann | |
wieder versteht man ihn. Dieses Mäandern, diese Uneindeutigkeit: Die mag | |
ich sehr. | |
17 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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