| # taz.de -- Rassismus im Fußball: "Selbst der MDR hat nicht reagiert" | |
| > Beim Auswärtsspiel von Türkiyemspor in Chemnitz waren erstmals Vertreter | |
| > aus Politik und Kultur dabei. Sie sollen fremdenfeindliche Übergriffe | |
| > dokumentieren. Dass der Aufruf nicht unumstritten ist, weiß auch | |
| > Fanbeauftragter Cetin Özaydin. | |
| taz: Herr Özaydin, vor einer Woche beim Gastspiel in Chemnitz wurde auf den | |
| Rängen ausländerfeindliche Stimmungsmache gegen Türkiyemspor initiiert. | |
| Hatten Sie damit gerechnet? | |
| Cetin Özaydin: Überrascht hat mich das jedenfalls nicht. Anfang der 90-er | |
| Jahre habe wir im Osten viel Schlimmeres miterlebt. Aber die Leute von | |
| unserer Begleitergruppe aus Politik, Kultur und Sport waren völlig | |
| entsetzt. Sie waren unserem öffentlichen Aufruf gefolgt, uns diese Saison | |
| zu den so genannten Risikospielen zu begleiten. | |
| Was ist denn in Chemnitz passiert? | |
| Es wurden während des Spiels rassistische Parolen skandiert. "Berlin bleibt | |
| Deutsch", "Ausländer raus" und "Wir besuchen euch in Buchenwald". Eine gut | |
| 50-köpfige organisierte Gruppe tat sich dabei hervor, die mit T-Shirts ins | |
| Stadion gelassen wurde, auf denen Fragmente einer verbotenen rechtsextremen | |
| Band "Landser" aufgedruckt waren: "Alle deutschen Hooligans singen laut im | |
| Chor: Wieder mal kein Tor für Türkiyemspor". | |
| Und das wurde im Stadion alles so hingenommen? | |
| Der Stadionsprecher reagierte erst, als die Rufe "Juden Berlin" kamen. Da | |
| fiel ihm wohl ein, dass der Hallescher FC in der letzten Saison für | |
| antisemitische Vorfälle hart bestraft wurde. | |
| Chemnitzer Fans kritisierten, Türkiyemspor hätte mit seinem angekündigten | |
| Spielerbeobachtertross schlafende Hunde aus der rechten Szene geweckt. | |
| Die da krakeelt haben, waren keine Unbekannten, wie der Verein behauptet. | |
| Viele von denen gehören einer Gruppierung an, die letztes Jahr noch den | |
| Ordnerdienst vom Chemnitzer FC gestellt hat. Die wären sowieso im Stadion | |
| gewesen. | |
| Auch in anderen Fanforen ostdeutscher Fußballclubs wird man nun gegenüber | |
| Türkiyemspor ausfällig wegen der Idee mit den Beobachtern. | |
| Man weiß um die harten Strafen des DFB. Und jetzt wächst die Angst vor den | |
| eigenen Nebenleuten. Aber anstatt gegen diese vorzugehen, schiebt man uns | |
| die Verantwortung zu. Früher, als wir uns selbst beschwert haben, waren wir | |
| die Nestbeschmutzer. Jetzt, wo wir mit unabhängigen Beobachter anreisen, | |
| sind wir auch wieder schuld. | |
| Bereuen Sie nun etwa ihre Initiative? | |
| Überhaupt nicht. Ohne die Protokolle der Beobachter wäre dieser Skandal | |
| nicht so schnell an die Öffentlichkeit gelangt. | |
| Das Fernsehen war doch vor Ort. | |
| Ja, aber der MDR hat die Vorkommnisse am Tag des Geschehens noch in seinem | |
| Spielbericht verschwiegen. Erst nach einem Gespräch mit dem Berliner | |
| Integrationsbeauftragten Günter Piening, der als Beobachter für uns dabei | |
| war, berichtete man auf der Homepage des MDR von den ausländerfeindlichen | |
| Parolen. | |
| Glauben Sie wirklich, man hätte das Geschehen in Chemnitz unter den Teppich | |
| kehren können? | |
| Chemnitz wäre vielleicht mit einer kleinen Geldstrafe davon gekommen. Nun | |
| stellen sie sich notgedrungen der öffentlichen Diskussion - wenn auch | |
| verzögert. Drei Tagen haben sie für eine Presseerklärung gebraucht, um sich | |
| von den rassistischen Vorfällen zu distanzieren. | |
| Haben Sie Sorge, dass die bestehenden Ressentiments gegen Türkiyemspor | |
| weiter zunehmen könnten? | |
| Nein. Wenn wir nächste Saison wieder in Chemnitz antreten müssen, wird es | |
| schon besser sein. | |
| Weshalb? | |
| Wir sind wie Chemnitz aufgestiegen und haben erstmals gegeneinander | |
| gespielt. Das nächste Mal kennt man sich ja ein bisschen. Beim dritten Mal | |
| kommt man dann ins Gespräch. Das war bislang immer so. Wir haben die | |
| letzten 18 Jahre die ostdeutschen Fußballfans integriert. | |
| Würden Sie nicht lieber wieder in der altbekannten ruhigen Oberliga | |
| spielen? | |
| Ruhig ist es dort auch nicht. Der Rassismus tritt dort nur nicht | |
| organisiert auf. Da steht man in einem vermeintlich harmlosen Grüppchen und | |
| plötzlich wünscht dir dein Nebenmann, dass du vergast wirst. | |
| Am friedlichsten würde es wohl in der Hochsicherheitszone Bundesliga | |
| zugehen. | |
| Das wäre schön. Stellen Sie sich vor, eines Tages stände die | |
| Bundesligapartie Bayern München gegen Türkiyemspor auf dem Spielplan. Das | |
| würde das Bewusstsein der Menschen in Deutschland radikal verändern. | |
| Wieso? | |
| Wenn die Leute an uns denken, denken sie an Sozialhilfeempfänger, | |
| Hilfsarbeiter und Analphabeten. Türkiyemspor in der Bundesliga - das wäre | |
| endlich eine überzeugende Erfolgsgeschichte. | |
| Als der Verein letztes Jahr den Integrationspreis erhielt, wurde der Club | |
| doch überall bereits als Erfolgsmodell gepriesen. | |
| Ja, alle finden uns toll. Dennoch besteht nach wie vor keine | |
| Chancengleichheit. Der Senat hilft Hertha und Union, wo er nur kann. Bei | |
| Hertha wird sogar die Sanierung des Amateurstadions mit einem | |
| siebenstelligen Betrag bezuschusst. Wir, die Nr. 3 in der Stadt, haben nach | |
| wie vor keine eigene Sportanlage und müssen uns Woche für Woche | |
| Trainingsplätze für unsere 1. Mannschaft organisieren. | |
| CETIN ÖZAYDIN, 43, ist Vorsitzender des Fördervereins von Türkiyemspor und | |
| Fanbeauftragter. Von Beruf ist er Krankenpfleger. | |
| 8 Sep 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Kopp | |
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