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# taz.de -- Nazijäger Der Hamburger Jurist, Filmkritiker und Schauspieler Diet…
Bild: Provoziert gern: Dietrich Kuhlbrodt in seinem Haus in Hamburg-Blankenese.…
Interview Friederike Gräff
taz: Herr Kuhlbrodt, war es Zufall oder Absicht, dass Sie als junger
Staatsanwalt begonnen haben, Nazi-Verbrechen zu verfolgen?
Dietrich Kuhlbrodt: Da muss ich etwas ausholen. Ich hatte Anfang der
60er-Jahre, als ich mit dem Jurastudium fertig war, zwei Möglichkeiten.
Seit 1957 schrieb ich Filmkritiken und hätte Spiegel-Redakteur werden
können. In dem Moment meldete sich ein Behördenleiter der
Staatsanwaltschaft bei mir und sagte, er kenne meine Kolumnen und hätte
gern, dass ich in seine Behörde käme, um, wie er sagte, „das Image der
Behörde grundsätzlich zu verändern“, indem da nicht nur verfolgungssüchti…
Staatsanwälte herumgeisterten.
War es damit entschieden?
Da dachte ich: Das ist klar ein Fall für die Staatsanwaltschaft, in die ich
dann sozusagen als Journalist undercover reingehe. Der Behördenleiter war
ein Freund von Fritz Bauer, dem Generalstaatsanwalt, der die
Auschwitzprozesse mit angestrengt hat. Der Behördenleiter wurde mein
Mentor, aber von seinen Untergebenen wurde ich, weil ich als unpassend
empfunden wurde, nach wenigen Monaten nach Ludwigsburg zur Zentralen Stelle
zur Verfolgung von NS-Verbrechen wegbeordert.
Gingen Sie gern dorthin?
Ich hatte eine gewisse Affinität, aber es war nicht mein Wunsch, zu dieser
Stelle zu kommen.
War es ein Ort, an den damals niemand wollte?
Das kann man so nicht sagen. Ich war offen und neugierig, was da passieren
würde. Aber es war eine völlig ineffektive Stelle. Wir hatten nicht das
Recht, Anklagen zu schreiben, sondern konnten nur für die Polizei ermitteln
und die Ermittlungsergebnisse zur Erhebung der Anklage an
Staatsanwaltschaften abgeben, die überhaupt keinen Bock hatten, das zu
bearbeiten: Es waren aufwendige Sachen und so eine Staatsanwaltschaft aus
acht Männeken war heillos überfordert.
Wie haben Sie sich in Ludwigsburg arrangiert?
Man wurde für ein Jahr abgeordnet und dann wieder zurückgenommen. Man
machte eine Akte auf, vielleicht Band Nummer eins von dreißig, um sich
einzulesen, was die Einsatzkommandos im Osten gemacht hatten – das schaffte
man nicht innerhalb eines Jahres, dann war man wieder weg und der nächste
fing wieder auf Blatt eins an. Ich behaupte, das war absichtlich so
organisiert. Man konnte gegenüber den jüdischen Organisationen etwa in New
York behaupten: Wir haben da unsere Leute, die das machen. Aber in
Wirklichkeit war das ein läppisches Werk, abgesehen davon, dass uns auch
ganz gezielt Steine in den Weg gelegt wurden.
1967 wurde beschlossen, dass man nur noch dann Anklage erheben durfte, wenn
man Mord oder niedere Beweggründe sicher nachweisen konnte. Was bedeutete
das für Ihre Arbeit?
Es war ein großes Entsetzen bei uns, weil wir zwei Drittel der Akten, die
wir angefangen hatten zu bearbeiten, weglegen konnten. Es gab Debatten
darüber, ob Rassenwahn nicht ein niederer Beweggrund sein konnte – das
musste erst mal in die Reihe der Qualifikationsmerkmale erhoben werden. Als
das erreicht war, musste man aber jedem einzelnen individuell nachweisen,
dass er niedere Beweggründe hatte.
Wie ging das?
Wir mussten aus der Einheit der Beschuldigten jemanden finden, der zu
seinem Ex-Kameraden sagte: Du hast solche Äußerungen gemacht. Solche Leute
findet man nicht. Oder er musste in einem Feldpostbrief nach Hause
geschrieben haben: „Gut, mal wieder einer weniger von der Rasse.“ Aber wo
findet man solche Feldpostbriefe und welche Familie rückt sie raus?
Gab es unter solchen Bedingungen überhaupt irgendwelche Erfolge Ihrer
Arbeit?
Ich sage es mal polemisch: Ein Erfolg war, dass der Leiter der Zentralen
Ermittlungsstelle schon nach einem halben Jahr abberufen wurde, weil er
selbst Teil einer Einsatzgruppe im Osten gewesen war, die Morde an
jüdischen Zivilisten begangen hatte. Er wurde übrigens nach oben befördert,
aber er war in Ludwigsburg nicht mehr tragbar. Wir waren trotzdem voller
Kampfgeist und sagten uns: Wenn das mit der juristischen Technik nicht
geht, dann machen wir eben etwas anderes. Es gab einen Kontakt zur
„Panorama“-Sendung des NDR, wir sind mit Freuden vor die Kamera getreten.
