# taz.de -- RAF-Kunst: Genuss an der Feindschaft | |
> Das Stuttgarter Schauspiel befragt in drei Projektwochen die Geschichte | |
> der RAF. Die erste begann unter dem Titel "Endstation Stammheim" mit | |
> Stücken von Pollesch und Protokoll. | |
Bild: Peymann liest Peymannbeschimpfung. | |
Trimm dich fit, immer rund um die Justizvollzugsanstalt Stammheim. Ein gut | |
bewachter und beleuchteter Weg, auch nachts, ideal für den Sport nach | |
Feierabend. Schon vor dreißig Jahren seien die ersten Jogger ihre Runden um | |
die Mauer des Gefängnisses gelaufen, erzählt eine Sportlehrerin aus dem TV | |
(Turnverein) Stammheim auf der großen Bühne des Schauspiels in Stuttgart. | |
Sie ist eine von den 80 bis 100 Mitgliedern des Vereins, die von Helgard | |
Haug und Daniel Wetzel von der Gruppe Rimini Protokoll für ihre | |
Inszenierung "Peymannbeschimpfung. Ein Training" gecastet wurden. | |
Und was machen die da? Gymnastik, ehrlich, das ist nun nicht gerade, was | |
man unter dem Titel "Endstation Stammheim", unter dem das Schauspiel | |
Stuttgart drei Projektwochen angekündigt hat, erwartet. | |
Wirbelsäulengymnastik, Step Aerobic, Yoga, Jazzdance. Und sie erzählen | |
dabei, welche Bedeutungen für sie, die Anwohner von Stammheim, das | |
Gefängnis hat: ein Muss im Besichtigungsprogramm, wenn Besuch kommt. Ein | |
unheimlicher Ort für ein Praktikum als Zahnarzt. Ein Anlass für blöde | |
Witze, wann immer man seine Herkunft erwähnt. Ein Ort, der untrennbar mit | |
der Geschichte der linken Sozialisation in den Siebzigerjahren verbunden | |
war und die Macht des Staates repräsentierte - auch das wird erzählt, | |
unprätentiös und genau, wenn auch nur als eine von vielen biografischen | |
Linien, die sich im TV Stammheim begegnen. | |
Nichts ist so undramatisch auf der Bühne anzuschauen wie eine Gruppe | |
älterer Damen beim Yoga. Und nichts ist jemals so dramatisch in den Alltag | |
dieses Theaters eingebrochen wie die Zahnspendenaffäre, die im Mittelpunkt | |
der "Peymannbeschimpfung. Ein Training" steht. Denn hinter den ganzen | |
Bewegungen der Körper liest auf einer Leinwand Claus Peymann Hassbriefe, | |
die er als Schauspieldirektor hier erhielt, vor genau dreißig Jahren. | |
Anlass war seine Unterstützung eines Spendenaufrufs, mit dem die Mutter von | |
Gudrun Ensslin Geld einzusammeln versuchte für eine Zahnbehandlung für die | |
Inhaftierten der RAF in Stammheim. "Mephisto möge ihr Wegbegleiter bleiben | |
und Sie dorthin bringen, wohin Sie schon längst gehören: in die Hölle" und | |
"Ihnen gehört die Mistgabel auf den Kopf gearscht, dass die Socken | |
platzen", liest Peymann vor. | |
So verrückt ist die Sprache der Briefe, so ausgesucht sind die | |
Beschimpfungen, dass sie ständig auf den Wahnsinn der Schreibenden | |
zurückzuweisen scheinen. Claus Peymann kann sie denn auch heute mit einem | |
gewissen Genuss an dieser Feindschaft lesen, die ihm nicht zuletzt den Ruf | |
des politisch aufrührerischen Theatermachers eintrug. Aus einem abseitigen, | |
von Fanatismus und Rachefantasien geprägten Raum, voller Pedanterie und | |
Lust an grausamen Details kam dieses Sprechen. Eine konservative Empörung, | |
die sich in Gewaltvorstellungen niederschlug. Die Briefe waren aber nur die | |
Begleiterscheinung eines politischen Drucks und letztlich der Ausdruck | |
einer alles Linke verteufelnden Panikmache, der Peymann schließlich von | |
Stuttgart nach Bochum ziehen ließ. | |
Es ist eine schöne theaterhistorische Pointe dieses Stücks, dass Claus | |
Peymann, der dem postdramatischen Theater, wie es die Gruppe Rimini | |
Protokoll pflegt, sehr misstrauisch gegenübersteht und Ausdruck politischer | |
