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# taz.de -- Schauspieler-Attacke in Halberstadt: Trauriges Schauspiel am Tatort
> Um den Überfall auf Schauspieler in Halberstadt aufzuklären, besuchen
> Richter, Anwälte und Angeklagte den Ort des Geschehens. Zur Aufklärung
> trug der Lokaltermin wenig bei.
Bild: Um schlampige Ermittlungen auszubügeln, wurde die Attacke auf die Schaus…
HALBERSTADT taz Es ist ein ungewohnter Auflauf schon am Vormittag vor der
Musikkneipe "Spucknapf" in Halberstadt. Polizisten in Uniform und in Zivil.
Richter. Staatsanwälte. Rechtsanwälte. Dazwischen die vier Angeklagten.
Umringt von Journalisten und Kameras werden Blickfelder geprüft,
Entfernungen vermessen und Zeiten gestoppt.
Den Ortstermin in dem bundesweit beachteten Verfahren hat Richter Holger
Selig angesetzt, um Zeugenaussagen verifizieren zu können. Hier auf dem
Platz gegenüber der Eckkneipe, kaum hundert Meter vom Nordharzer
Städtebundtheater entfernt, waren am 9. Juni 2007 mehrere Schauspieler des
Theaters nach einer Premierenfeier von rechtsgerichteten Jugendlichen
überfallen und teils erheblich verletzt worden.
Der Überfall und die Schlägerei können nicht nachgespielt werden. Zu
dürftig waren die Polizeiermittlungen, zu vage blieben bislang die
Zeugenaussagen. So entbrennt lediglich ein Disput darüber, wie
wahrscheinlich angebliche Wahrnehmungen von Zeugen sein könnten.
Der Disput ist symptomatisch für ein Verfahren, das inzwischen auf der
Stelle tritt. "Was die Polizei anfangs versäumt hat, lässt sich heute nicht
mehr nachholen", kommentieren gleich mehrere AnwältInnen der Nebenklage im
Namen der Opfer.
In der Tatnacht war beispielsweise der Hauptangeklagte Christian W.
zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Personalien weiterer
Tatbeteiligter, einige Zeugen sprechen von acht bis zwölf Neonazis, wurden
nicht aufgenommen. Dem gesamten Polizeieinsatz fehlte es an Koordination,
weshalb ihn ein interner Untersuchungsbericht auch als "katastrophal"
rügte.
Zweifelsfrei verwertbar ist bislang vor allem das Teilgeständnis des
mutmaßlichen Haupttäters Christian W., das dieser gleich am Eröffnungstag
des Prozesses im vergangenen Oktober abgelegt hatte. Darin hatte er
zumindest einen ersten Schlag eingeräumt und sich selbst, aber auch seine
ehemaligen Gesinnungsgenossen belastet.
Die blieben gestern beim Lokaltermin spürbar auf Distanz zu ihm. Wohl auch
deshalb, weil Christian W. aus der Szene aussteigen will. Nach Meinung
seines Anwaltes erwartet den bereits wegen Körperverletzung Vorbestraften
eine Freiheitsstrafe. Gegen die anderen drei liegen nach wie vor keine
harten Beweise vor, weshalb sie mit einem Freispruch rechnen können.
Mitte März war den fünf VertreterInnen der Nebenklage wegen der ihrer
Meinung nach zu vielen Ungereimtheiten im Verfahren der Kragen geplatzt.
Nachdem die Angeklagten bereits aus der Untersuchungshaft entlassen worden
waren, beantragten sie ein Ende der Beweisaufnahme. Es habe keinen Sinn
mehr, weiter zu verhandeln, "weil das Verfahren von Anfang an voller Fehler
war", sagte Rechtsanwältin Frauke Steuber damals. Auch die vorschnell und
übereifrig verfasste Anklage habe auf tönernen Füßen gestanden. Richter
Selig lehnte den Antrag ab und betonte die Rechtsstaatlichkeit des
Verfahrens.
Ernüchtert stand gestern ein indirekt Betroffener am Rande des Geschehens.
"Reines Legitimationstheater" kommentierte André Bücker, Intendant des
Nordharzer Städtebundtheaters, den Ortstermin. Das Gericht und die
Staatsanwaltschaft müssten demonstrieren, dass sie etwas tun und keine
Möglichkeit unbeachtet lassen. Aber was sei noch zu erwarten? "Die Polizei
war zu langsam, der Staatsanwalt zu schnell, der Richter erscheint
desinteressiert", fasst Bücker das Verfahren zusammen.
An die vermuteten weiteren Tatbeteiligten wird nicht mehr heranzukommen
sein. Und Verteidiger Jan-Robert Funck sah gestern gleich eine Reihe von
Zeugenaussagen entwertet: Die Zeugen hätten seiner Meinung nach von ihren
Standpunkten aus an dem Überfall beteiligte Personen nicht genau genug
erkennen können. Am Donnerstag werden erneut vier Polizisten als Zeugen
geladen.
"Spucknapf"-Inhaber Ulrich Clemens war indes der Rummel in und um seine
urige Kneipe am Dienstag gar nicht recht. Er beeilte sich zu versichern,
dass sein Türsteher alle äußerlich als rechtsextrem erscheinenden Gäste
abweise. "Sogar einen der Schauspieler in der Tatnacht, weil er
Springerstiefel trug."
16 Apr 2008
## AUTOREN
Michael Bartsch
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