# taz.de -- Neues Album von "Broadcast": Sie hören Stimmen | |
> Völlig aus der Zeit gefallen: Das britische Duo Broadcast veröffentlicht | |
> zusammen mit dem Designer und Sampletüftler The Focus Group eine | |
> anregende Klangcollage. | |
Bild: Bunt und farbenfroh. | |
Einst wollte Grace Slick Richard Nixon LSD verabreichen. Doch ihr Plan flog | |
auf, und die Sängerin der US-amerikanischen Psychedelicband Jefferson | |
Airplane, die 1969 gemeinsam mit ihrer Kommilitonin, Nixons Tochter Tricia, | |
zum Teetrinken ins Weiße Haus geladen war, wurde von Sicherheitsleuten des | |
US-Präsidenten an ihrem Vorhaben gehindert. Wer weiß, was sonst aus der | |
Welt geworden wäre. | |
Den Begriff "Psychedelic" hat allerdings ein Brite geprägt: Aldous Huxley, | |
Autor von "Schöne neue Welt", war schon in den Fünfzigerjahren nach | |
Kalifornien gezogen, um dort zusammen mit dem Psychiater Humphrey Osmond zu | |
erforschen, welche Wirkung Meskalin im menschlichen Hirn hervorruft. Dies | |
hat er mit dem Wort "psychedelisch" definiert. Nach Huxleys Essay "The | |
Doors of Perception" (1954), in dem es um die Ausweitung der Wahrnehmung | |
nach innen geht - Pforten aufreißen, neue Eindrücke hereinlassen und | |
annehmen -, hatten sich die Jefferson-Airplane-Kollegen The Doors benannt. | |
Trish Keenan kommt aus Birmingham, Nordengland, und hat ebenfalls bereits | |
durch einige Pforten der Wahrnehmung gelugt. Der weibliche Teil des Duos | |
Broadcast, dessen neues Album eine Kollaboration mit dem Künstler und | |
Labelgründer The Focus Group alias Julian House ist, beschreibt ihr | |
musikalisches Schaffen als inspiriert von Träumen und Erinnerungen, denn | |
diese haben ebenfalls keinen Anfang und kein Ende. 21 Teile, Stücke im | |
wahrsten Sinne des Wortes, hat ihr neues Werk "Broadcast & The Focus Group | |
investigate Witch Cults of the Radio Age". Songbasierend sind davon nur | |
sechs, der Rest sind Soundpartikel, vorbeihuschende, auditive Eindrücke, | |
Stimmungen in Geräusche gepresst, verwoben in eine dichte und höchst | |
anregende psychedelische Klangcollage. | |
Wie ein Hammer-Horror-Traummix solle die Musik klingen, während Broadcast | |
selbst darin die Rolle der auf der mitternächlichen Drogenparty im Schloss | |
auftretenden Band übernähmen, charakterisierte es Keenan in einem Interview | |
mit einem britischen Musikmagazin. Sie nennt Einflüsse wie den Horrorfilm | |
"The Witches" von 1966. | |
Produziert von der britischen "Hammer Film", findet eine junge Frau mit | |
Voodooerfahrungen heraus, dass in einer englischen Kleinstadt Menschen | |
einem Hexenritual geopfert werden sollen. Keenans anderer Lieblingsfilm ist | |
der extrem gruselige, ebenfalls um das Thema Hexenkult und Menschenopfer | |
kreisende, 1973 entstandene "The Wicker Man". Doch wer seine Einflüsse so | |
genau verortet, ist zu sophisticated, um billig schocken zu wollen. Keenan | |
und ihr Bandpartner James Cargill sind auch keine Retrotypen, die auf den | |
Trash- und Camp-Faktor alter Horrorthemen schielen. | |
Ihre Auseinandersetzung mit dem Format der Klangcollage, das bewusste | |
Aufweichen von Songstrukturen und das Ausprobieren und Erfinden von neuen | |
Geräuschen scheint einem exakten Plan zu folgen, obwohl die Musik - im | |
besten psychedelischen Sinne - auf Improvisation und fixen Ideen basiert. | |
Die 21 Teile des Albums zerfließen auf "Broadcast investigate Witch Cults | |
of the Radio Age" träumerisch perfekt ineinander, sodass man den großen | |
Rahmen dahinter intuitiv versteht. Die Soundcollage ist das, was man sieht, | |
wenn die Augen geschlossen sind. Assoziationen, die die Musik von Broadcast | |
erzeugt, bewegen sich magischerweise im Kontext: Im langsamen Rhythmus von | |
"Loves long listenin" scheinen schwere dunkle Eichenmöbel verrückt zu | |
werden, oder bewegen sie sich während einer Séance von selbst? In "Make my | |
sleep his" wandert eine irre Ministrantin nachts durch eine Kirche und | |
singt. | |
Eine Art "LaVey Lament" habe sie dabei im Kopf gehabt, erklärt Keenan, was | |
den selbst ernannten Begründer des modernen Satanismus, Anton Szandor | |
LaVey, sicher freuen wird, von wie tief unten er auch immer zuhört. Den | |
Song "I see so I see so" komponierte Keenan nach einem Besuch im Britischen | |
Museum in London. Während das Spinett im Hintergrund plingelt, versteht man | |
den Hinweis auf einen "January Ritual Song" - frostige Landschaften ziehen | |
vorbei. Tatsächlich sind Broadcast vor den Aufnahmen aufs Land gezogen, um | |
sich intensiver mit der verwunschenen Natur auseinanderzusetzen. Und | |
plötzlich klingt Keenan wie Grace Slick - auch das ist bestimmt | |
beabsichtigt. | |
Überhaupt finden sich in der Musik von Broadcast viele versteckte | |
Referenzen: an Pink Floyd und ihr großartiges Debütalbum "The Piper At The | |
Gates Of Dawn", an die Verlorenheit des LogIn-Syndrom-Aspiranten Brian | |
Wilson oder an die zart-angedröhnten Versuche von George Harrison. Sanft | |
sind diese Erinnerungsfetzen in die Struktur der Songparts eingewebt, | |
lassen sich nicht extrahieren, aber man hört sie deutlich. "Ich versuche, | |
die Worte kryptisch klingen zu lassen" sagt Keenan, und das fällt ihr | |
sichtlich leicht: "All circles vanish, raa raaa raaa raaaa", singt sie im | |
zweiten, einem Songschema noch am ähnlichsten scheinenden Stück des Albums | |
"The Be Colony". Und genau diese ausgesucht genussvolle Bedeutungslosigkeit | |
erwirkt eine Leichtigkeit, die sogar Humor durchscheinen lässt. | |
Kann es eine erwachsene Frau wirklich ernst meinen, wenn sie in "Libra, The | |
Mirrors Minor Self" behauptet, sie wolle so klingen wie ein Séance-Spiegel, | |
wenn er sprechen könnte? Tatsächlich liegen alle Verstiegenheiten von | |
Broadcast einer unbändigen und ansteckenden Lust am Experiment zugrunde. | |
Vornehmlich in Kirchen, Wohn- und Schlafzimmern ihrer Freunde aufgenommen | |
und in zwei Wochenendsessions mit Ideen von The Focus Group angereichert, | |
haben Broadcast ihre Pforten der Wahrnehmung tatsächlich so weit geöffnet, | |
wie es geht, ohne dass etwas aus den Angeln fällt. | |
Sie loopen echte und elektronische Stimmen, werfen Harfentöne in Sequenzer | |
und holen sie zurück. Sie lassen Telefone klingeln, Hunde oder Menschen, | |
die sich für Hunde halten, bellen und mischen den Sound rhythmisch unter. | |
Sie kippen Blockflötentöne in den Hintergrund, die einem Stamm trippender | |
Andenindianer zu entweichen scheinen. Sie schneiden Taktschnipsel | |
vordergründig arhythmisch, aber im Gesamteindruck so perfide passend | |
zusammen, dass plötzlich wieder ein Rave in der Luft liegt und mit | |
elektronischer Popmusik sozialisierte Menschen wissend mitlächeln können. | |
Sie verwischen die Klangspuren, sodass man nicht weiß, sind sie selbst | |
eingespielt oder sind es Samples der sogenannten Library Music - Musik, die | |
vor allem in den 60ern und 70ern für BBC Film- und Fernsehproduktionen | |
produziert und in Einsatzkatalogen zusammengestellt wurde, vieles davon ist | |
zwischenzeitlich rechtefrei. | |
Das macht den retrofuturistischen Charme von Broadcast aus und | |
unterscheidet sie wohltuend von Neo-Folkbands, die konventionellen | |
Songstrukturen verhaftet bleiben. Und dass es ausgerechnet das "Radio Age" | |
ist, in dem Broadcast Hexenkulte suchen und untersuchen wollen, ist ein | |
weiterer liebevoller und unverblümt selbstbewusster Hinweis auf den Spirit, | |
in dem die Musikcollage steht: In unseren digitalen Zeiten wirken | |
Stimmenhörer, die geheime Botschaften im Rauschen bestimmter | |
Radiofrequenzen zu verstehen glauben, fast schon steinzeitlich. | |
23 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |