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# taz.de -- Rechtsanspruch Kita-Platz: "Das ist ein Schritt zurück"
> Kita-Expertin Ilse Wehrmann hält wenig von Bremens Plänen, den
> ErzieherInnen-Mangel durch niedrigschwellig ausgebildete, preiswerte
> SozialassistentInnen zu beheben.
Bild: Ilse Wehrmann fordert, finanzpolitische Prioritäten zugunsten der Kinder…
taz: Frau Wehrmann, Bremen will Haupt- und Realschulabgängerinnen zu
Sozialassistentinnen ausbilden, eine Ausbildungsstufe unter der Erzieherin.
Ist das der richtige Weg, um mehr Betreuungsplätze für Unter-Dreijährige zu
schaffen?
Ilse Wehrmann: Ich bekomme mit, dass Bremen sich bemüht, den ab 2013
geltenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz einzulösen…
… und dabei kreativ wird…
Ich habe Verständnis, dass eine finanzschwache Kommune nach Notlösungen
sucht. Aber die Sozialassistentin ist wirklich ein Schritt zurück.
Eigentlich müssten die mit den höchsten Bildungsabschlüssen zu den
Kleinsten, weil alles weitere Lernen darauf aufbaut. Berlin hat als
einziges Bundesland das Abitur zur Grundvoraussetzung der
Erzieherinnen-Ausbildung gemacht - das ist der richtige Weg!
Aber warum sollten nur Abiturientinnen geeignet sein, Kleinkinder zu
betreuen?
Gegen einen Personalmix ist gar nichts einzuwenden und ich glaube, dass es
gut wäre, die Allgemeinbildung, soziale Kompetenz und die Fähigkeit, sich
in Kleinkinder einzufühlen, in Eignungstests zu prüfen. Das käme auch
Quereinsteigern zugute und gibt Selbstvertrauen.
Aber?
Aber in den Einrichtungen müssen Leute mit Hochschulstudium arbeiten, um
die Qualifikation insgesamt anzuheben. Die Betreuerinnen brauchen eine gute
Allgemeinbildung, um einerseits den Kindern diese komplexe Welt erklären zu
können und andererseits mit den Eltern - die ja fast immer berufstätig sind
- Erziehungsgespräche auf Augenhöhe führen zu können.
Eine andere Bremer Idee ist, in den Kitas für Drei- bis Sechsjährige die
Zweieinhalbjährigen aufzunehmen, weil dort Platz ist. Was halten Sie davon?
Nichts, gar nichts. Es sei denn, man verändert die Ausstattung in den
Einrichtungen so, dass sie auch Kleinkindern gerecht wird, und stellt
ausreichend Erzieherinnen ein, die auf ihre Aufgabe auch vorbereitet sind.
Sollte man auf den Ausbau der Betreuung verzichten, wenn sie nicht auf
hohem Niveau umgesetzt werden kann?
Nein. Man sollte sich nicht damit abfinden, dass die finanzpolitischen
Prioritäten zuungunsten von Kindern gesetzt werden. Die meisten Kommunen
können das nicht mit eigenem Geld schaffen. Ich erwarte von Bremen, dass
offensiv dafür kämpft, dass der Bund die Kindergärten finanziert. Das muss
das Land aus eigenem Interesse tun, um nicht weiter vom Süden abgehängt zu
werden. Die Fachkräfte gehen heute dorthin, wo es gute Betreuungsangebote
gibt.
In Bremen muss man nehmen, was man kriegen kann.
Individuell ist es verständlich, wenn Eltern sich damit abfinden, dass die
Krippe nicht so ist, wie sie sich für ihr Kind wünschen. Aber doch nicht
als Gesellschaft! Wir überlassen der nächsten Generation so viele Probleme
- und dann rüsten wir sie nicht dafür aus, um damit fertig zu werden!
Sie sagen das alles schon so lange - hört Ihnen niemand zu?
In Bremen nicht, obwohl ich mich gerne mit der neuen Sozialsenatorin
unterhalten würde. In anderen Bundesländern, vor allem im Süden und in
Nordrhein-Westfalen ist das anders. Da erlebe ich Ministerpräsidenten, die
der Idee aufgeschlossen gegenüber stehen, einen Vertrag zwischen Ländern,
Kommunen und dem Bund abzuschließen, um die Kinderbetreuung über
bundeseinheitliche Standards zu regeln und zu finanzieren.
Sie beraten nicht nur die Politik, sondern vor allem Unternehmen.
Ja, wenn ich am die Wirtschaft denke, da ist mir gar nicht bange um die
Kinderbetreuung. Vor allem in den mittelständischen Betrieben stoße ich auf
eine sehr große Offenheit, einfach weil sie ihren Mitarbeitern etwas bieten
müssen. Neuen Schwung hat die Diskussion um die Frauenquote für
Führungspositionen in das Thema gebracht.
Die Bremer Handelskammer meinen Sie aber nicht.
Stimmt. Ich verstehe auch nicht, warum die Politik in Bremen die Wirtschaft
nicht stärker in die Pflicht nimmt. Da liegt richtig Potenzial brach.
Vielleicht weil man keine Elite-Kindergärten will?
Das will ich auch nicht. Aber man kann doch voneinander profitieren. In
Nordrhein-Westfalen werden die Betriebskindergärten zu 91 Prozent
öffentlich gefördert - und die müssen dafür 20 Prozent ihrer Plätze
öffentlich vergeben. So hat RWE in Essen in einem sozialen Brennpunkt
gebaut. Oder nehmen Sie Baden-Württemberg: Da haben Eltern die Wahl, ob sie
ihr Kind in eine wohnortnahe oder eine betriebliche Kindertagesstätte
geben. Der staatliche Zuschuss ist derselbe. Und Wahlmöglichkeiten brauchen
wir ganz dringend. Solange die Not der Eltern so groß ist wie jetzt, wird
sich an der Qualität nichts ändern. Konkurrenz belebt das System.
5 Dec 2011
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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