# taz.de -- Montagsinterview: "Dieser Hass hat mich erschreckt" | |
> Die Regisseurin Gudrun Herrbold hat ein Theaterprojekt mit Spielern des | |
> Fussballvereins BFC Dynamo inszeniert. Und dabei die Feindschaften zu | |
> anderen Vereinen kennengelernt. | |
taz: Frau Herrbold, Sie machen ein Theaterstück über den BFC Dynamo. Mal | |
ehrlich: Von welchem Fußballverein sind Sie eigentlich Fan? | |
Gudrun Herrbold: Von gar keinem. Ich bin in Leverkusen groß geworden. Für | |
mich waren Fußballfans, die ich aus dem nahe gelegenen Ruhrgebiet kannte, | |
eher Säufer und Prolls. Das war überhaupt nicht meine Welt. Bayer | |
Leverkusen hatte damals auch nicht so viel Erfolg wie heute. | |
Fußball bedeutet Ihnen nichts? | |
Ich bin eine typische "Ab-Europameisterschaft-aufwärts"-Guckerin. Die WM | |
letztes Jahr fand ich grandios. Mich interessieren vor allem diese | |
übersteigerten Emotionen, das Theatrale rund um den Fußball. Je größer das | |
Ereignis, desto eher passiert das. Ich komme eben aus dem Theaterbereich. | |
Bundesliga-Spiele finde ich todlangweilig. | |
Warum haben Sie sich für das Theaterstück dann ausgerechnet einen Verein | |
ausgesucht, der in der Oberliga kickt? | |
Weil es mir dabei um etwas anderes geht. Ich arbeite mit Jugendlichen auf | |
der Bühne, also mit Laien. Als klar war, dass ich eine Produktion für das | |
Theater an der Parkaue in Lichtenberg mache, habe ich überlegt: Was sind | |
das für Jugendliche, die dort leben? Ich habe bei Google "Lichtenberg" und | |
"Sport" eingegeben. Und kam so auf den BFC Dynamo. Ein spannender Fall, | |
dieser Verein zwischen Stasivergangenheit und Hooligangegenwart. | |
Also eher ein Zufallstreffer? | |
Ich wohne zwar seit 19 Jahren in Berlin, aber der BFC ist mir vorher noch | |
nicht untergekommen. Das war für mich ein völlig fremdes Terrain. Ich bin | |
dann erst mal zu einem Mike-Polley-Gedenkturnier gegangen. Das war ein | |
BFC-Fan, der Anfang der 90er in Leipzig von der Polizei erschossen wurde. | |
Einerseits haben sich meine Erwartungen voll erfüllt. Muskulöse Männer mit | |
Tätowierung und Glatze standen auf und um den Platz. Banner hingen herum | |
mit Aufschriften wie "Euer Hass macht uns stärker". Andererseits kommen zum | |
BFC auch Linke aus der ehemaligen Punk-Rock-Szene der DDR der 80er-Jahre. | |
Frauen und Kinder sitzen herum. Das hat auch was von einem Familienausflug. | |
Sie sind bei BFC-Spielen auch mehrmals in den Fanblock gegangen. | |
Das war dann schon weniger familiär. Im Fanblock stehen hauptsächlich | |
Männer. Die Stimmung ist aufgeladen, auch wegen der vielen Polizisten in | |
Kampfanzügen und mit Hundestaffeln. Auf jeweils zwei oder drei Fans kommt | |
ein Beamter. Eine gespenstische Atmosphäre. | |
Hatten Sie Angst? | |
Höchstens ein mulmiges Gefühl, aber die Neugier überwog. Ich war ja nicht | |
alleine. Wir sind mit mehreren Frauen aus dem Team da rein. Die Fans haben | |
natürlich mitgekriegt, dass wir mit dem Verein nichts zu tun haben. Es | |
kamen Kommentare wie: "Na ihr Nazi-Uschen". Die Fotografin wurde als | |
"Pressefotze" beschimpft. Ich wusste das nicht recht zu deuten. Ist das nur | |
eine Frotzelei, oder steckt da mehr dahinter? Zweimal sind wir vom Fanblock | |
auf die VIP-Tribüne gewechselt, weil wir die Lage am Spielende nicht | |
einschätzen konnten. | |
Sieht man unter den Fans viele Rechte? | |
Man erkennt schon eindeutige Symbole wie eine tätowierte 88 auf dem Hals - | |
zweimal der achte Buchstabe des Alphabets, das steht für Heil Hitler. Aber | |
vieles konnte ich nicht so leicht zuordnen. Ich dachte vorher, ich würde | |
die Codes verstehen. Aber da standen nicht nur Glatzen in Bomberjacken. Das | |
war alles viel diffuser. Es blieb nur so ein Gefühl, dass man mit den | |
meisten Leuten eigentlich nicht so richtig was zu tun haben will. | |
Sie mussten aber mit ihnen Kontakt aufnehmen. Sie wollten ja, dass einige | |
beim Theaterstück mitmachen. | |
Ja. Ich habe Fans angesprochen, aber die haben mich voll abblitzen lassen. | |
Die haben nicht mit mir geredet. Erst über private Kontakte habe ich zwei | |
ältere Fans noch aus Ostzeiten für die Produktion gewinnen können. Vom BFC | |
selbst sind mehrere Spieler aus der A- und B-Jugend auf der Bühne. Um die | |
geht es. Wir repräsentieren mit dem Stück also nicht den BFC Dynamo als | |
Ganzes. | |
Wie haben die jungen Spieler auf Sie, eine Frau, Westdeutsche, | |
Intellektuelle reagiert? | |
Ich intellektuell? Ich habe mein Germanistikstudium nach drei Wochen | |
abgebrochen | |
Sie sind auf jeden Fall ganz anders als die Leute aus dem BFC-Umfeld. | |
Darauf können wir uns einigen. Ich bin nicht greifbar für die, als Frau und | |
Nichtfan. Ich bin sozusagen das personifizierte Alien, ein irritierendes, | |
aber nicht provozierendes Gegenüber. Darin lag auch meine Chance. Die | |
Jugendlichen haben mitgemacht. | |
Die Fußballer erzählen auf der Bühne von ihrer Sicht auf den BFC. Spielt | |
die Vereinsgeschichte für sie noch eine Rolle? | |
Schon, wenn auch nicht direkt. Der BFC Dynamo war ja in der DDR als | |
Stasi-Verein sehr verhasst. Das hat damals eine Reihe von jungen Männern | |
angezogen, die es geil fanden, Fan von so einem Verein zu sein. Die wollten | |
provozieren, auch die eigenen Leute vom BFC. Da der Staat links war, | |
schrien sie rechte Parolen, um zu schockieren. Es gab auch einige, die ins | |
rechte politische Lager überwechselten und sich da organisierten. Das ist | |
der große Mythos des BFC, dass es dieses Fanpotenzial bis heute gibt, die | |
Nazi-Skin-Hools sozusagen. | |
Wie beeinflusst dieser Mythos die jungen Spieler, die bei Ihrem Stück | |
mitmachen? | |
Die werden ständig damit konfrontiert. Wenn sie zu Auswärtsspielen fahren, | |
hören sie: Ihr Scheißossis! Ihr Nazikinder! Glatzen! Einige von ihnen sagen | |
dann: Wenn ich im Westen beleidigt werde, bin ich erst recht stolz darauf, | |
ein Ostberliner zu sein. Das hat mich wirklich überrascht: Die sind alle | |
nach der Wende geboren. Trotzdem ist die Unterscheidung Ost und West für | |
sie unheimlich wichtig. | |
Früher war der FC Union der Hass-Gegner, heute sind es die Westvereine? | |
Es spitzt sich vor allem bei Spielen gegen Migrantenvereine zu. Das ist das | |
Riesenthema unter den Jugendlichen, nicht die Stasi-Vergangenheit oder die | |
Hooligans. Bei einem Spiel gegen SG Anadoluspor, einem türkischen Verein | |
aus Kreuzberg, kam es zum Beispiel zu einer Schlägerei auf dem Feld. Die | |
Partie musste abgebrochen werden. Davon haben mir die jungen Spieler | |
erzählt. Sie waren sehr aufgebracht. Dann fallen schon irritierende | |
Bemerkungen. Ich höre mir das an, aber habe manchmal schwer zu schlucken. | |
Die Jugendlichen sind ausländerfeindlich? | |
Beide Seiten, die "Ossis" und die "Ausländer", wie sie sich gegenseitig | |
nennen, sind schwer verfeindet. Diesen Hass zu spüren, das hat mich schon | |
sehr erschreckt. Die BFC-Spieler, die bei dem Stück mitmachen, gehen auf | |
das Gymnasium. Das sind nicht irgendwelche Prolls. Ich habe ein Gegenüber, | |
mit dem ich reden kann, das ich nicht von vornherein in eine Schublade | |
stecke, und trotzdem kommen dann irgendwann diese Anfeindungen. | |
Die Jugendliche spielen sich auf der Bühne selbst. Wie gehen Sie als | |
Verantwortliche mit solchen Äußerungen im Theaterstück um? | |
Wir wollen den Tretminen des Themas nicht einfach aus dem Weg gehen. Wir | |
wollen die Probleme benennen und die Jugendlichen zu Wort kommen lassen. | |
Das ist unser Konzept: Wenn ich mich auf Laien einlasse, muss ich sie auch | |
ernst nehmen. Selbst wenn es manchmal heikel ist. | |
Weil Sie ihnen eine Bühne geben? | |
Ja. Wir reden im Team sehr viel darüber. Betreiben wir eine Verharmlosung? | |
Die Jugendlichen machen ja ihre eigene Legendenbildung. Was sie sagen, ist | |
ihre subjektive Realität. Aber ich denke, man muss das ein Stück weit | |
aushalten, weil es das eben gibt. Es ist ja genau ihre Innenansicht, die | |
uns interessiert. Wie wächst man in so einem politisierten Umfeld auf? Wie | |
bilden sich da Identitäten? Wie positionieren sich die Jugendlichen? Für | |
mich ist vieles neu, ich kenne das aus meiner Jugend so nicht. | |
In was für einem Umfeld sind Sie groß geworden? | |
In sehr bürgerlichen Verhältnissen. Meine Eltern waren beide Künstler, alle | |
anderen aus unserem Viertel haben bei Bayer gearbeitet. Der Konzern ist die | |
Stadt. Es war ein sehr homogenes Umfeld mit eindeutigen, bürgerlichen | |
Regeln. Auch die Jugendliche vom BFC leben in geordneten Verhältnissen. Der | |
Unterschied ist, dass es bei ihnen diese heftigen Gegnerschaften gibt. | |
Die wollen Sie im Stück nun darstellen? | |
Die Jugendlichen erzählen davon, wir flankieren ihre Aussagen nur. Damit es | |
nicht zu einseitig wird, spielen wir zum Beispiel ein Interview mit den | |
Leuten von Anadoluspor ein. Da hört sich das alles ganz anders an. | |
Haben Sie schon mal bereut, dass Sie sich auf die Produktion eingelassen | |
haben? | |
Bauchschmerzen habe ich schon. Gerade jetzt, weil es nun rausgehen wird. | |
Ich bin heute Morgen mit dem Gedanken aufgewacht: Warum machst du nicht ein | |
Stück mit türkischen Migranten? Das wäre viel einfacher, weil politisch | |
korrekt. Da würden dir alle auf die Schulter klopfen. | |
Was haben Sie für sich mitgenommen aus der Produktion? | |
Unsereins geht ins Theater oder zu Lesungen, hat Migranten im | |
Freundeskreis, das ist meine Berliner Normalität, mein Alltag. Durch das | |
Theaterstück habe ich den Blickwinkel geändert. Und bin nachhaltig | |
erschrocken. Ich hatte nie Angst, bei der Recherche von einem Nazi | |
verprügelt zu werden. Aber ich habe jetzt Angst vor dem, was ich in dieser | |
Jugendkultur an latenten Ressentiments vorgefunden habe. | |
Heute Abend ist Premiere. Unter den Zuschauern werden bestimmt auch viele | |
BFC-Fans sein. Haben Sie Ordner besorgt? | |
Wir haben ein Sicherheitskonzept entworfen. Es werden keine Securitys am | |
Eingang stehen. Aber es gibt für den Fall der Fälle einen Wachschutz, der | |
schnell vor Ort sein kann. | |
Wenn alles vorbei ist: Werden Sie wieder mal zu einem BFC-Spiel gehen? | |
Ich muss sagen: Das Bedürfnis habe ich nicht. Zu einigen Leute werde ich | |
bestimmt Kontakt halten. Aber ins Stadion gehen? Das ist nicht der Ort, wo | |
ich sagen würde: Da kann ich mich entspannen und habe eine gute Zeit. Ich | |
bin fremd geblieben. | |
21 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |