# taz.de -- Psychotherapeut über Amokläufe: "Es gibt beim Amok keine Zunahme" | |
> Durch die Medienberichterstattung entstehe der Eindruck, es gäbe mehr | |
> Amokläufe als früher, sagt der Psychotherapeut Lothar Adler. Dabei habe | |
> die Zahl in Deutschland tendenziell abgenommen. | |
Bild: "Schwere Amokläufe hat es immer gegeben, ohne dass es unmittelbar Nachah… | |
taz: Herr Adler, erst ein Amokläufer in Alabama, dann, nur wenige Stunden | |
später, das Blutbad im schwäbischen Winnenden. War das Zufall? | |
Lothar Adler: Ich halte es für wahrscheinlicher, dass es ein Zufall war. | |
Die Häufung macht schon stutzig, oder? | |
Durch die weltweite Berichterstattung erfahren wir von jedem Amoklauf. Da | |
entsteht der Eindruck, dass es mehr Amokläufe gibt als früher. Unsere | |
Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass die Zahl von Amokläufen in | |
Deutschland tendenziell abgenommen hat. | |
Es droht nun also keine Gefahr der Nachahmung? | |
Zumindest widerlegt das die Empirie. Der lange Zeit weltweit bekannteste | |
Amoklauf in Deutschland war 1913 im Schwabenland. Der Hauptlehrer Ernst | |
Wagner ermordete zunächst seine Familie und erschoss anschließend zwölf | |
Menschen. Der schwerste Fall mit fast 60 Toten war 1982 in Südkorea. | |
Schwere Amokläufe hat es also immer gegeben, ohne dass es unmittelbar | |
Nachahmer gegeben hat. | |
Gibt es Faktoren, die einen Amoklauf begünstigen? | |
Es gibt keine soziologische Theorie, die nicht als Erklärungsansatz | |
anzuwenden versucht wurde. Einige schwache Effekte wurden auch | |
nachgewiesen. Zum Beispiel gilt ein Drittel der Amokläufer psychosozial als | |
entwurzelt. Und da gibt es verschiedene Gründe: Sie stammen etwa aus einem | |
anderen Kulturkreis. Aber das trifft auf Gewaltkriminalität generell zu und | |
erklärt noch lange nicht, wieso es ausgerechnet zum Amoklauf kommt. | |
Warum sind es immer junge Männer, die Amok laufen? | |
Das ist gar nicht der Fall. Die Altersverteilung ist sehr breit gefächert. | |
Eine Häufung liegt zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr. Eine weitere | |
Häufung findet sich bei 21 und 22 Jahren. Was stimmt: Die Amokläufer werden | |
tendenziell jünger. Das entspricht allerdings einem allgemeinen | |
gesellschaftlichen Trend. Auch Menschen, die Suizid begehen oder | |
Gewalttaten verüben, werden tendenziell immer jünger. | |
Warum sind es beim Amoklauf so gut wie immer Männer? | |
Das hat sicherlich mit dem Kommunikationsverhalten zu tun. Eine Erklärung | |
könnte sein, dass Frauen ihren Frust nicht so anstauen wie Männer. | |
Insgesamt scheinen Frauen Mechanismen zu haben, die besser funktionieren, | |
ihre impulsiven Aggressionen zu steuern. Sie haben ihre eigenen | |
Mechanismen. So ist die Suizidversuchsrate bei Frauen zumindest im jungen | |
und mittleren Alter höher. | |
Was ist der ausschlaggebende Faktor, der jemanden zum Amokläufer macht? | |
Wir haben bei den Tätern zwar eine Überrepräsentation psychischer | |
Krankheiten entdeckt. Doch selbst die Kombination aus sozialem Konflikt und | |
psychischer Krankheit kann einen Amok nicht erklären. Sprich: Wir sind in | |
der Amokforschung ebenso wenig weitergekommen wie allgemein mit der | |
Erklärung von Tötungsdelikten und Selbstmordhandlungen. | |
12 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Killerspiele schuld an Amoklauf?: Unser aller Geballer | |
Nach dem Amoklauf geraten wieder einmal "Killerspiele" ins Visier von | |
alarmierten Pädagogen wie ratlosen Politikern. Für und Wider die | |
Jugendkultur des Ballerns. | |
Wirbel um Chat des Amokläufers: Echte Ankündigung? Oder ein Fake? | |
Laut Staatsanwaltschaft hat der Amokläufer sein Attentat vorab in einem | |
Forum angekündigt. Die Internetseite krautchan.net, auf der der Eintrag | |
auftauchte, spricht von einer Fälschung. | |
Das Medienereignis Amoklauf: Winnenden. Die Story | |
Eine Schar internationaler Journalisten berichtet mittlerweile aus dem | |
Städtchen mit rund 27.000 Einwohnern. Die Bürger fragen sich: Wo hört | |
Berichterstattung auf, wo fängt Voyeurismus an? |