Gab es da Resonanz?
Eines Tages guckten wir aus dem leer stehenden Gefängnis, in dem wir
untergebracht waren, weil da laute Musik zu hören war. Ein Ordenskissen
wurde da getragen, dann kam ein Oberpfarrer in Talar, dann kamen Abgesandte
der Stadt und ein Zug von Opas. Als sie uns da hinter den Gittern stehen
sahen, hoben sie die Faust und schrien: „Wir kriegen euch noch, wir kriegen
euch noch.“ Es stellte sich heraus, dass da der Führer der Leibstandarte
Adolf Hitler zu Grabe getragen wurde, Sepp Dietrich, eine hochgeachtete
Figur in Ludwigsburg, weil er Generalmanager der Bausparkasse war.
Wie haben Sie reagiert?
Damals wurden Akten nicht kopiert wie heute, wir hatten nur die Originale –
ein Brandsatz durch die Fenster im Erdgeschoss und alles wäre weggewesen.
Also wandten wir uns an das baden-württembergische Kriminalamt. Die sagten:
„Ihr müsst eben eure Akten bewachen.“ Wir meinten: „Wir können doch kei…
Brandsatz zurückschleudern.“ Da meinten die: „Dann verschafft euch Waffen.…
Wir waren aber weiße Jahrgänge, nie Soldaten gewesen, und konnten nicht mit
Waffen umgehen und hatten auch überhaupt keine. Da meinten die Leute vom
Kriminalamt: „Wir verkaufen euch welche.“ Dann kaufte ich für 300 Mark eine
Sauer & Sohn 765, die ich noch ein Stockwerk höher habe.
Konnten Sie denn schießen?
Eben nicht, wir waren ja weiße, also nicht eingezogene Jahrgänge. Wir
meinten: „Wir müssen das einmal üben“, da guckten sich die Leute vom
Kriminalamt merkwürdig an und sagten: „Wir zeigen euch einen Schießstand.“
Dann fuhren die im Auto voraus, blieben sitzen und zeigten geradeaus: „Da
ist die Schießwand.“ Wir stiegen aus, ich nahm meine Pistole und schoss. Da
kamen hinter diesem Schießstand Kinder raus und riefen: „Was macht ihr denn
da?“ Es stellte sich heraus, dass dieser Platz eigentlich als
Abenteuerspielplatz genutzt wurde, und wenn wir bei unseren Schießübungen
ein Ludwigsburger Kind erschossen hätten, kann man sich vorstellen, was das
Schicksal unserer Ermittlungsstelle gewesen wäre.
In Ihren Erinnerungen schreiben Sie, dass Ihnen erst in Ludwigsburg klar
geworden sei, dass Sie selbst zu den Uniformträgern gehört haben.
Mir wurde klar, dass ich im weitesten Sinn mit drin gewesen bin. Das ist
keine Trennung, hier Nazi da und Nicht-Nazi hier, sondern das war eine
Gemengelage, aus der man sich hinterher befreien muss.
Es gab einen Fall, in dem Sie die Anklage gegen den Verlobten einer
Freundin Ihrer Mutter wegen Euthanasieverbrechen vorbereitet haben. Was hat
es für Sie bedeutet, den Mann zu kennen?
Das war vorher natürlich völlig getrennt in meinem Kopf gewesen: Die liebe
Tante Ellen, die mit dem Reichsärzteführer oder was er war, zu tun hatte –
diese Erlebnisse stiegen mit der Zeit alle wieder hervor und ich dachte,
verdammte Scheiße, du kennst sie alle: den Leiter der Kinderabteilung
Rothenburgsort, Dr. Bayer, das war dein Kinderarzt. Ein liebevoller Mensch,
da hat man ein anderes Bild als wenn man sagt: der hat Kindereuthanasie
betrieben. Gerade habe ich nachgelesen im Tagebuch meiner Mutter: Im ersten
Lebensjahr wurde ich vom Kinderarzt Dr. Geckwitz betreut, dem Leiter der
Kinderabteilung im UKE, der damals Vollnazi war, später aber eine andere
Haltung einnahm und sagte, das läuft völlig schief, bis ein Kollege ihn
anzeigte und er von Freisler persönlich zu sieben Jahren Zuchthaus
verurteilt wurde. Es sind diese Verwebungen, die mich immer interessiert
haben.
Wie wichtig war unter all diesen Prozessen der um die Alsterdorfer
Anstalten für Sie?
Ich habe es mir nicht ausgesucht, das muss man immer bedenken. Als ich am
1. Januar 1968 aus Ludwigsburg nach Hamburg zurückkam, war ich damit
beauftragt, Naziverbrechen, für die Hamburg zuständig war, zu verfolgen.
Dann bekam ich schon im Laufe des Jahres 1968 eine Anzeige auf den Tisch.
Wir konnten nur auf Anzeigen reagieren, diese kam von jemandem, der
eigentlich zu den Insassen in Alsterdorf gehörte, aber als Oberpfleger
einen Transport begleitet hatte.
Selbst die Ausschnitte aus den Akten lesen sich extrem bedrückend. Wie sehr
hat Sie diese Arbeit verfolgt?
Ich habe da nicht mit Hassgefühlen dran gesessen, sondern ich habe nur
gesagt: Die kriege ich noch, da habe ich meine Einfälle und dabei war ich
voll engagiert.
Was für Einfälle brauchte man?
Dass ich sagte: In Alsterdorf wird ständig gemauert, jetzt nehme ich mir
einen Beamten mit und fahre einfach dahin, ohne Durchsuchungsbefehl. Ich
bin zur Geschäftsstelle gegangen und habe gefragt: „Wo sind denn die Akten
aus der Nazizeit?“ Der hätte ja ohne weiteres sagen können: „Haben Sie
einen Durchsuchungsbefehl, außerdem sind die Akten alle verbrannt.“ Den
zweiten Satz sagte er so, dann sagte ich: „Aber es ist hier ja nicht alles
verbrannt, hier etwa dieses Regal, wenn ich das aufmache, da liegen ja die
Akten aus der Kriegszeit alle säuberlich, Karteikästen von jedem einzelnen
Pflegling, wo dann hinterher steht: abtransportiert nach da- und dorthin,
drei Tage später Todesmeldung.“ Ich sagte: „Das ist ja hochgradig
interessant. Wir nehmen die mal mit.“ Und leitete ein Verfahren ein wegen
versuchter Strafvereitelung. Da fühlte ich mich in einer Art politischen
Aktion.
Wurden Ihnen 1968 in Hamburg weniger Hindernisse in den Weg gelegt als 1965
in Ludwigsburg?
Es war eine Übergangssituation. Die Behörde hat alles abgesegnet, was ich
gemacht habe, da hatte ich Glück. Aber die Stimmung in der Öffentlichkeit
war: Wann hört das endlich mal auf? Es gab auch einen stellvertretenden
Leiter der Justizbehörde, der zu mir kam und sagte: „Diese Anklageschrift
gegen den inzwischen pensionierten Senator Struve, das ist doch ein
verdienter Beamter gewesen. Wissen Sie, wir in der Justizbehörde haben Ihre
Karriere auch immer im Auge gehabt – Herr Kuhlbrodt, das soll auch so
bleiben.“
Kurt Struve, der die Euthanasie in Hamburg mit organisiert hat, kam
ungeschoren davon. Wie haben Sie das genommen?
Ich war wütend und habe die Akten für die ersten Forscher der Euthanasie
freigegeben. Viele andere Verfahren haben zwar mit soundsoviel Jahren auf
Bewährung geendet oder die Leute waren nicht haftfähig – aber da redet
heute kein Mensch drüber.
Ist es nicht bitter, dass eine echte Beschäftigung mit der Schuld erst dann
möglich war, als die Tätergeneration nicht mehr am Ruder beziehungsweise
tot war?
Wir haben uns schon in Ludwigsburg gefragt: Hat die Justiz die
Alleinkompetenz das aufzuarbeiten? Hallo – da ist doch mehr Öffentlichkeit,
da sind doch Kinder, die in der Schule sind. Es wäre doch eine Sache der
breiten Öffentlichkeit gewesen, damit umzugehen, stattdessen sagten alle:
Wir wollen das Wirtschaftswunder und haben ja die Leute von der Justiz –
die de facto nichts bewegen konnten. Unser zynischer Spruch war immer: Wir
bringen nichts zustande, die Öffentlichkeit bringt nichts zustande, sie
wird auch belogen – dann bleibt nur die biologische Lösung.
Waren Sie in Hamburg ein Außenseiter?
Nö, das war nicht so. Da gab es einen fortschrittlichen, linken
Richterverein, mit dem ich immer zusammensaß in der Kantine. Das waren
wirklich linksgerichtete Richter. Von außen sieht man das immer als
Einheit, was es natürlich nicht ist, wenn man drin ist. Ich habe mich da
aber auch nicht verborgen. Die wussten schon alle, wie ich drauf war. 1968,
als diese ersten Demos waren, durch die Stadt, da standen die Staatsanwälte
im Strafjustizgebäude an der Ecke und beguckten den Zug, der da mit den
Spruchbändern vorbeizog. Und da entdeckten die mich auch in dem Demozug.
Jemand hatte an der Straße, am Gänsemarkt, wie ich mir das anguckte,
gerufen: „Komm Genosse, reih dich ein!“ Und dann habe ich das gemacht und
bin mit dem Zug an meinen Kollegen vorbeigezogen.
29 Aug 2015
## AUTOREN
Friederike Gräff
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