Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sag mir, wo die Blumen sind
> Kseniia Kalmus war Meisterfloristin, hat an Wettbewerben für Blumenkunst
> teilgenommen. Nun betreibt sie eine Drohnenwerkstatt. Ihre Geschichte
> erzählt viel über den russisch-ukrainischen Krieg
Bild: Eine ihrer Drohnen hat einen russischen Panzer im Wert von 4 Millionen E…
Kseniia Kalmus betritt das Büro ihrer Werkstatt im Souterrain an einem
geheimen Ort in Kyjiw. In dem Raum stapeln sich Pakete, die Wände sind
kahl, abgesehen vom Banner einer ukrainischen Kampfbrigade. Nebenan
befindet sich eine etwa 30 Quadratmeter große Werkstatt. Kalmus steht vor
ihrem Schreibtisch, sie nimmt zur Hand, was hier produziert wird: eine
FPV-Drohne. FPV steht für „First Person View“, es sind die ferngesteuerten
Drohnen mit Kamera, die im russisch-ukrainischen Krieg tausendfach
eingesetzt werden. „Hier sitzen die Motoren“, erklärt die 36-Jährige und
zeigt auf die vier Enden eines Kreuzes, das von zwei Metallstreben gebildet
wird. „Und hier in der Mitte wird die Kamera befestigt, sehen Sie, über die
Elektronik und Sensoren wird sie mit der Fernbedienung verbunden.“
Für Kalmus sind Drohnen inzwischen ihr tägliches Geschäft. Vor etwa einem
Jahr hat sie die Werkstatt mit Freiwilligen aufgebaut. Rund 20 Menschen
helfen hier beim Drohnenbau, Student:innen, Rentner:innen, sogar
Schüler:innen, zwischen 15 und 78 Jahren. Für viele verschiedene
Militärbrigaden stellen sie Drohnen her, durchschnittlich etwa 50 pro
Woche, alle Größen: 8 Zoll, 10 Zoll, 13 Zoll. Die meisten werden als
Kamikaze-Drohnen eingesetzt, das heißt, sie tragen einen Sprengkopf und
werden gezielt gesteuert, um feindliche Soldat:innen anzugreifen und
militärisches Gerät, zum Beispiel Panzer, zu zerstören. Auf ukrainischem,
aber auch auf russischem Gebiet.
Russland übersät die Ukraine mit solchen Drohnen, stellt diese in
Massenfabrikation her, wirbt gar Gastarbeiter:innen dafür an. In der
Ukraine gibt es deutlich weniger Drohnenfabriken, dafür mehr kleinere
Hersteller wie die Werkstatt von Kseniia Kalmus. KLYN Drones nennt sie ihr
Produkt, die Werkstatt kommt daher wie ein Start-up in einem Hobbykeller,
Kalmus hat Badges und T-Shirts mit dem Logo und Namen ihrer Firma gedruckt.
Das Projekt ist komplett spendenfinanziert. Die meisten Teile für ihre
Drohnen kommen aus ukrainischer Herstellung. Die Mitarbeiter:innen
arbeiten hier überwiegend freiwillig und unbezahlt.
Wie Kseniia Kalmus in diese zur Werkstatt umgebauten Souterrainräume
gekommen ist, erzählt viel über den russisch-ukrainischen Krieg. Kalmus
stammt aus Dnipro, sie hat einen Abschluss in Management und Wirtschaft
gemacht und einen Meistertitel in Floristik. Bis zum 24. Februar 2022 hat
sie als Blumenbinderin und -künstlerin gearbeitet. In der Ukraine hat sie
einen Wettbewerb für Blumenkunst gewonnen, noch nach Beginn des russischen
Angriffskriegs hat sie ihr Land im Mai 2022 bei einem internationalen
Wettbewerb in Italien vertreten und den dritten Platz belegt – „Licht am
Ende des Tunnels“ sei das Thema gewesen, sagt sie. In ihre Arbeit hat sie
verbrannte und verkohlte Äste aus einem der kurzzeitig besetzten Dörfer der
Region Kyjiw integriert. Schäden des Kriegs.
