# taz.de -- Nachruf auf George W. Bush: Politische Karriere als Ödipaltherapie | |
> Es begann mit Wahlbetrug, es folgten Kriege, Patriot Act, Guantánamo und | |
> Abu Ghraib. Das Beste an der Ära George W. Bush ist, dass sie am 20. | |
> Januar unwiderruflich zu Ende geht. | |
Bild: Geh mit Gott, aber geh. | |
Dass die US-Präsidentschaftswahl 2008 schon Monate vor dem eigentlichen | |
Wahltag als "historisch" eingestuft wurde, hat auch etwas mit ihm zu tun. | |
Mit der Erbschaft dieser Präsidentschaft der Superlative, die am 20. Januar | |
endlich zuende geht. George W. Bush war kurz nach dem 11. September 2001 | |
der beliebteste Präsident der US-Geschichte, am Schluss seiner Amtszeit der | |
unbeliebteste und nach Einschätzung von 109 befragten US-Historikern vom | |
April diesen Jahres der schlechteste Präsident aller Zeiten. | |
Bush hat Emotionen geweckt. Noch nie hat sich ein US-Präsident auf der | |
ganzen Welt einer so einheitlichen Ablehnung gegenüber gesehen. Ronald | |
Reagan, der in den 80er Jahren mit Contra-Finanzierung, Hochrüstung und SDI | |
ein prima Feindbild für die Friedensbewegung und die Linke abgab, war | |
wenigstens im bürgerlichen Lager der westlichen Gesellschaften beliebt. Er | |
gilt heute in den USA als Bezwinger des Kommunismus, als ganz großer | |
Präsident. | |
Bush hingegen kann einem fast leid tun. Über den Mann, der einst so besorgt | |
um das Bild war, das er in den Geschichtsbüchern hinterlassen würde, gibt | |
es in den USA heute zwei wesentliche Erzählstränge. So richtig gut sind sie | |
für ihn beide nicht. | |
Die eine Erzählung ist die, die auch Oliver Stone in seinem vor ein paar | |
Wochen angelaufenen Portraitfilm "W" in den Mittelpunkt gestellt hat. Bush, | |
der Trinker, das schwarze Schaf der Familie, der stets darunter leidet, | |
dass sein übermächtiger Vater George H. W. Bush den strebsameren Bruder Jeb | |
bevorzugt, kämpft um Rehabilitierung. Eine politische Karriere als | |
Ödipaltherapie. | |
Erst in der Midlife-Crisis angekommen, lässt Bush vom Alkohol ab, erklärt | |
sich mit Hilfe eines Predigers zum wiedergeborenen Christen und nutzt | |
seinen Namen, um – wiederum gegen den Willen des Vaters, der nicht an ihn | |
glaubt – Gouverneur von Texas zu werden. | |
Aus Empörung darüber, dass Bush Senior 1991 den Krieg gegen Saddam Hussein | |
nicht zuende bringt, und um seinem ambitionierten Bruder eins auszuwischen, | |
bewirbt sich Bush für die Wahlen 2000 um die Präsidentschaft. | |
Der Irakkrieg, den er 2003 willentlich vom Zaun bricht, dient der | |
Satisfaktion: Der Tag, an dem sich Bush nach Ende der erfolgreichen | |
Invasion in Bomberuniform unter dem Banner "Mission accomplished" auf dem | |
US-Flugzeugträger "Lincoln" zeigt und das "Ende der wesentlichen | |
Kriegshandlungen" verkündet, ist sein Schlüsselmoment. "Jede Geste des | |
Präsidenten an diesem Tag zeigte sein Gefühl der persönlichen und | |
nationalen Rehabilitierung. Bei der Mission, die er erfüllt zu haben | |
glaubte, ging es nicht nur darum, Saddam Hussein zu bezwingen, sondern | |
darum, den Schatten seines Vaters zu überwinden", schreibt Bush-Biograf | |
Jacob Weisberg in seinem gerade erschienen Buch "The Bush tragedy". | |
Alles, was nach diesem persönlichen und politischen Triumph über den Vater | |
kommt, ist nach dieser Erzählung die zur Tragödie gekehrte Folge, über die | |
der seinen psychologischen Defiziten hilflos ausgelieferte Protagonist jede | |
Kontrolle verliert. Mit der republikanischen Niederlage bei den | |
Kongresswahlen 2006 sieht sich Bush gezwungen, Teile der Administration | |
seines Vaters wieder ins Boot zu holen – das eigentliche Scheitern. Seine | |
Beliebtheit sinkt ins Bodenlose, die Republikaner, die sein Chefstratege | |
Karl Rove und er zur Jahrzehnte anhaltenden politischen und kulturellen | |
Hegemonie hatten führen wollen, stehen Jahrhundertverlusten gegenüber. Ein | |
Albtraum, den Bush nicht erklären kann. | |
Bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus 2007 gefragt, was er für die | |
größten Fehler seiner Amtszeit hält, fällt ihm nach minutenlangem Gestammel | |
