# taz.de -- Probleme mit der Energiewende: Bürgerenergie contra Bürokratie | |
> Bei der Energiewende geht es auch darum, die Stromwirtschaft zu | |
> demokratisieren. Doch zunehmende Bürokratisierung macht es der „Energie | |
> in Bürger:innenhand“ schwer. | |
Die „Demokratisierung“ ist ins Stocken geraten. Im vergangenen Jahrzehnt | |
war die [1][Energiewende] immer auch ein Projekt des Strukturwandels in der | |
[2][Stromwirtschaft], nicht nur eines, das die Technik der Stromerzeugung | |
veränderte. | |
[3][Energie] in Bürger:innenhand war das Schlagwort, das speziell durch | |
Genossenschaften umgesetzt wurde; denn durch sie konnte auch in | |
Photovoltaik investieren, wer kein eigenes Dach verfügbar hatte. | |
Mit diesem Gedanken der „Demokratisierung der Stromwirtschaft“ wurden | |
allein im Spitzenjahr 2011 in Deutschland 167 Energiegenossenschaften | |
gegründet. | |
## Wenig attraktiv | |
Zwischenzeitlich allerdings ließ die Dynamik nach, im Jahr 2020 kamen nur | |
noch 13 hinzu. Die Bürgerprojekte wurden nämlich komplizierter; vor allem | |
der Bau von Photovoltaik-Gemeinschaftsanlagen auf öffentlichen Gebäuden, | |
der einst für Genossenschaften ein attraktives Modell war, ist heute | |
[4][durch die Bürokratie] komplex geworden. | |
Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband erfasst die | |
Energiegenossenschaften in Deutschland genau. Die fast 900 Unternehmen | |
haben zusammen bereits 3,2 Milliarden Euro in die [5][Energiewende] | |
investiert und sich dabei oft mehrere Standbeine geschaffen: 80 Prozent der | |
Bürger:innenunternehmen haben Geld in die Stromerzeugung aus Photovoltaik | |
investiert, 30 Prozent in Strom aus Windkraft. | |
Ferner betreiben 19 Prozent der Bürger:innenunternehmen ein lokales | |
Wärmenetz, 36 Prozent liefern Strom und 11 Prozent betreiben Speicher, 15 | |
Prozent haben zudem in Energieeffizienz investiert. | |
## Regulatorische Hürden | |
Der große Vorteil der Genossenschaften sind die für Anleger:innen niedrigen | |
Einstiegshürden. Das gilt vor allem auch aus finanzieller Sicht: An 24 | |
Prozent der Genossenschaften kann man sich schon mit 100 Euro beteiligen, | |
mit 500 Euro ist man bei den meisten dabei. Viele Bürger:innen steigen aber | |
höher ein; im Durchschnitt legt jedes Genossenschaftsmitglied gut 5.000 | |
Euro an. | |
Allerdings gestaltet sich nicht nur die Gründung neuer Genossenschaften | |
zäh, auch die bestehenden Bürger:innenfirmen sind zögerlich mit weiteren | |
Projekten. Nachdem im Jahr 2018 noch 72 Prozent der Energiegenossenschaften | |
den Bau neuer Photovoltaikanlagen planten, sind es aktuell nur noch 38 | |
Prozent. | |
Die Bürgerwerke, eine Dachorganisation von inzwischen fast 100 | |
Energiegenossenschaften, beklagt die „regulatorischen Hürden“. | |
„Komplizierte Regelungen bei der Stromvermarktung, wie zum Beispiel beim | |
Mieterstrom oder bei Regionalstrom, behindern den Ausbau“, sagt Christopher | |
Holzem von den Bürgerwerken. Als Regionalstrom gilt solcher, der in der | |
Nähe der Erzeugung – zum Beispiel im selben Ort – an Kund:innen verkauft, | |
also nicht auf bundesweiten Märkten gehandelt wird. | |
## Solardach muss Normalstes der Welt werden | |
Zugleich, sagt Holzem, sei es bislang immer noch „bei zu wenigen | |
Gebäudeeigentümer:innen angekommen, dass Solarenergie sich für sie lohnt“. | |
Viele Hauseigentümer:innen scheuten den Aufwand, wollten aber auch keine | |
Bürger:innen-Energiegenossenschaft mit Modulen auf ihr Dach lassen: „Das | |
ist einfach schade.“ [6][Nötig sei ein Bewusstseinswandel]: „Solarenergie | |
auf dem Dach muss das Normalste der Welt werden.“ [7][Jedes Dach ohne | |
Solaranlage sei „eine vertane Chance – für die Umwelt und für den | |
Geldbeutel“.] | |
Zwar liegt der Schwerpunkt der meisten Genossenschaften weiterhin bei der | |
Solarenergie. Aber die Beteiligung an Windparks sowie stärkeres Engagement | |
rund um die E-Mobilität – speziell Ladesäulen und Carsharing mit | |
Elektroautos – gewinne in den letzten zwei Jahren an Bedeutung, heißt es | |
bei den Bürgerwerken. | |
Schwer umzusetzen sind für lokale Bürger:innenunternehmen große | |
Solarprojekte und Windparks, die sich in Ausschreibungen um die Vergütungen | |
bemühen müssen. In diesem Punkt spielt [8][die Firma Prokon] eine | |
Sonderrolle, die sich als „Deutschlands größte Energiegenossenschaft“ | |
bezeichnen kann. Sie kann aufgrund ihrer Größe und langjährigen Erfahrungen | |
im Windprojektgeschäft auch als Genossenschaft bei den Ausschreibungen mit | |
dabei sein. Sie ist bundesweit tätig, also auch nicht – wie die meisten | |
Energiegenossenschaften – regional verankert. | |
## Komplexität schadet Akzeptanz | |
Das Unternehmen war 1995 als Kapitalgesellschaft gegründet worden, rutschte | |
aber 2014 wegen Managementfehlern in die Insolvenz. Im Jahr [9][2015 ging | |
Prokon in einer neu gegründeten Genossenschaft auf]; ein Übernahmeangebot | |
der EnBW schlugen die Gläubiger aus. Von den 75.000 Anlegern, die einst 1,4 | |
Milliarden Euro investiert hatten, ging ein Teil den Weg mit in die | |
Genossenschaft. Heute hat diese nach eigenen Angaben gut 39.000 Mitglieder. | |
Eines eint unterdessen die große Prokon und die zahlreichen örtlichen | |
Genossenschaften: „Bürgerenergie ist schwieriger und komplexer geworden“, | |
sagt ein Prokon-Sprecher. Und das ist auch aus Gründen der Akzeptanz der | |
Energiewende nicht gerade dienlich – denn immer wieder zeigt sich, dass | |
Ökostromanlagen vor Ort deutlich mehr Freund:innen finden, wenn die | |
Bürger:innen der Region sich unkompliziert an diesen beteiligen können. | |
• Dieser Text erscheint im taz Thema Grünes Geld, Ausgabe November 2021, | |
Redaktion: Volker Engels. Frühere Ausgaben des taz Themas Grünes Geld | |
[10][können Sie hier nachlesen]. | |
• Bernward Janzing arbeitet als freier Journalist zu Energie- und | |
Umweltthemen. In mehreren Büchern hat er verschiedene Facetten der Historie | |
der Stromwirtschaft aufgearbeitet. Sein Buch „[11][Vision für die Tonne. | |
Wie die Atomkraft scheitert]“ erschien 2016 (Picea Verlag). | |
8 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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