Doch eigentlich beginnt Kalmus direkt nach Beginn der vollumfänglichen
Invasion als Freiwillige zu arbeiten. „Es war nicht mehr die richtige Zeit
für Blumen“, sagt sie und klingt dabei sarkastisch. Sie schließt sich mit
anderen Volunteers zusammen, liefert humanitäre Hilfsgüter in die
Ostukraine. Als sie die Zerstörung dort sieht, will sie mehr tun – und den
Wiederaufbau mitorganisieren.
Anfang Mai 2022 gründet sie zusammen mit zwei Freunden eine
Wohltätigkeitsorganisation, die etwa 400 Häuser neu deckt, drei Schulen
teilweise wiederaufbaut. Immer wieder seien sie in das Dorf Slatyne bei
Charkiw gefahren, um dort beim Wiederaufbau anzupacken. „Eines Tages im Mai
2024 rief ich den Dorfvorsteher an und teilte ihm mit, dass ich nun das
Metall für 30 weitere Häuser bezahlen wolle, das kurz danach geliefert
werden könne. Daraufhin antwortete er: ‚Bitte hören Sie auf. Es hat keinen
Sinn mehr, wieder aufzubauen. Das ist zu riskant.‘“ Die Russen hatten das
Dorf wieder angegriffen und zerbombt. Später fährt Kalmus selbst nach
Slatyne, schaut sich die neuerliche Zerstörung an. „Ich habe geweint, als
ich das gesehen habe.“ Sie zeigt auf dem Handy ein Video mit völlig
zerstörten Häusern.
Kalmus redet schnell, sie sitzt in rotem Kleid und schwarzem Oberteil
hinter dem Schreibtisch, die exemplarische Drohne die ganze Zeit vor sich.
Eine Freiwillige kommt ins Büro, sie tritt ihren Dienst an, überreicht
Kalmus ein Paket, das gerade angekommen ist. Absender: eine ukrainische
Brigade. „Ah, wahrscheinlich ein Dankeschön-Paket“, sagt sie und stellt es
zur Seite. „Manchmal schicken sie uns T-Shirts oder Flaggen ihrer Brigaden,
um sich für die Lieferungen zu bedanken.“
Nach dem schrecklichen Erlebnis in dem Dorf habe sie gedacht: „Die Russen
waren der Grund, warum ich aufgehört habe, Blumen zu binden. Dann haben sie
die Häuser zerstört, die wir gedeckt hatten.“ Sie habe überlegt, was sie
nun tun könne. Und sei zu dem Schluss gekommen: „Ich will wirklichen
Widerstand leisten. Etwas tun, damit die Russen gestoppt werden.“ Im Sommer
2024 lässt sie sich professionell ausbilden, lernt an einer Schule für
Ingenieurwesen und Piloten Drohnen zu steuern und zu bauen. Zusammensetzen,
schrauben, löten. Nachdem sie die Ausbildung beendet hat, baut sie ein
neues Team auf, mietet den Werkstattraum an.
„Ich bin eine Macherin“, sagt Kseniia Kalmus. „Sagen kann man immer viel;
was zählt, ist das Handeln.“ Und sie erzählt, wie eine ihrer Drohnen einen
russischen Panzer im Wert von 4 Millionen Euro zerstört habe. „Uns kostet
das Material nur 360 Euro“, sagt sie und hebt die Drohne vor ihr in die
Luft. Es gibt einige solcher Fälle, ukrainische Drohnen haben auch schon
russische Artillerieaufklärungsradare zerstört, deren geschätzter Wert 21
Millionen Euro war. „Jede Drohne zählt“, sagt Kalmus. Sie grinst
herausfordernd und reißt die Augen dabei weit auf. Als wolle sie sagen:
Diesmal werden die Russen nicht kaputt machen, was ich mir aufgebaut habe.
6 Sep 2025
## AUTOREN
Jens Uthoff
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.