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# taz.de -- Regisseur Ang Lee: "Sex ist der ultimative Darstellungsakt"
> "Gefahr und Begierde"- der neue Film von Ang Lee spielt im China der 40er
> Jahre. Der Regisseur über Patriotismus, weibliche Sexualität und
> Schauspieler, die Wölfe und Mäuse nachahmen
Bild: Tang Wei und Tony Leung: die Katze und der Wolf-Mäuserich.
taz: Herr Lee, "Gefahr und Begierde" ist ein historisches Spionagedrama, in
dem es um eine junge Frau geht, die im Trubel der Ereignisse beinahe
auseinandergerissen wird. Was hat Sie an dieser Verbindung aus Privatem und
Historischem fasziniert?
Ang Lee: Sie haben es in Ihrer Frage bereits beantwortet: Eine Figur, die
innerlich in Stücke gerissen wird, ist natürlich tolles Filmmaterial. Ich
halte Eileen Chang, von der die Geschichte stammt, für die bedeutendste
chinesische Gegenwartsautorin. Das Buch ist relativ unbekannt. Sie schrieb
es in reiferem Alter. Es geht um China während des Zweiten Weltkriegs, eine
Ära, über die zu sprechen verboten ist. Ich glaube, es handelt sich um den
ersten Film über diese Zeit. Das Faszinierende aber daran ist, dass es im
Grunde um Eileen Chang selbst geht.
Und Ihre Perspektive ist hochdramatisch?
Ja, es hat mich gefesselt, diesen so ruhmreichen Krieg gegen Japan vom
Standpunkt der weiblichen Sexualität her zu untersuchen. Das ist ein Tabu.
Es ist eigentlich zum Fürchten. Eileen Chang ist eine mutige Frau. Und es
hat mich natürlich besonders gebannt, dass es in dieser Geschichte um
Verstellung, um Schauspiel geht. Darum, wie das Schauspiel das eigene Ego
affiziert. So etwas muss eigentlich jedem Filmemacher gefallen, aber ich
habe lange gezögert, weil ich Angst davor hatte.
Wovor hatten Sie Angst? Vor der weiblichen Sexualität?
Weniger vor der weiblichen Sexualität als davor, wie sie hier mit
Patriotismus in Verbindung gebracht wird. Das ist einfach nur verboten. Es
ist eine kleine Geschichte, aber sie birgt sehr viel Kraft in sich.
Sie haben gesagt, Schauspiel spielt eine große Rolle. Geht es für Wang
Jiazhi, die Hauptfigur, darum, vorzuspielen, dass man liebt?
Ja, und um zu spielen, dass man liebt, muss man sehr viel Glauben
investieren - in die Darstellung. Nur so kann Jiazhi überzeugend sein.
Allerdings ist die Suche und Verwirklichung dieser Wahrhaftigkeit des
Spiels so intensiv, dass daraus Liebe wird.
Die Grenzen lösen sich auf.
Genau. Und je verbotener diese Affäre ist, umso mehr Erregung bringt sie
mit sich. Das wird der Auslöser der Liebe. Außerdem ist es für Jiazhi sehr
verwirrend, diese Erfahrung innerhalb der größeren politischen Ordnung der
Besetzung zu machen. Das Verhältnis von Mann und Frau ist wie ein Echo auf
den Besetzer, der besetzt wird. Aber nichts ist offensichtlich. Es ist sehr
schwer zu sagen, wer hier die Oberhand behält und wem die aktive Rolle
zufällt.
Auf der einen Seite erzählt der Filme eine Genregeschichte: eine Spionin,
die sich in ihr Objekt verliebt. Auf der anderen Seite scheint das Genre
nur ein Vorwand, um sehr viel tiefer zu gehen.
Ich mag es, ein Genre zu verwenden und es glaubwürdig zu machen. Man muss
eben die Konsequenzen tragen. Ich habe das schon bei "Tiger and Dragon" so
gemacht. Üblicherweise sieht man in einem Film über Spione, wie sich Feinde
töten oder sich verlieben, aber der Sex wird weggelassen. Sie bekommen den
killer-thriller, aber es wird nicht erzählt, wie sich das Töten anfühlt.
Ich liebe solche Konflikte, die innerhalb unserer psychologischen Welt Sinn
ergeben. Und ich schätze es, Tabus und soziale Konventionen aufzubrechen.
Man kann das Menschsein erforschen und zugleich sehr unterhaltsam sein.
Geht es für Sie dann darum, den emotionalen Kern einer Geschichte
freizulegen?
Die Menschen wollen Dinge verstehen, sonst sind sie frustriert. Moralisten
geben uns Regeln, an die wir uns halten sollen; Magier geben uns einen
Zauberspruch, auch Filmkritiker stellen bestimmte Leitlinien auf. Aber im
wirklichen Leben regiert der Frust. Wir wissen nicht, was als Nächstes
kommt. In der Liebe, zum Beispiel, ist alles eher konfus. Deshalb brauchen
wir wohl Kunst.
Bemerkenswert ist, dass Jiazhi nie zum Opfer wird. Selbst nach einer
Vergewaltigung durch Mr. Yi huscht ihr ein Lächeln über das Gesicht.
Hat Sie das verstört?
Nein, ich fand es sehr irritierend, aber durchaus nachvollziehbar.