Kritik allein in seinem Theater, dem BE in Berlin, beheimatet sieht, hier | |
nun ausgerechnet hinter der größten Gruppe von Alltagsspezialisten | |
auftaucht, die Rimini Protokoll bisher auf die Bühne brachte. Und man sieht | |
deutlich, dass das Schauspiel Stuttgart sich eben auch auf den Spuren der | |
eigenen Geschichte bewegt, wenn es mit den Projektwochen "Endstation | |
Stammheim" nach den Erinnerungen dieser Stadt an die Zeit der RAF und der | |
Terroristenverfolgung fragt. Die Ära Peymann in Stuttgart ist legendär, | |
hier schien das Theater ein Türöffner für die Suche nach einem anderen | |
Leben, hier war der Raum für die Wahrnehmung der Kunst politisch | |
aufgeladen. Ist der Blick zurück am Schauspielhaus also auch ein | |
sehnsuchtsvoller Versuch, dem Theater wieder eine lautere Stimme im | |
politischen Raum zu geben? | |
Jörg Bochow, Chefdramaturg in Stuttgart, sieht das anders. Für ihn steht | |
die Suche nach Entmythisierung im Umgang mit den Legenden der RAF im | |
Vordergrund. Dafür werden Erinnerungen wieder befragt, Texte und Dokumente | |
wieder gelesen und nach Narrationsformen gesucht, die sich von den | |
bekannten Erzählungen entfernen und vor allem die Konstruktionen der Medien | |
hinterfragen. Man habe den Blick nicht wieder auf Opfer und Täter verengen | |
wollen, sagt Jörg Bochow, sondern ausweiten wollen auf das politische | |
Umfeld der Zeit, das jetzt so oft verdrängt wird. | |
Ein schöner Plan, aber dann stehen in den ersten vier Premieren doch gleich | |
zweimal wieder Opfer und Täter auf der Bühne. Zum Beispiel in "Mogadischu | |
Fensterplatz", einem Stück nach einem Roman von F. C. Delius, das von der | |
Flugzeugentführung der "Landshut" aus der Perspektive der Passagiere | |
erzählt. Sie durchleben im Rückblick noch einmal diese Zeit, die Enge, die | |
Todesangst, der Druck in den Gedärmen, den Berührungsekel; sie durchleben | |
das jetzt aber mit dem nachträglichen Wissen, dass dafür auch die | |
Staatsmacht, die Regierung von Helmut Schmidt, verantwortlich war, die mit | |
ihrem Leben gepokert hat. | |
Das ist in der Regie von Regina Wenig zwar ein spannendes und informatives | |
Stück Theater geworden. Über den klaustrophobischen Schauplatz, die | |
Gefangenschaft im Flugzeug, aber kommt es nicht hinaus und bleibt ein | |
Kammerspiel. Zwar versucht die Inszenierung, mit den Figuren eines | |
Regierungsvertreters und einer Terroristin, die fast geschlossenen | |
Denksysteme, die da so unverbrüchlich aufeinanderkrachten, in das Stück | |
hineinzuspiegeln - allein das bleibt sehr klischeehaft. Trotzdem berührt | |
"Mogadischu Fensterplatz" auch deshalb seltsam, weil ihm die aktuelle | |
Debatte über die Legitimation für den Abschuss eines von Terroristen | |
gekaperten Flugzeugs natürlich eine Steilvorlage liefert. Nichts von dem, | |
was auf der Bühne so absurd erscheint, ist absurd genug, als dass es nicht | |
von den realen Diskussionen in der Sicherheitspolitik noch einmal | |
übertroffen werden könnte. | |
Auch in dem Stück "Umschluss" von Christian Hockenbrinck, das zu den sieben | |
Premieren der ersten Projektwoche gehörte, schrumpft der Raum. Es ist | |
mitten in der JVA Stammheim angesiedelt und mit den Stimmen von "Andreas", | |
"Gudrun", "Ulrike", "Holger" und "Jan" besetzt. Der Text ist einerseits | |
eine dokumentarische Collage und setzt sich zusammen aus Büchern, von denen | |
man weiß, dass sie von den Gefangenen zusammen gelesen und als Material | |
ideologischer Aufrüstung diskutiert wurden, Brecht, ein Guerilla-Leitfaden, | |
Lenin, Mao. Andererseits werden Zitate der berüchtigten Tonbandprotokolle | |
eingesetzt. Und so, wie sie sich in der ideologischen Auseinandersetzung | |
selbst fertigmachen, Unterwerfung, Selbstbezichtigung, Selbstauslöschung | |
besonders von "Ulrike" verlangen, denkt man, sind sie selbst ihre | |
schlimmsten Peiniger. | |
Sprache wird da zu einem Mittel der Gewalt, der Selbstberauschung und der | |
Selbstermächtigung. Es ist fies und bedrückend, mit anzusehen, wie die | |
Suche nach Instrumenten der Befreiung in den Wiederholungszwang von | |
autoritären Strukturen kippt. Was sie aber dahin gebracht hat, sich so mit | |
der Waffe der Rhetorik zu zerfleischen, das sieht man nicht. | |
Einer, der in allen seinen Stücken die Frage nach der Repräsentation als | |
eine Frage der Macht thematisiert, ist in Stuttgart auch dabei: René | |
Pollesch. Und obwohl sein Stück "Liebe ist kälter als das Kapital", mit | |
jungen Schauspielern aus Stuttgart erarbeitet, wörtlich nur wenige | |
Bezugspunkte zu den Siebzigerjahren anbietet, ist seine Theatersprache doch | |
am stärksten geprägt vom Zweifel an jeder Konvention und dem Sinn von | |
Regeln, die immer auch hierarchische Strukturen spiegeln. Nicht zuletzt | |
torpediert er das unter Künstlern beliebte Selbstverständnis, dass Kunst | |
per se irgendwie widerständig sei. | |
"Man kann überhaupt nicht mehr Nein sagen." Das ist in Polleschs neuer | |
Inszenierung die Klage einer Schauspielerin, um die alles kreist. Sie | |
torkelt, nicht nur ob des Alkohols, sondern vor allem verunsichert ob der | |
schwindenden Realität, zwischen einer Szene auf der Vorderbühne und | |
Dreharbeiten auf der Hinterbühne unablässig hin und her. "Liebling! Was ist | |
denn mit der Realität passiert? Die war doch immer hier hinten", klagt die | |
Schauspielerin, die eine Schauspielerin spielt, die eigentlich die Bühne | |
verlassen will und dabei stets mitten in ein Filmset von "RAF der | |
Wüstenfuchs" hineinplatzt. "Aber vielleicht ist nur eine zusammengebrochene | |
Realität real. Vielleicht brauchen wir wieder Besuch vom Schah, um den | |
Polizeistaat zu sehen, der sich hier so offensichtlich gegen seine | |
Staatsbürger richtet", antwortet ihre Kollegin. | |
Dass Realitätserfahrung nur über Action zu haben sei, ist einer der Mythen, | |
die Pollesch unablässig unterläuft und dabei seine Protagonisten durch | |
Loops von Wiederholungszwängen jagt, die von Anfang an viel Irrwitz und | |
Slapstick aufweisen. In seinem Stück kommt auch einmal der Satz vor: "Im | |
Theater ist die Moderne noch nicht angekommen." Im Kunstmuseum Stuttgart, | |
in der Ausstellung von Josephine Meckseper, dagegen schon. Sie hat jene | |
kühlen, glamourösen Ladys gestylt, für die ein RAF-Logo auf der | |
Streichholzschachtel zur Aufladung ihrer Aura dazugehört. Mit einer | |
Videoinstallation nimmt Josephine Meckseper auch an "Endstation Stammheim" | |
teil: Sie zeigt Bilder zweier Demonstrationen gegen den Irakkrieg, aus | |
Washington und New York, gefilmt mit einer Super-8-Kamera, die nicht | |
zuletzt durch die Ästhetik der Bilder wieder an die Proteste gegen den | |
Vietnamkrieg erinnern. Das rührt nicht nur an die Wurzeln dessen, worauf | |
sich der Widerstand damals bezog, sondern wirft auch gleich die Frage auf, | |
warum er heute, trotz vergleichbarer Konstellationen, fast nur noch auf der | |
Ebene von Symbolen und Zeichen verhandelt wird. | |
Und das Theater singt den Blues dazu. Denn nicht zuletzt sind die | |
Projektwochen, die im Oktober und November fortgesetzt werden, von der | |
Frage bewegt, wie es denn weitergehen kann mit der Kunst in einer Zeit, die | |
aus jeder Subversion eins, zwei, drei einen Markenartikel macht. | |
25 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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