# taz.de -- Schauspieler Ronald Zehrfeld: Der Menschenfreund | |
> Am Freitag werden die Deutschen Filmpreise vergeben. Ronald Zehrfeld ist | |
> für seine Rolle in „Barbara“ als bester Darsteller nominiert. Eine | |
> Begegnung. | |
Bild: Ein gut gelaunter und redelustiger Mann: Ronald Zehrfeld mit Nina Hoss in… | |
In einer wichtigen Szene des Films „Barbara“ geht Ronald Zehrfeld als Arzt | |
André in seinen idyllischen Garten, um ein paar frische Kräuter für das | |
Essen zu rupfen. Drinnen wartet Nina Hoss als nervöser, designierter | |
Republikflüchtling Barbara, der sich schon länger fragt, ob das denn alles | |
wahr sein kann: Ist der Mann wirklich so stet, so vertrauenswürdig und so | |
gutherzig, wie es scheint? Und kochen kann er auch noch?! | |
Nina Hoss’ Figur wird sich am Ende der Geschichte dafür entscheiden, es zu | |
glauben. Und Zehrfeld lässt seinen André, der nach durchwachter Nacht müde | |
an einem Krankenbett sitzt, allein durch allerfeinste, allergenaueste Mimik | |
zu erkennen geben, wie sehr er sich darüber freut. | |
Man muss eben nicht immer herumpoltern. Obwohl Ronald Zehrfeld das | |
ebenfalls hervorragend beherrscht. Seine Größe und die sportliche | |
Vergangenheit – bis ins Teenageralter und den Zusammenbruch des Systems | |
arbeitete Zehrfeld, der 1977 in Ost-Berlin geboren wurde, auf eine | |
Judo-Profikarriere hin – haben den Schauspieler Rollen wie Klaus | |
Störtebeker (in Sven Taddickens „12 Meter ohne Kopf“) oder den | |
unerschrockenen Mafia-Bekämpfer Sven Lottner (in Dominik Grafs „Im | |
Angesicht des Verbrechens“) auch wörtlich ausfüllen lassen, Rollen, in | |
denen fühl- und sichtbare körperliche Präsenz und – dadurch begründete – | |
charmante Schnoddrigkeit Teil der Figur sind: In Grafs preisgekrönter | |
TV-Serie sollen sich Lottner und sein Kollege dem neuen Vorgesetzten der | |
Spezialeinheit vorstellen, die gegen die Berliner Russenmafia kämpft. Der | |
Kollege zählt all die Fähigkeiten auf, die ihn zum Spezialagenten | |
prädestinieren. Lottner fügt den denkwürdigen und fantastisch geschriebenen | |
Satz an: „Und ich komm aus’m Osten, kann also quasi allet.“ | |
Zum Interview in einem Berliner Hotel klemmt Zehrfeld den langen, | |
breitschultrigen, alles könnenden Körper hinter den Tisch, sorgt beflissen | |
dafür, dass Kaffee serviert wird, wirkt gut gelaunt und offen. Als Kind, | |
erzählt er, war Schauspielerei weit entfernt. Ihn habe Technik | |
interessiert: Seine Eltern arbeiteten bei der DDR-Fluggesellschaft | |
Interflug, die mit dem schönen, rot-weißen Logo. „Ich hatte mal das Glück, | |
in Schönefeld in den Hangar zu dürfen. | |
Tupolew, Iljuschin – dass die Menschen aus Metall etwas entwickelt haben, | |
mit dem man die Murmel hier verlassen kann, hat mich schwer beeindruckt.“ | |
Er erzählt, wie er als Junge im Berliner „Pionierpalast“ war, dort gab es | |
ein Kosmonautencamp für Kinder. „Da hat man Sigmund Jähn gefeiert, und es | |
standen nachgebaute Sojus-Kapseln herum, in denen man Gleichgewichtsübungen | |
machen konnte, um zu sehen, ob man kotzen muss oder nicht.“ | |
## Tupolew und Sojus-Kapseln | |
Eine Kindheit wie aus einem Elizabeth-Shaw-Bilderbuch. Der erste | |
Berufswunsch war dennoch Profisportler, denn so wurde es eingeimpft: | |
„Selektion fand ja schon im Kindergarten statt. Zu DDR-Zeiten war mein | |
Traum, Olympiasieger im Judo zu werden.“ Doping gab es damals natürlich | |
auch. Zehrfeld erzählt von einer Anfrage, zusammen mit anderen ehemaligen | |
Sportlern gegen ehemalige Funktionäre in einer Sammelklage vorzugehen. | |
„Es war Bestandteil des Systems“, sagt er. Damals sei er zu jung gewesen, | |
um das zu durchschauen. „Ich bin tatsächlich sehr kräftig geworden, wir | |
haben auch ein paar Dropse bekommen, auf denen ’Vitamine‘ draufstand, aber | |
ob etwas drin war, oder nicht, ist spekulativ.“ Und die Ungerechtigkeit | |
gehe ja trotz Verboten weiter, „jetzt gewinnt halt der, der die besten | |
Stoffe hat, die noch nicht auf der Liste stehen“. | |
Zehrfeld trainierte sich durch die DDR-Leistungsstrukturen hindurch, bis | |
Glasnost und Perestroika alles veränderten. „Die DDR wurde so schnell | |
eingestampft“, sagt Zehrfeld, und springt nonchalant vom Thema Doping zur | |
Politik, keiner rede mehr über Schalck-Golodkowski oder Franz Josef Strauß. | |
„Wenn die auspacken würden, dann könnten alle einpacken.“ Von dem | |
Zusammenbruch der DDR und den Kosten der Einheit kommt er zu Europa, zum | |
Euro und wird, dafür dass das Gespräch noch nicht lange währt, | |
beeindruckend schnell philanthropisch: „Ich würde am liebsten nicht mal | |
mehr europäisch denken, sondern noch einen Schritt weiter gehen: Man muss | |
Nationalität und Glauben komplett beiseite packen, damit wir überhaupt eine | |
Chance haben.“ | |
Durch einen Theaterworkshop fand Zehrfeld zu seinem Beruf, wurde von Peter | |
Zadek früh, noch während seiner Ausbildung an der Schauspielschule Ernst | |
Busch, ans Deutsche Theater geholt. „Es macht mir Spaß, es erfüllt mich, es | |
gibt mir was!“, sagt er über die Arbeit. „Mir geht es nicht darum, über d… | |
roten Teppich zu laufen oder ein Star zu werden, sondern darum, die Chance | |
zu haben, mich mit Menschen zu befassen, über Menschen und mich selber | |
etwas zu erfahren.“ | |
## Sprachlose Kommunikation | |
Der Regisseur Christian Petzhold, der sich die Figur des André ausgedacht | |
hat, für deren Interpretation Zehrfeld filmpreisnominiert ist, sagt über | |
ihn: „Ronny schaut sich die Welt an, weil er sie liebt.“ In „Barbara“ h… | |
Petzold erkannt, dass Zehrfeld, der gern und viel redet, auch sprachlos | |
kommunizieren kann: „Wenn Ronny das Set betritt“, sagt Petzhold, „dann ge… | |
er herum, und schaut und berührt und öffnet. Gegenstände, Schränke, Ordner. | |
Man merkt das gar nicht, ganz dezent macht er das. Nicht wie Kinder oder | |
Polizisten. Er sucht. Nimmt auf. Er hört. Er sieht.“ Petzhold, genau wie | |
die anderen Regisseure, mit denen Zehrfeld bislang arbeitete, schwärmt von | |
Zehrfelds Neugier, die ihn für seinen Beruf geeignet macht: „Er ist ein | |
solch großartiger Schauspieler, ein physischer Schauspieler, weil es nicht | |
nur um ihn und seine Physis geht, sondern um all das, was um ihn herum ist, | |
um die Physis der Dinge, die Physis der anderen.“ | |
Vielleicht sind Schauspieler die am ausführlichsten therapierten Menschen, | |
eben weil sie sich so intensiv mit dem Inneren, wenn auch nicht immer dem | |
eigenen, auseinandersetzen. „Man kriegt Respekt und auch eine gewisse Demut | |
davor, warum andere Menschen auf bestimmte Art reagieren“, sagt Zehrfeld | |
und fügt, menschenfreundlich, wie er ist, gleich an, dass er niemanden mit | |
einem anderen Job deswegen ausschließen wolle und dass ihm bewusst sei, wie | |
privilegiert man in einem künstlerischen Beruf sei. | |
Kurvt weiter in allgemeine Gesellschaftskritik, dass alles zu schnell gehe | |
heutzutage, dass man nicht mehr durchatmen könne. Obwohl er mit seiner | |
Berliner Schnauze, dem zuweilen etwas quatschtütigen Mäandern bei den | |
Themen, der selbstbewussten Kennick-weeßick-warickschon-Attitüde nicht so | |
wirkt, als müsse er wirklich oft durchatmen. Eher, als ob einmal tief | |
Luftholen bei seinem Lungenvolumen für Tage reichte. | |
Der Preis für die Aufmerksamkeit, die ein Schauspieler evoziert, ob | |
extrovertiert oder eher zurückhaltend, ist ihm klar: „Es kann“, sagt | |
Zehrfeld, „ja mal gut und mal schlecht sein, dass die Menschen bestimmte | |
Figuren mit einem identifizieren.“ Manche Kollegen entschieden sich, ihren | |
privaten Raum ebenfalls für die Öffentlichkeit freizugeben. Zehrfeld, der | |
eine kleine Tochter hat, nicht: So gern und leidenschaftlich er über das | |
durch Massenwissen unverfängliche Thema Sport redet und mit Fußballernamen | |
um sich wirft, so vorsichtig spricht er über Privates. Doch er gibt zu, | |
dass er immer noch Panikattacken hat, dass er lernen muss, inwiefern die | |
steigende Medienaufmerksamkeit zu seinem Job gehört. | |
## Geschwindigkeit vereitelt Interaktion | |
„Ich bin bei solchen Öffentlichkeitsterminen oft aufgeregt, denke, ich will | |
doch eigentlich etwas Gescheites sagen …“ Er denke, sagt er dann, in | |
solchen Fällen daran, dass er den Job nicht bis zum Ende seines Lebens | |
machen müsse. Plan B sozusagen: Er könne sich auch vorstellen, Lehrer zu | |
sein. Denn die richtige Kommunikation sei etwas, an dem man noch arbeiten | |
müsse. Wieder nennt er die Geschwindigkeit, die heutzutage die | |
Interaktionen vereitele, streift kurz den „Arabischen Frühling“, von dem er | |
gehofft habe, dass dessen Einfluss auch bis zu den westlichen | |
Gesellschaften reiche. | |
„Gesellschaft“ ist eines seiner Lieblingsworte. Ein bisschen redet er noch | |
darüber, wie schwer es ihm zuweilen falle, am Computer zu schreiben, wie | |
oft ihm bereits Texte oder Briefe verloren gegangen seien, weil er das | |
Speichern vergessen habe. Dann rufe er doch lieber gleich an. Zum Abschied | |
drückt er die Hand. Und man braucht sich keine Sorgen zu machen, dass | |
Ronnie Zehrfeld an diesem langen Interviewtag müde würde. | |
22 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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