Das ist Ironie. Jiazhi ist das Opfer, sie spielt aber auch eine Rolle. Sie
ist so aufgeregt. Deswegen musste ich die beiden warten lassen, bis sie
sich wieder sehen. Als Studentin in Schanghai ist Jiazhi noch ein Nichts:
Es gibt kein Licht in ihrem Gesicht, kein Make-up. Sie ist völlig verloren.
Als ihr der Studentenführer dann aber sagt, dass ihr Geschäft noch nicht
erledigt ist, beginnt sie zu leuchten - ganz ähnlich wie Schauspieler, die
eine Rolle spielen.
Die Sexszenen sind außerordentlich deutlich und werden breit ausgespielt.
Man hat den Eindruck, dass sie wie eine Bühne für das Verhältnis der beiden
Figuren funktionieren. Wie haben Sie sie konzipiert?
Für mich ist Sex der ultimative Darstellungsakt. Es ist so aufregend wie
erschöpfend, das zu drehen. Ich kann nicht sagen, wie ich die Szenen
entworfen habe: Etwas hat mich zu ihnen hingezogen, eine eigene Kraft. Mir
war ihre Bedeutung nicht von Anfang klar, ich hatte höchstens unbewusst
einen Plan. Aber nach und nach wurde mir bewusst, dass man damit sehr viel
über die Figuren erzählen kann, weil so viel von ihnen darin zum Ausdruck
kommt.
Der Sex hat auch etwas Animalisches. Wollten Sie damit zeigen, wie sich
Menschen von sozialen Rollen lösen?
Ich habe Tony Leung gesagt, er soll zwei Tiere imitieren: einen Wolf, denn
das ist das Tier, das er über den längsten Zeitraum der Geschichte ist. Ein
Jäger, der sich nur über die Sexualität und die ihr innewohnende Brutalität
ausdrücken kann. Das andere Tier ist eine Maus. Eileen Chang schreibt in
der Geschichte, dass er wie eine solche aussieht. Yi ist nicht einfach nur
ein Landesverräter, er hat selbst Angst. Man sieht das schon daran, wie er
sich bewegt. Wie er sich umschaut. Ich habe Tony jede Menge
Discovery-Channel-Material zum Anschauen gegeben.
Und welches Tier ist Jiazhi?
Sie ist mehr wie eine Katze. In ihrer Art, wie sie mit ihm spielt.
Wie jeder Ihrer Filme ist auch "Gefahr und Begierde" reich an Details. Sind
Sie ein Perfektionist, was Ausstattung, Kostüm und all diese historischen
Verweise betrifft?
Ich halte sie für sehr wichtig. Man sollte sich anstrengen, so nah wie
möglich an eine bestimmte Geschichte und ihre Zeit zu kommen. Bei diesem
Film war es eine besondere Herausforderung, weil die Chinesen nicht viel
Wert auf Konservierung legen. Jetzt können sie sich ansehen, wie China
einmal ausgesehen hat. Aber ich habe sicher Fehler gemacht. Ich esse,
schlafe und gehe mit dem Film spazieren. Ich bemühe mich, jeden noch so
kleinen Aspekt zu berücksichtigen. Man überlegt sehr lange, welche Elemente
auf welche Weise den Zuschauer erreichen.
War es für Sie einfacher die chinesische Vergangenheit zu rekonstruieren
als zum Beispiel die Welt einer mittelständischen US-Familie der
70er-Jahre?
Sie sprechen von "The Ice Storm". Amerika, 1976, war mir tatsächlich fern
genug, um als Kostümfilm zu funktionieren. Ich habe mich aber bereits bei
"Sense and Sensibility" in diese Form verliebt. Wenn etwas bereits
geschehen ist, dann kann man es recherchieren und auf die richtige Art
wieder auferstehen zu lassen. Es gibt eine Art Konsens in der Erinnerung,
wann etwas stimmig ist. Das Bild steht eigentlich immer fest. Ich weiß auch
nicht, warum. Womöglich bin ich auch vollkommen auf dem Holzweg. Manchmal
fühle ich mich der Gegenwart so enthoben. Ich würde lieber in der
Vergangenheit leben. Ich glaube, die Vergangenheit gibt mir mehr
Sicherheit, dass ich die Zeit richtig erfasse. Die Gegenwart ist kaum
festzuhalten.
Wie würde ein Science-Fiction-Film von Ang Lee aussehen?
Bisher hat mich noch kein Stoff genug fasziniert. Ich würde es gerne mal
versuchen. Nein, vergessen Sie das: Ich glaube, ich könnte das gar nicht.
Einmal geht Jiazhi ins Kino. Es läuft ein Film mit Ingrid Bergman. Welcher
ist das?
Es handelt sich um "Intermezzo". Ich dachte mir einfach, das sei der Film,
den sich jemand wie Jiazhi ansieht. Es war Bergmans erste Rolle, in der sie
Englisch sprach. Zuerst wollte ich Hitchcocks "Suspicion" nehmen, der Film
war der größte Hit im Schanghai des Jahres 1942. Aber er war mir dann doch
zu nahe an diesem Begriff von weiblicher Angst.
"Gefahr und Begierde". Regie: Ang Lee. Mit Tony Leung, Tang Wei u. a.
China/USA 2007, 156 Min.
17 Oct 2007
## AUTOREN
Dominik Kamalzadeh
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