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# taz.de -- Nachruf: Vom Grübeln zum Handeln
> Richard Rorty, liberaler Ironiker und der große Antiautoritäre unter den
> Philosophen, ist tot. Die Verwirklichung der menschlichen Freiheit
> verstand er als nie abschließbares Projekt.
Bild: Richard Rorty (1931-2007)
Für Menschen auf der Suche nach Autoritäten war Richard Rorty nie der
richtige Denker. Wer etwa Philosophie studierte, um ein für allemal etwas
über die grundlegenden Strukturen der Welt, der Menschen und der Erkenntnis
zu erfahren, der konnte mit ihm seine Rortykrise erleben, so wie viele
Generationen von Intellektuellen zuvor ihre Kantkrise erlebt haben.
Ich kann mich noch gut an die Verblüffung erinnern, die mich überkam, als
ich zum ersten Mal die Einleitung zu "Kontingenz, Ironie und Solidarität"
las, seinem Hauptwerk von 1989. Mit welcher Gelassenheit er darin die
altehrwürdige philosophische Problematik, zwischen Allgemeinem und
Besonderem, Öffentlichem und Privatem zu vermitteln, historisierte!
Richard Rorty kam als Autor stets ohne gedankliches Prunken und Protzen
aus. Was man an dieser Einleitung gut zeigen kann. Sein Einsatz, das
philosophische Denken pragmatisch zu erden und aus seinen metaphysischen
Höhen in unsere Welt aus Raum, Zeit, Zufälligkeiten und Veränderungen
herunterzuholen, ist hier auch sprachlich zu sich gekommen. Ohne
Auftrumpfungsgesten erklärt Rorty darin den Gegensatz zwischen Denkern des
Individuums und der Selbsterschaffung (Nietzsche, Heidegger) und solchen
der Gesellschaft und der Gerechtigkeit (Marx, Habermas) für beendet - beide
Seiten haben recht: "Die einen erklären uns, dass wir nicht nur die
Stammessprache sprechen müssen, dass wir vielleicht unsere eigenen Worte
finden können, dass wir möglicherweise uns selbst gegenüber verpflichtet
sind, sie zu finden. Die anderen erklären uns, dass das nicht die einzige
Verpflichtung ist, die wir haben."
Wohlgemerkt, die Unterschiede zaubert Rorty gedanklich nicht weg, im
Gegenteil. Vielmehr können wir sie uns gerade nutzbar machen, indem wir, so
Rortys antidepressiver Weg aus diesem Widerstreit, die verschiedenen
Theorien wie Werkzeuge handhaben und sie anwenden, je nachdem, worüber wir
nachdenken. Rorty: "Wir könnten denken, dass sie sowenig eine Synthese
brauchen wie Malerpinsel und Brecheisen" - wobei offen bleibt, ob Rorty zum
Beispiel Habermas, seinen langjährigen Gesprächs- und Streitpartner, den
Pinseln oder den Brecheisen zurechnet, eine der vielen kleinen Ironien
dieser Prosa.
Vom Grübeln hin zum Handeln: Das ist die Wendung, die Richard Rorty
insgesamt vorschlägt. Er regt dazu an, die Hoffnung aufzugeben, durch
tiefes Nachdenken einen letzten Grund, eine unbezweifelbare Gewissheit zu
finden, auf der man sein Handeln gründen könnte - eine solche Ordnung
jenseits von Raum und Zeit, die festsetzt, worauf es im Leben ankommt, kann
es nicht geben. Stattdessen möchte Rorty, platt gesagt, dazu ermuntern,
nach vorn zu gucken und die Verwirklichung unserer Freiheit als nie
abschließbares und stets mit Versuchen und Irrtümern begleitetes Projekt zu
begreifen. Ein sozusagen nach vorne gerichtetes Durchwursteln - mit den
Zielpunkten, mehr und vielfältigere Glücksmöglichkeiten für die Individuen
zu schaffen und das Leid zu minimieren - ersetzt die Versuche, eine Instanz
aufzuspüren, die einem sagt, was man zu tun hat: heißt diese Instanz nun
Gott, Natur des Menschen, Vernunft, Moral, Theorie oder wie auch immer. Die
Geschichten von solchen Autoritäten hat Rorty dann durch Geschichten von
ebenso pragmatischen wie emphatischen Ansätzen zur
Gesellschaftsverbesserung ersetzt, die ohne Letztbegründungen auskommen;
einer seiner großen Gewährsmänner ist John Dewey.
Die intellektuelle Figur, auf die er insgesamt baut, bezeichnet Rorty in
"Kontingenz, Ironie und Solidarität" als "liberale Ironikerin" - liberal
insofern, als sie Grausamkeiten verabscheut; Ironikerin, weil sie weiß,
dass noch die eigene Sprache und das eigene Selbst kontingent, also
vorgegeben und zufällig sind. Sobald man auch philosophisch den
antiautoritären Impuls in sich entdeckt hat, ist Rorty der passende Autor
für Menschen, die ahnen, dass sie sich mit allen ihren Überzeugungen auf
dünnem Eis bewegen und die dennoch nicht aufgeben wollen, an der
Verbesserung der Gesellschaft zu arbeiten. Oder andersherum: Die an der
Verbesserung der Gesellschaft weiterarbeiten wollen, aber keineswegs in
vermeintliche metaphysische Sicherheiten zurückrutschen möchten.
"Achieving our country", also: Die Verbesserung unseres Landes (im
Deutschen mit "Stolz auf unser Land" übersetzt), hieß Rortys großer
politischer Essay von 1998, den man allein schon wegen seiner befeuernden
Emphase jedem Leser ans Herz legen möchte. Mit John Dewey hielt er darin an
dem gesellschaftlichen Ziel fest, "Subjekte hervorzubringen, die immer neue
und reichere Formen menschlichen Glücks erleben könnten". Diesem Ziel muss
man sich nun ohne Rorty widmen: Am vergangenen Freitag ist er 75-jährig in
Stanford, Kalifornien, gestorben.
11 Jun 2007
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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