einfach nichts ein. | |
"Präsident zu sein", schreibt Jacob Weisberg, "ging über Bushs Fähigkeiten | |
in einem Maße hinaus, das er nicht begriffen hat. Er hätte niemals die | |
Chance dazu bekommen dürfen, und ich gebe dafür mehr jenen die Schuld, die | |
ihm diese Möglichkeit eröffnet haben als ihm selbst dafür, es versucht zu | |
haben." | |
Man mag diese psychologisierende Erzählung teilen oder nicht – um zu | |
erklären, wie und warum Bushs Präsidentschaft in den letzten acht Jahren | |
die USA verändert hat, ist sie zumindest unzureichend. Wenn Bush selbst gar | |
nicht in der Lage war, komplexe Politik zu formulieren, wer denn dann? Hier | |
kommt die zweite Erzählung Bush. | |
Noch in der Clinton-Ära hatten innerhalb der Republikanischen Partei | |
konservative Kräfte immer mehr an Einfluss gewonnen. Zwar konnten die | |
Republikaner – zumal mit dem schwachen Kandidaten Bob Dole – dem populären | |
Präsidenten Bill Clinton 1996 die Wiederwahl nicht nehmen. Doch schon 1994, | |
zwei Jahre nach Clintons Amtsantritt, hatten sie bei den Kongresswahlen die | |
Kontrolle des Kongresses übernommen. Gut ein Viertel der Wähler | |
identifizierten sich selbst als wiedergeborene bzw. evangelikale Christen, | |
jeder dritte als konservativ-religiös – ein Potenzial, das in jahrelanger | |
Aufbauarbeit von unten als republikanische Basis geschaffen und politisch | |
mobilisiert worden war. | |
Im gleichen Jahr 1994, als der neue republikanische Mehrheitsführer Newt | |
Gingrich die "republikanische Revolution" ausrief, entthronte in Texas | |
George W. Bush die demokratische Gouverneurin Ann Richards. Es war der | |
erste schmutzig geführte Wahlkampf des neuen Teams George W. Bush und | |
seines Chefstrategen Karl Rove. | |
Nach erfolgreicher Wiederwahl 1998 – jenem Jahr, in dem die Republikaner in | |
Washington mit ihrem Kettenhund Kenneth Starr an der Spitze die | |
Amtsenthebung Bill Clintons wegen der Lewinsky-Affäre betrieben – wagte | |
Bush für die 2000er Wahlen die Präsidentschaftskandidatur. | |
Bushs Wahlkampf basierte auf dem Versprechen von "mitfühlendem | |
Konservativismus" – und Steuererleichterungen für die Besserverdienenden. | |
Sein wichtigster innerparteilicher Gegner: John McCain. Es war wiederum | |
Karl Rove, der Bushs Wahlkampf leitete. McCain, der große Sympathie in der | |
US-Presse genoss, hatte die ersten Vorwahlen in New Hampshire gewinnen | |
können, als wie aus heiterem Himmel eine Welle anonymer Anrufer die | |
WählerInnen des nächsten wichtigen Bundesstaates South Carolina erreichte. | |
Wie sie es denn fänden, wurden sie gefragt, dass McCain der heimliche Vater | |
eines schwarzen Kindes sei? Das war natürlich gelogen gemeint war Bridget, | |
die aus Bangladesh stammende Adoptivtochter Cindy und John McCains. Doch | |
der Schmutzwahlkampf gelang. McCain verlor South Carolina und konnte nur | |
noch sechs weitere Bundesstaaten für sich entscheiden, Bush wurde Kandidat. | |
Karl Rove bestreitet bis heute, mit den Anrufen etwas zu tun zu haben. | |
Glauben tut ihm das niemand. | |
Tatsächlich aber war Bush mit seiner doppelten Botschaft der ideale | |
Kandidat: Selbst wiedergeborener Christ – eine im konservativen Amerika | |
akzeptable und respektierte Erklärung überwundenen Alkoholismus’ – konnte | |
Bush die immer stärker werdende religiöse Rechte an sich binden und an die | |
Wahlurnen bringen. Und seine Steuerversprechen sicherten ihm die | |
Unterstützung der Oberschicht. | |
Es mag wohl auch die Arroganz der Macht des Vizepräsidenten Al Gore gewesen | |
sein, die falsche liberale Rezeption des Newcomers Bush als ungebildeter | |
Witzfigur und die Schwierigkeiten Al Gores, sich von Präsident Clinton auf | |
Distanz zu bringen, die dazu führte, dass Bush bei diesen Wahlen überhaupt | |
eine Chance hatte. Bei den Fernsehdebatten überrannte Gore den unbeholfen | |
und tapsig daherkommenden Bush mit Fachwissen und Unmengen an Daten – Bush | |
allerdings glänzte bei Wahlveranstaltungen als charmanter Kommunikator, der | |
seine jungenhafte Unwissenheit zur Tugend gegen die Klüngelwirtschaft in | |
