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# taz.de -- Nordsee im Klimawandel: "Frühzieher kriegen bessere Weibchen"
> Jahr für Jahr kehren die Zugvögel früher aus ihren Winterquartieren nach
> Nordeuropa zurück. Ommo Hüppop, Leiter der Helgoländer Vogelwarte
> erklärt, warum das für die Evolution von Vorteil sein kann
Bild: Wer zu spät kommt, wird untergehen: Vögel auf dem Zug nach Norden
taz: Herr Hüppop, warum braucht das winzige Helgoland eine eigene
Vogelwarte?
Ommo Hüppop: Weil Helgoland ein exzellenter Ort ist, um den Vogelzug zu
untersuchen. Hier brüten fast keine Landvogelarten. Das heißt: Alle Vögel,
die wir hier in die Hand bekommen und beringen, sind Vögel auf dem Zug. Bei
Fangstationen auf dem Festland weiß man dagegen nie, ob man nicht den
Brutvogel aus Nachbars Garten vor sich hat.
Welche Vogelarten rasten bei Ihnen?
Auf Helgoland rasten hauptsächlich Vögel aus Skandinavien, die im Herbst
vom Nordosten in den Südwesten ziehen. Die Kurz- und Mittelstreckenzieher
steuern zum Überwintern Ziele zwischen Niedersachsen, dem Mittelmeerraum
und Nordafrika an. Die Langstreckenzieher fliegen teils bis ins südliche
Afrika weiter.
Alle von Ihnen beobachteten Arten kommen in etwa acht Tage früher aus dem
Süden zurück als vor 50 Jahren. Warum?
Wir erklären uns das mit dem Klimawandel. Konkret hängt das mit den
Temperaturen in den einzelnen Regionen zusammen. In Mittel-, West- und
Nordeuropa stiegen die Temperaturen im Winterhalbjahr und im zeitigen
Frühjahr seit Jahren. Mit dem Frühjahr verfrühen sich die Entwicklung von
Vegetation und das Angebot an Insekten - Hauptnahrung der Vögel. Es ist
also folgerichtig, dass sie früher in ihre Heimatgebiete ziehen. Außerdem
herrscht im Frühjahr ein hoher Selektionsdruck: Wer früh in den
Brutgebieten ankommt, sichert sich die besten Reviere - und damit die
besten Weibchen, für die die Qualität des Reviers Hauptkriterium bei der
Partnerwahl ist. Alles zusammen heißt viele fitte Nachkommen.
Was bedeutet die frühe Ankunft in Europa für die Brut?
Die Vögel haben mehr Zeit zum Brüten und können eventuell ein zweites oder
gar drittes Gelege ausbrüten. Tatsächlich beobachten wir bei vielen Arten,
dass der Jungvogelanteil zugenommen hat, besonders bei Kurz- und
Mittelstreckenziehern. Das sind Arten der Wald- und Gartenzone wie Amsel
und Drossel sowie, bei den Langstreckenziehern, Gartenrotschwanz und
Trauerschnäpper. Trotzdem sind unsere Fänge von Langstreckenziehern im
Vergleich zu den Kurzstreckenziehern weniger geworden. Auch das erklären
wir uns mit dem Klimawandel: Im Mittelmeerraum und in Afrika haben die
Niederschläge in den letzten Jahren drastisch abgenommen, und wir können
nachweisen, dass hier ein Zusammenhang mit unseren Fangzahlen besteht. Wenn
es also in den letzten Jahren im Mittelmeerraum wenig geregnet hat, gab es
wenig Vegetation und wenig Insekten. Damit hatten die Vögel dort nicht so
gute Überwinterungs- und Durchzugsbedingungen. In der Folge kamen weniger
von ihnen in Mitteleuropa an.
Bedeutet die Aufzucht einer zweiten Brut mehr Stress?
Wahrscheinlich setzt der höhere Energieaufwand die Lebenserwartung der
Altvögel tatsächlich herab. Andererseits sind die Arten, die das betrifft,
ohnehin kurzlebig. Das heißt, sie sind darauf ausgerichtet, in kurzer Zeit
möglichst viele Nachkommen zu produzieren, denn das zählt in der Evolution.
Woher wissen die Vögel, die in Südafrika überwintert haben, wann es in
Europa Frühling wird?
Sie haben eine innere Uhr, die ihnen vermutlich sagt, wann sie losfliegen
müssen.
Die informiert aber nicht über das Wetter in Europa.
Nein, und in der Tat hat uns gewundert, dass die südlich der Sahara
überwinternden Langstreckenzieher im gleichen Maße verfrüht auf Helgoland
ankommen wie Kurz-und Mittelstreckenzieher. Dass sie sich trotzdem
verfrühen, liegt wohl daran, dass die Transsahara-Zieher in Europa
schneller durchziehen können, weil es inzwischen weniger Kälteeinbrüche
gibt, die sie etwa im Mittelmeerraum festhalten. Abgesehen davon ziehen
nicht alle Individuen einer Art gleichzeitig: Bei einem Vogel sagt die
innere Uhr, du ziehst am 2. April los, beim anderen ist es der 4., beim
dritten der 12. April. Eine gewisse Streuung jedes Merkmals ist innerhalb
einer Population genetisch festgelegt. Und hier liegt auch der genetische
Anpassungsspielraum: Da die Frühzieher früher in den Brutgebieten ankommen,
können sie mehr Nachkommen großziehen. Das wiederum bedeutet, dass es in
der nächsten Generation überproportional viele Individuen mit den
Frühzieher-Genen gibt. So kann mittelfristig genetisch fixiert werden, dass
sich die Abflugzeiten in Afrika vorverlagern.
Wenn es in Europa länger warm ist: Fliegen die Vögel dann im Herbst auch
später nach Süden?
Zunächst einmal: Die Sommer- und Herbsttemperaturen in Skandinavien sind im
Vergleich zu den Temperaturen im Winter und im zeitigen Frühjahr kaum oder
gar nicht gestiegen. Wir haben entsprechend vor allem bei den spät
ziehenden Arten beobachtet, dass sich ihr Durchzug bei uns verspätet hat.
Man muss dabei aber auch berücksichtigen, dass Vögel im Herbst ohnehin
weniger Zeitdruck haben, weil sie da unten ja nicht um Brutreviere kämpfen
müssen. Sie können also in Ruhe warten, bis sie Rückenwind haben und dann
energieoptimiert fliegen.
Fliegen alle Individuen einer Art gleichzeitig in den Süden?
Nein, das kann gestaffelt sein. Bei der Amsel ziehen zum Beispiel zuerst
die Jungvögel, dann die Weibchen und zum Schluss die alten Männchen. Das
sind robuste, 120 Gramm schwere Vögel, die aus Skandinavien nur wegziehen,
wenn es da extrem kalt wird oder viel Schnee fällt.
Gibt es Arten, die ihre Zugzeiten nicht an den Klimawandel anpassen können?
Wenn sich die Klimaveränderung verstärkt, ist es möglich, dass eine Art,
bei der die genetische Anpassung nicht schnell genug geht, den Anschluss
verliert. Dazu könnte der Trauerschnäpper gehören. Auf Helgoland beobachten
wir zwar, dass auch er verfrüht durchzieht. Kollegen in niederländischen
Brutgebieten haben aber anderes beobachtet: Auch dort ist es zwar zur
Brutzeit wärmer geworden, so dass das Nahrungsangebot für die Vögel früher
da ist. Dort schafft es der Trauerschnäpper aber nicht, mit der Verfrühung
der Vegetation Schritt zu halten. Er kommt zu spät an, verpasst dadurch das
Hauptnahrungsangebot und kann weniger Nachwuchs aufziehen. Die Bestände
gehen zurück. Die Erklärung für diesen Widerspruch könnte darin liegen,
dass Trauerschnäpper kaum über die Südwestroute nach Europa fliegen,
sondern über Italien, also über die Alpen. Im Alpenraum ist es gerade dann,
wenn der Trauerschnäpper durchzieht, nicht wärmer geworden. Der Vogel
findet dort also eine "Temperaturbarriere" vor, die ihm vorgaukelt, dass in
Europa noch nicht Frühling ist. Auf Helgoland dagegen rasten
Trauerschnäpper, die über die südwestliche Route ziehen. Dort gibt es keine
solche Temperaturbarriere.
14 Sep 2008
## AUTOREN
Petra Schellen
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