| # taz.de -- Neuer Animationsfilm "Oben": Fantasie zum Fliegen bringen | |
| > Der neue Animationsfilm "Oben" von Disney kombiniert Durchgeknalltes und | |
| > Ernsthaftes und macht daraus ein fantastisches Leinwanderlebnis in 3D. | |
| Bild: Der rüstige Rentner Carl fliegt mit Ballons nach Südamerika. | |
| Es gibt in diesem ganz wunderbaren Animationsfilm so viele abgedrehte bis | |
| durchgeknallte Einfälle, dass man sich als Zuschauer zwischendurch immer | |
| mal wieder kneifen muss. Aber das alles hat seine ganz eigene | |
| Ernsthaftigkeit. | |
| Da sind Carl und Russell, das Heldenpaar - und zwar durchaus im Sinne von | |
| Actionheldenpaar -, ein alter, knarziger Mann und ein gehandicapter Junge | |
| in Pfadfinderuniform. Diese Idee hätte schnell in der Behauptung oder in | |
| der Karikatur versanden können. Tut sie aber nicht. In der Umsetzung wirkt | |
| nichts an ihnen sozialkitschig, gutmütig oder gut gewollt. | |
| Dann gibt es da diesen riesigen Vogel namens Kevin - zugleich wunderschön | |
| und total gaga, eine Mischung aus Pfau, Emu, Schnepfe und ausgekipptem | |
| Malkasten mit fluoreszierenden Farben. Das hätte wie ein in den Film | |
| hineingezwungener Fremdkörper wirken können, als würden die Village People | |
| im Kirchenchor mitsingen. | |
| Es gibt außerdem Halsbänder, die Gedanken von Hunden in Worte setzen | |
| können, was platt hätte werden können, aber tatsächlich zu herrlichen | |
| Kollisionen zwischen expressivem Hundeverhalten und trockenen Ansagen von | |
| dessen Bedeutung führt. Und dann gibt es in "Oben" dieses Haus; das | |
| emotionale Herz des Films. Veranda, Erker, Spitzdach - anfangs steht dies | |
| Haus wie der Inbegriff des kleinen Glücks noch fest auf dem Erdboden. | |
| In den ersten Minuten wird dazu die Geschichte einer lebenslangen Liebe | |
| erzählt, und es ist ein weiteres Kunststück von Regisseur Pete Docter, hier | |
| die Rührung so deutlich auszustellen, dass das nicht kitschig, sondern | |
| zauberhaft wirkt. Dann stirbt Carls Frau, wir sind erst etwa in Filmminute | |
| sieben und haben bereits das Gefühl, schon ein ganzes Leben hinter uns zu | |
| haben. Eine Depressionszeit folgt - bis Carl das Haus, anstatt es in | |
| Richtung Altersheim zu verlassen, es mit vielen Luftballons zum Fliegen | |
| bringt und man als Zuschauer schon denkt: Okay, jetzt fängt also die | |
| Märchenstunde an. Aber was wirklich folgt, ist eine Abenteuerfahrt, die | |
| sich gewaschen hat. | |
| Die Geschichte ist dann ungefähr die, dass Carl zusammen mit Russell den | |
| Vogel Kevin in Südamerika vor einem Abenteurer und seiner wilden Hundemeute | |
| beschützen muss. Verfolgungsjagden, Slapstickszenen, Flugeinlagen - und das | |
| Haus zieht Carl an Luftballons dabei die meiste Zeit über hinter sich her. | |
| Dass der Held der Jugend sich als Feind erweist, man bei dem Abenteuer, ihn | |
| zu besiegen, aber auch im Alter noch mit einem neuen Lebensentwurf belohnt | |
| wird - darauf läuft Carls emotionale Reise hinaus. | |
| Aber in Wirklichkeit geht es darum, in diesem Film die Wirklichkeit außer | |
| Kraft zu setzen und die Fantasie zum Fliegen zu bringen, sie in fröhlicher | |
| Verschwendung von Ideen also genauso noch oben zu bringen wie das Haus. | |
| Atemberaubend, wie das gelingt! Es muss im Hause Pixar, dessen zehnte | |
| Produktion dieser Film ist (nach zum Beispiel "Findet Nemo", "Ratatouille" | |
| oder "Wall-E"), einen ganz eigenen Wettbewerb geben: Die waghalsigste Idee | |
| gewinnt! | |
| Mit aller Ernsthaftigkeit und Akribie wird dann aber daran gearbeitet, sie | |
| glaubwürdig auf die Leinwand zu bringen. Das wirklich Schöne aber ist erst, | |
| dass bei all diesem Arbeitsethos nichts an "Oben" angestrengt wirkt. Und | |
| dass das alles animiert ist, hat man als Zuschauer sowieso bald vergessen, | |
| selbst oder gerade wenn die Animationen alles andere als realistisch sind. | |
| "Harry Potter" und "Ice Age 3" beließen es in ihren 3D-Episoden noch bei | |
| der Erzeugung eines Effektfeuerwerks. | |
| In "Oben", ganz in 3D produziert, kann man darüber hinaus bereits sehen, | |
| welche neuen erzählerischen Möglichkeiten sich aus der Dreidimensionalität | |
| ergeben. In der Depressionszeit wird alles flach; je größer das Abenteuer | |
| wird, desto mehr Tiefe gewinnen die Bilder. Und Carls mürrische | |
| Alter-Knacker-Miene wäre ohne 3D sicher nicht so eindrucksvoll. | |
| "Oben". Regie: Pete Docter. USA 2009, 89 Min. | |
| 17 Sep 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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