Washington stilisierte und auch damals schon eine Fähigkeit zur | |
Selbstironie unter Beweis stellte, die gut ankam. Bis heute bescheinigen | |
ihm enge Mitarbeiter Humor und Menschlichkeit im persönlichen Umgang. | |
Gewinnen allerdings konnte Bush die Wahlen letztlich nur durch Wahlbetrug. | |
In einem Kopf-an-Kopf-Rennen blieb am Wahlabend nach verschiedenen | |
verfrühten Siegesmeldungen der TV-Stationen nur noch der Bundesstaat | |
Florida offen. Die maroden Stanzmaschinen, mit denen dort gewählt wurde, | |
hatten etliche fragwürdige Ergebnisse produziert, und erst nachdem mit | |
Hilfe Jeb Bushs – damals Gouverneur von Florida – und des Obersten | |
Gerichtshofes die Nachzählung abgebrochen worden war, wurde Bush zum | |
Präsidenten erklärt. Er hatte nicht nur das "popular vote" verloren, also | |
insgesamt weniger Stimmen erhalten als Al Gore, sondern, wie spätere | |
Nachzählungen ergaben, eigentlich den Bundesstaat Florida. Bushs | |
Präsidentschaft beruhte auf einer "gestohlenen Wahl" – und dieses Trauma | |
von 2000 ist nicht verheilt. | |
Die Meilensteine der acht Jahre Bush sind bekannt. Mit den Anschlägen vom | |
11. September 2001 erhielt seine Präsidentschaft ihr Thema, den "Krieg | |
gegen den Terror" – und was daraus folgte, ließ sich trefflich mit dem | |
verbinden, was die neokonservativen Vordenker des "Project for a new | |
american century" seit 1997 erdacht und im September 2000, also ein Jahr | |
vor den Anschlägen, aufgeschrieben hatten. Sie hatten insbesondere eine | |
drastische Erhöhung des Militäretats gefordert, um die weltweite | |
militärische Präsenz und Überlegenheit der USA auf Jahrzehnte zu sichern. | |
Allerdings, so hatten sie geschrieben, werde der Transformationsprozess | |
vermutlich sehr lange dauern, "außer es käme zu einem katastrophalen und | |
katalytischen Moment – wie einem neuen Pearl Harbour." So ein Moment war | |
der 11. September – und es ist kein Wunder, dass die Gemeinde jener, die | |
9/11 auch sieben Jahre später für einen "hausgemachten" Anschlag halten, | |
nicht kleiner geworden ist. | |
Afghanistan-Krieg, Irakkrieg, Patriot Act, Guantánamo, Abu Ghraib, geheime | |
CIA-Gefängnisse – das sind die Begriffe, die Bushs Präsidentschaft nach | |
9/11 geprägt haben. Innenpolitisch ist der Haushaltsüberschuss der | |
Clintonjahre in ein Rekorddefizit verwandelt. Die wichtigsten Reformthemen, | |
insbesondere die Gesundheitsreform, sind genauso liegengeblieben wie eine | |
veränderte Energiepolitik. Stattdessen: Ein kultureller Schwenk des Landes | |
nach rechts, unterstützt durch eine Regierung, die staatliche | |
Sozialprogramme über religiöse Organisationen abwickeln ließ. Die Finanz- | |
und Wirtschaftskrise, die mit dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes | |
begann und Zehntausende in die Zwangsversteigerungen getrieben und aus | |
ihren Häusern geworfen hat, die Zeltstädte, die daraus entstanden sind, | |
sind nur die bildhaftesten Ausdrücke der kriselnden Mittelschicht. Die | |
US-Amerikaner sind verunsichert. | |
Dabei haben ja nicht alle verloren, im Gegenteil: In nahezu entwaffnend | |
offener Weise haben Bush und insbesondere Vizepräsident Dick Cheney – der | |
mächtigste zweite Mann in der Geschichte der USA – ihre eigenen Günstlinge | |
profitieren lassen. Cheneys ehemaliges Unternehmen Halliburton etwa hat | |
durch den Irakkrieg Milliarden verdient. Wie der gesamte | |
militärisch-industrielle Komplex der USA ist das Unternehmen allen Krisen | |
entronnen. | |
Immerhin ein Gutes bleibt an der Ära Bush: Sie war ein Weckruf. Der | |
radikale Versuch, zentrale Werte des US-amerikanischen Selbstverständnisses | |
vollständig umzudefinieren, kann als gescheitert gelten. Bush hat dafür | |
gesorgt, dass die USA wieder über sich selbst nachdenken. Der Aufstieg | |
eines Barack Obama ist ohne die Amtszeit Bush nicht zu erklären. Die vielen | |
Hunderttausend Toten des Irakkrieges macht das nicht wieder lebendig. Aber | |
es gibt immerhin die Chance, dass der Tief- zu einem Wendepunkt wird. Das | |
wäre doch was für die Geschichtsbücher. | |
4 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |