Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neuer Roman von Jonathan Franzen: Von Vögeln und Katzen
> Kein in sich geschlossenes Meisterwerk: Jonathan Franzens neuer Roman
> "Freiheit" erzählt davon, wie schwierig es ist, in der US-Mittelschicht
> erwachsen und trotzdem gut zu sein.
Bild: Jonathan Franzen liebt Vögel, deshalb findet sich auch einer auf dem Cov…
Jonathan Franzen mag keine Katzen. In seinem Roman spielt das nicht
unbedingt die Hauptrolle, aber man freut sich als Leser halt erst einmal,
ihn hier bei einer kleinen Privatobsession zu erwischen. Wo doch die
Bugwelle, die das heute auf Deutsch erscheinende Buch in der Vorabaufregung
zuletzt vor sich her schob, eher gravitätisch daherkam: mit schweren
Etikettierungen wie "Meisterwerk" oder "großer amerikanischer Roman"
versehen. All das schraubt die Eigenheit, dass Franzen fünfmal im Verlauf
des Romans auf seiner Katzenobsession herumreitet, sympathisch herunter.
Zugleich eignet sich dieses Motiv aber auch gut als Seiteneinstieg in das
Buch. Jonathan Franzen mag deshalb keine Katzen, weil er Vögel liebt und
Katzen Vögel töten. Die Rettung der Natur in Gestalt der Vogelgattung des
Pappelwaldsängers spielt in seinem Roman eine wichtige Rolle. Aber es zeigt
noch etwas anderes: "Freiheit" ist gar nicht das in sich geschlossene
masterpiece, das man von diesem Autor vielleicht erwartet hätte, nach
"Korrekturen" und vor allem auch nach den neun Jahren, die er sich seit
Erscheinen des Welterfolgs bis zum neuen Buch Zeit gelassen hat. Vielmehr
ist "Freiheit" ein uneinheitliches, immer wieder auseinanderfallendes, die
Vielfalt seiner thematischen Bezüge oft nur mühsam bändigendes Werk, in dem
sich Franzen zur Rundung der Handlung nur mit erzählerischen Tricks wie dem
zufälligen Tod von Nebenfiguren zu helfen weiß. Und gerade in dieser
Disparatheit ist es interessant.
"Freiheit" ist auf jeden Fall kein abgeklärtes Buch. Auf den ersten 40
Seiten wird uns eine liberale US-amerikanische Jedermannfamilie aus der
Nachbarschaftsperspektive vorgestellt: die Berglunds, die - mit Volvo,
selbst renoviertem Haus, sorgfältigem Ernährungsplan und ökologischen Ideen
- zunächst wie eine Vorzeigefamilie wirken. Dann wird auf den übrigen fast
700 Seiten das krisenhafte Innenleben der einzelnen Familienmitglieder sehr
sorgfältig auseinandergenommen.
Streckenweise liest sich das wie ein etwas in die Länge gezogener Richard
Yates: Halte dich nicht groß mit Beschreibungen auf, sondern jage deine
Figuren in ihre Abgründe und schmelze ihre ganze Lebenswut und ihren
Schmerz in die Dialoge und in die manchmal Jahre in wenigen Sätzen
zusammenfassenden Übergänge zwischen den Dialogen ein! Das ist vor allem
bei Patty Berglund so, der weiblichen Hauptfigur, deren emotionale
Biografie Franzen erst sehr plastisch macht, bevor er diese Figur zwischen
ihrem Willen, eine perfekte Mutter zu sein, und ihren Liebessehnsüchten
fast verglühen lässt. Emotionale Probleme haben (fast möchte man sagen:
selbstverständlich) fast alle Figuren. Alles in allem wird viel sich selbst
belogen, viel getrunken und auch viel Sex gehabt.
Wobei hinzukommt, dass der rebellische Geist und das Aufbegehren gegen das,
was die Eltern hinterließen, und damit die Hoffnung, noch
Emanzipationsschritte vor sich zu haben, nicht mehr zur Verfügung stehen.
In "Freiheit" liegt jenseits der Kompromisse und jenseits des Spiels von
Ich-Entwürfen und den Problemen damit nur die Depression. Das macht den
Roman zu einem sehr düsteren Buch.
In einem zweiten Erzählstrang scheut Jonathan Franzen dann sogar vor leicht
Grisham-haften Kolportagedramaturgien nicht zurück. Das betrifft vor allem
die Walter Berglund, Pattys Ehemann, zugeordneten Kapitel. Sie enthalten
die Tragikomödie eines Mannes, der in einer Welt gut sein will, in der das
gar nicht geht. An dieser Stelle haben die Pappelwaldsänger ihren Auftritt.
Walter Berglund will dieser Zugvogelart ein Reservat verschaffen und muss
sich dafür mit der schmutzigen Kohleindustrie einlassen - die Firmen
versprechen umfangreiche Renaturalisierungsmaßnahmen, nachdem sie
allerdings erst mal ganze Berggipfel plattgemacht haben.
In diesem Strang lesen sich ganze Dialoge wie nur mühsam literarisierte
Abhandlungen über die Dilemmata des modernen Umweltschutzes. Die zynischen
Kapitalvermehrungsdeals rund um den Irakkrieg holt Franzen dann auch noch
mit hinein, schließlich soll das Ganze auch noch ein Porträt der
US-amerikanischen Gesellschaft in den Nullerjahren sein.
Jenseits billiger Rhetorik
Aber zugute hält man als Leser dem Roman selbst an solchen literarisch arg
konstruierten Stellen, dass er auf der Höhe der tatsächlich ja komplexen
Probleme sein will. Franzen hat sich vorgenommen, die US-Mittelschicht
keineswegs in eine preiswerte Anti-Öl-, Anti-Industrie- oder auch
Anti-Bush-Rhetorik zu entlassen. Dass die Lebensführung in einer
Wohlstandsgesellschaft nun mal zu Problemen führt, macht er sehr klar.
"Joey wünschte, er könnte einer anderen Welt angehören, einer einfacheren,
in der man auf niemand anderes Kosten ein gutes Leben führen konnte", heißt
es einmal. Aber das bleibt ein frommer Wunsch.
Joey ist der Sohn von Patty und Walter. An ihm erzählt Franzen davon, dass
es nicht leicht ist, das Kind solcher mit sich selbst nie im Reinen
seienden Eltern zu sein. Und Joey ist der eine wirklich komische Augenblick
in diesem damit sonst sparsam umgehenden Roman vorbehalten: Franzen lässt
ihn aus Versehen seinen Ehering verschlucken und dann ausgerechnet in dem
Moment buchstäblich in seiner eigenen Scheiße wühlen, in dem nebenan die
schönste Frau der Welt zur Affäre bereit liegt. Was Joey später aber nur
zeigt, was er wirklich will: die Ehe nämlich. (Noch ne Obsession: Auch in
den "Korrekturen" gab es diese eine schräge Kotszene.)
Außerdem gibt es noch den Musiker Richard Katz, der zusammen mit Patty und
Walter die schönste Ménage-à-trois-Geschichte ergeben hätte, wenn das hier
nicht vor allem das Generationenporträt hätte werden sollen, das es jetzt
ist. Mit Richard verfolgt Franzen die musikalische Entwicklung von der
alten Punk- bis in die fast noch aktuelle Neo-Country-Zeit.
Was das, alles in allem, ergibt, ist ein, finde ich, sehr berührender Roman
über das Erwachsensein. Und statt über literarische Fragen hat man nach dem
Lesen sowieso eher Lust, sich von diesem Buch ausgehend darüber zu
unterhalten, wie das Leben so läuft. So viel erzählerische Kraft hat
"Freiheit" unbedingt.
Gegenüber den "Korrekturen" sind hier die Figuren einen ebenso
entscheidenden wie schwierigen Schritt weiter. Während sie da noch die
eigenen Ich-Entwürfe gegenüber denen ihrer Eltern abgrenzen mussten, sind
sie nun mit den Ambivalenzen und Problemen der eigenen Ich-Entwürfe
konfrontiert. Und während es in den "Korrekturen" noch darum ging, die
Fehler ihrer Eltern zu korrigieren, müssen sie nun lernen, die eigenen
Fehler wieder zu korrigieren.
"Es wurden Fehler gemacht", lautet der Titel einer umfangreichen
Selbstverständigungsschrift, die Franzen seine Patty Berglund schreiben
lässt. Immerhin, das wissen hier die Figuren schon mal, im Gegensatz zur
Elterngeneration in den "Korrekturen". Was aber auch nicht dagegen hilft,
dass sie sich mit diesen Fehlern - bevor Franzen das Buch im allerletzten
Kapitel in einem fast legendenhaften Ton einfach zumacht - so hilflos
herumschlagen müssen, wie man das im wirklichen Leben ja manchmal auch
muss.
Zusammengehalten wird das alles letztlich vielleicht nur von Jonathan
Franzens Willen, von solchen Ambivalenzen, Lebenskompromissen und Problemen
zu erzählen, das mag sein. Aber gerade das kann einen an diesem Roman sehr
berühren, zumindest ist es mir so gegangen. Walter Berglund kommt bei
seinen Vogelrettungsprojekten irgendwann darauf, dass das Kardinalproblem
schlicht darin besteht, dass es zu viele Menschen auf dieser Welt gibt.
Jonathan Franzen aber denkt sich eine Handvoll Menschen aus und erzählt mit
aller Verve und allen literarischen Kompromissen von ihnen, als ob das das
Wichtigste auf der Welt sei.
Katzen liebt Franzen nicht, aber Vögel schon und halt auch seine
menschlichen Figuren. Und zwar so sehr, dass es am Schluss des Buches nicht
mehr so viel ausmacht, dass es mit der Weltrettung mal wieder nichts wurde.
Hauptsache, Patty, Walter, Richard, Joey und all die anderen machen noch
ein bisschen weiter. So wie wir alle.
7 Sep 2010
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.