# taz.de -- Poker als Beruf: Gegen die Zeit | |
> Anton Meier lebt vom Pokern – lauernd und souverän. Als Croupier in Clubs | |
> fing er an, für gut 10 Euro die Stunde. Dass er nun Familienväter | |
> ausnimmt, tut ihm leid. | |
Bild: Pokern ist kein Glücksspiel, sondern Mathe, sagt der professionelle Spie… | |
Es ist 22 Uhr, Spielbank Bad Wiessee. Er legt den Schein auf den Tisch. | |
Rosa und weiß, in der Mitte geknickt, fünfhundert Euro. | |
Er hat darauf gewartet, sein Portemonnaie aus der Hosentasche zu ziehen. | |
Hat schnell gegessen, Putenbrust, Wok-Gemüse, "gesund ernähren ist | |
wichtig". Hat schnell getrunken, alkoholfreies Bier, "trinken geht nicht". | |
Hat es schnell gesagt, klar, zackig, hat den weißen Hemdkragen zurecht | |
gerückt, am dunklen Jackett entlanggestrichen. | |
Er hat gewartet, bis eine Frauenstimme das Gemurmel im Casino übertönt. Das | |
Klacken der Chips. Das Rollen der Roulette-Kugel. Bis die Dame per | |
Lautsprecher den Pokertisch am Fenster für "frei" erklärt. Die Runde | |
beginnt. | |
Da hat er sein Alkoholfreies genommen und die "Winners Lounge" verlassen, | |
das Restaurant, in dem "Pizza Black Jack" und "Gina Lollobrigida Sandwich" | |
auf der Karte stehen. Er ist an der Bar vorbei, den Damen in Minikleidern, | |
den Männern mit Fliege, hat sich hingesetzt an den Tisch mit grünem | |
Filzbezug, hat den Schein ausgepackt. Rosa und weiß, in der Mitte geknickt. | |
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Stunden früher, Olympiapark München. Anton Meier - der Name ist falsch, | |
weil er in der Anonymität untertauchen und unerkannt bleiben will, niemand | |
soll Zugriff haben auf ihn - sitzt im Biergarten. 25 Jahre ist er, groß und | |
braun gebrannt. | |
Er erzählt, dass er kürzlich erst in Las Vegas war. Und wie er das | |
überhaupt so macht mit dem Pokern, dass er vier, fünf Mal die Woche mit | |
seinem Golf fünfzig Kilometer nach Bad Wiessee ins Casino fährt. Und wie er | |
seinen Gegnern dann zeigt, dass er gut ist, gut und bereit. "Regel Nummer | |
eins: Wenn du binnen zwei Minuten nicht sagen kannst, wer am Tisch schlecht | |
spielt, spielst du selbst schlecht." | |
Meier spielt nicht schlecht. Er spielt professionell. Strategisch. "Solide | |
pokern geht mit Mathe", sagt er, nimmt sein blaues Baseballcap vom Kopf und | |
streicht sich über den kahlen Kopf. So habe er es sich beigebracht, damals, | |
in Würzburg. Nach der Schule. | |
Als Croupier in Clubs fing er an, für gut 10 Euro die Stunde. "Da hast du | |
die Leute einzuschätzen gelernt. Wer was legt und wer was hat." Irgendwann | |
war es das Spiel, das ihn reizte. Die Komplexität. Der Nervenkitzel. | |
Irgendwann saß er spät abends in Cafés, die längst geschlossen hatten. In | |
Hinterzimmern. "Mit Leuten aus dem Rotlichtmilieu und der Drogenszene." | |
Sein Soziologiestudium interessierte ihn eh nicht. Umsatz interessierte | |
ihn. | |
Am "Main Event" der World Series of Poker in Las Vegas, dem wichtigsten | |
Turnier der Branche, nahmen im vergangenen Jahr fast 7.000 Menschen teil. | |
Dieses Jahr will auch Anton Meier dabei sein. Das Startkapital, das man | |
vorlegen muss: 10.000 Dollar. "Geht ja", sagt Meier und schaut zu der | |
jungen Familie, die neben ihm auf einer Bierbank sitzt. "Wenn du den ersten | |
Platz belegst, kriegst du locker zehn Millionen." | |
Es ist 23 Uhr, Spielbank Bad Wiessee. Der Croupier, ein Herr in Anzug und | |
mit strengem Gesicht, mischt die Karten, ratsch, ein Stapel, ratsch, noch | |
einer. Es klingt, als ziehe jemand einen Reißverschluss zu. Das Geräusch | |
gibt dem Spiel seinen Rhythmus, sonst sind nur Codes und Zahlen zu hören: | |
"Achtzig Euro." "Check." | |
Meier sitzt auf dem samtbezogenen Stuhl, ein Bein angezogen. Die bunten | |
Chips lässt er durch seine Hand rieseln, die blauen Zehn-Euro-Marken, die | |
gelben Fünfziger, glatt und griffig. Er ist jetzt Geschäftsmann. Flupp, die | |
Karten gleiten über die grüne Oberfläche, lautlos fast. Draußen verzieht | |
sich das Gewitter, kein Krach, kein Donner. Drinnen versinken die Füße in | |
Teppich, ein bisschen wie in Schnee. | |
Anton Meier hat seine Ernsthaftigkeit vor dem Casino abgelegt. Am | |
Pokertisch scherzt er, murmelt "schön", wenn ein Mitspieler bessere Karten | |
hat. Seine eigenen sieht er kaum an, nur kurz, nur die obere Kante, nur | |
wenn keiner guckt. "Ich weiß, dass ich der Beste bin", sagt er. | |
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Olympiapark München. "Du musst dich immer gleich verhalten." Anton Meier | |
schaut in die Sonne, als er seine Tricks verrät. Sie sind seine Religion, | |
er sagt sie auf wie Christen die Zehn Gebote. "Du darfst keine Angst vorm | |
Geld haben." "Du darfst keinen am Tisch beleidigen." | |
Seine Techniken hat er vor drei Jahren verfeinert, in München, wo er schon | |
eine Weile wohnte. Die Einladungen zu illegalen Runden kamen damals immer | |
öfter, er kam ihnen immer öfter nach. Aber die Polizei wurde auch wacher. | |
2010 habe es eine besonders schlimme Razzia gegeben, erzählt Anton Meier, | |
bestimmt vierzig Polizisten, die eines der beliebten Hinterzimmer mit | |
Rauchgranaten stürmten, seine Kollegen festnahmen, "und nicht gerade | |
sanft". | |
Über den Vorfall wurde nur wenig berichtet. In der Münchner tz stand, | |
sechzig Polizisten seien auf 24 Männer und drei Frauen getroffen, "die an | |
drei Tischen "Texas Holdem", eine Variante des Pokers, spielten. Auf den | |
Spieltischen lagen rund 10.000 Euro Bargeld. Außerdem stellten die Beamten | |
kleine Mengen an Kokain und Haschisch sicher." Die Abendzeitung schrieb: | |
"Einer der Zocker erschrak bei der Razzia so sehr, dass er einen | |
Schwächeanfall erlitt. Ein anderer wurde von einer herumfliegenden | |
Glasscheibe am Oberschenkel verletzt, als Polizisten die Wohnung stürmten". | |
Anton Meier erwischten sie nicht, er hat an dem Tag nicht gespielt. Er | |
hatte Glück. | |
"Alle nennen mich Glückskind." Meier lacht. Der Satz geht unter im Gemurmel | |
des Biergartens. Er selbst nennt sich Sonntagskind. Und dann spricht er | |
über sein Leben. Darüber, wie es sich verändert hat, seit er wieder | |
studiert, um das zu werden, was er werden will, Sportjournalist. Seit er | |
von 9 bis 17 Uhr in Vorlesungen sitzt, von 18 bis 1 Uhr für Sender | |
Interviews führt, von 1.30 Uhr bis 6 Uhr zockt, Texas Holdem oder Omaha | |
Holdem oder Seven Card Stud. Das Leben ist hart. Härter aber sei es | |
gewesen, als er das erste Mal in Las Vegas war, um in die großen Casinos zu | |
gehen - seinem Vater erzählte er, er würde ein Auslandssemester machen. Da | |
saß er einmal dreißig Stunden am Tisch. Für 200 Euro die Stunde. | |
Meier war in Los Angeles, New York, London und Miami, überall hat er | |
gespielt. Meistens kehrt er zurück nach Vegas. Dort fängt seine Schicht um | |
1 Uhr an, wenn die Ersten müde werden. Er brilliert um 4 Uhr, wenn die | |
Nachtclubs schließen und betrunkene Touristen, leichte Beute, die Casinos | |
fluten. Geht um 8 Uhr ins Bett, wenn andere frühstücken, er so "dreckig und | |
verschwitzt" ist. Und dabei immer dieses "richtig schlechte Gefühl". | |
Im Sommer war er acht Wochen da, in den Semesterferien. Sein größter | |
Gewinn? "45.000 Dollar an zwei Tagen." Sein größter Verlust? "12.000 Dollar | |
an einem Tag." Abgegeben an einen Millionär, "dem war Geld völlig egal". | |
Der steckte einem anderen Verlierer 20.000 Dollar zu. Der Kellnerin 5.000. | |
"Kaffee, Kaffee, Kaffee". So hält sich Anton Meier wach. "Fußball, Tennis, | |
Fitness". So hält sich Anton Meier fit. Er kokst und trinkt nicht, wie | |
viele seiner Kollegen, die er hat abstürzen sehen. "95 Prozent verlieren." | |
Er spricht von Kollegen, weil seine Gegner nicht seine Freunde sein können. | |
"Kontakte beim Poker sind Zweckbeziehungen." Kontakte im Leben dagegen | |
nähmen ab. Weil sie ihm Sucht vorwerfen, ihm nicht glauben können, dass er | |
einer der wenigen ist, die vom Glücksspiel leben können. Und seine | |
Freundin? "Die vertraut mir." Und sein Vater? "Der muss es akzeptieren." | |
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Und er selbst? Sein Auge flattert. "Man macht sich schon seine Gedanken", | |
sagt er dann. Weil es so verlockend sei, das einfache Geld, und weil es | |
naiv wäre, zu glauben, man sei vor der Sucht geschützt. "Andererseits kann | |
ich auch vier, fünf Wochen Pause machen", im Gegensatz zu anderen Spielern, | |
die er kenne, "die halten das nicht aus". Außerdem wolle er das ja nicht | |
ewig machen, oder zumindest reduzieren, ja reduzieren, weil Casinos nur in | |
den Filmen mit Zigarren, Whiskey, Frauen und James Bond zu tun hätten, weil | |
er Familienväter ausnehme, "weil dich die Gesellschaft nicht anerkennt. | |
Weil du der Gesellschaft nicht hilfst." | |
Es ist 24 Uhr, Spielbank Bad Wiessee. Anton Meier wirft den Schein in die | |
Mitte. Rosa und weiß, in der Mitte geknickt. "Hundertneunzig Euro." Die | |
Blicke der Mitspieler stören nicht. Sein Gesicht regt sich nicht. | |
Er weiß, dass der eine die Füße nach außen gerichtet hat, voneinander weg, | |
so, wie man es nicht tun soll beim Poker, weil es Flucht bedeutet und | |
Angst. Anton Meier hat die Bücher gelesen, dreißig ungefähr, "Cash Games" | |
und "Poker Secrets" und Polizeibreviere über Körpersprache. Er weiß, dass | |
der andere, der Zweite, gleich mitzieht, seine Chipstürme neben den Schein | |
schiebt, "all in" sagt. All in. | |
Er weiß, dass er der Beste ist. Er spielt mit Strategie, mit Mathe. Er sagt | |
das oft. | |
Anton Meier gewinnt. | |
7 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Annabelle Seubert | |
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