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# taz.de -- Montagsinterview Alexander Hacke: "Ich wusste mit 14, dass ich Musi…
> Alexander Hacke spielt seit Anfang der 80er-Jahre bei der
> Experimentalband Einstürzende Neubauten. Jetzt hat der 42-Jährige eine
> audiovisuelle Interpretation des "Narrenschiffs" aufgenommen.
Bild: Lebenskünstler aus Überzeugung: "Neubauten"-Bassist Alexander Hacke
taz: Herr Hacke, sind Sie Künstler oder Lebenskünstler?
Alexander Hacke: Ich bin Lebenskünstler - notgedrungen. Seit der Wende ist
es in Berlin nicht mehr so einfach, sein täglich Brot mit der Musik zu
verdienen.
Nun sind Sie seit 1980 Gitarrist und Bassist der Experimentalband
Einstürzende Neubauten; Sie genießen weltweiten Respekt und müssten
eigentlich keine Geldsorgen haben. Wir stellen uns unter einem
Lebenskünstler einen Menschen vor, der von der Hand im Mund lebt. Was
verstehen Sie unter dem Begriff?
Für mich hat ein Lebenskünstler eine bestimmte Haltung: Man kann heute viel
Geld machen, wenn man sich verkauft - unter Preis und zum falschen Zweck.
Ich möchte das aber nicht, da ich mich selbst nicht mehr für glaubhaft
halten würde, und verzichte somit auf einen gewissen finanziellen
Wohlstand. Außerdem ist mir meine künstlerische Freiheit so wichtig, dass
ich bereit bin, dieses Opfer zu bringen.
Seit ein paar Jahren ist es so, dass Musiker nicht mehr wirklich von ihren
Platten leben können und deshalb für Werbung Musik machen, um Geld zu
verdienen. Kennen Sie andere Alternativen, wenn Sie solche Wege ablehnen?
Filmmusik zum Beispiel. Ich habe die Musik für Fatih Akins Film "Gegen die
Wand" produziert, schrieb den Score für den Uschi-Obermeier-Film "Das Wilde
Leben" und bin auch zurzeit mit mehreren Aufträgen dieser Art aus ganz
Europa beschäftigt.
Warum gerade Filmmusiken?
Mich fasziniert dabei das Zusammenwirken von Bildern und Musik. Beide haben
ihre eigene Aussage und erzeugen bestimmte Gefühle. Kombiniert man dann Ton
und Bild, entsteht ein drittes Wesen, das sich außerhalb der Kontrolle der
Schaffenden bewegt. Für den Dokumentarfilm "Crossing the Bridge", in dem es
um die Musikszene Istanbuls geht, stand ich dann auch vor der Kamera.
Gibt es ansonsten keinen Mittelweg zwischen Glaubwürdigkeit und
kommerziellen Erfolg?
Den gibt es bestimmt - und solange, bis ich ihn gefunden habe, suche ich
nach neuen künstlerischen Konzepten, mit denen ich meine Musik verbreiten
kann. Mit den Neubauten hatten wir uns das Supporter-Projekt ausgedacht,
mit dem wir uns in den direkten Dialog mit unseren Fans begaben, die unsere
Platten finanzierten und dafür Einblicke in die Studioarbeiten bekamen.
Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann eine andere Arbeit zu machen als
die künstlerische?
Nein. Ich tue das, was ich tue, weil ich es am besten kann. Das ist auch
der Grund, warum ich Musik mache: Ich kann das sehr gut. Insofern ist es
auch meine Pflicht, das, was ich am besten kann, zu meiner Profession zu
machen.
Den Einstürzenden Neubauten schlossen Sie sich im Alter von 14 Jahren an
und brachen sogar die Schule ab, um ihre ganze Aufmerksamkeit der Musik und
der Band zu widmen. Was führte Sie zu der Entscheidung?
Ich wusste, dass ich Musiker werden wollte. Nach der achten Klasse habe ich
mein Schließfach an der Gesamtschule ausgeräumt und bin mit den
Einstürzenden Neubauten auf Deutschlandtour gefahren.
Ihre Eltern werden damit sicherlich nicht einverstanden gewesen sein?
Meine Eltern waren froh, dass wenigstens ich wusste, was ich mit meinem
Leben machen will. Die hatten genug Probleme mit sich selbst, ließen sich
scheiden und so weiter. Um das Sorgerecht nicht zu verlieren, mussten sie
ja auch so tun, als wüssten sie nicht, wo ich bin.
Mit dem Mauerfall hat sich in Berlin einiges geändert. Vermissen Sie das
Westberliner Leben und ihre Jugend?
Nein. Ich bin glücklich, dass ich aus dem Alter raus bin. Ich habe meine
Teenagerzeiten und meine frühen 20er-Jahre in dieser Stadt verbracht. Ich
bin froh, dass ich mich nicht mehr mit den Verwirrungen, mit denen man sich
in diesem Alter auseinandersetzt, abgeben muss. Es war zwar eine schöne
Zeit, aber ich muss sie nicht wiederhaben.
Wie sah das Leben der Frontstadt Westberlin damals aus?
Die Stadt war eine Insel, ein Dorf, eine in sich geschlossene Einheit. Die
Szene war zudem extrem elitär und gut überschaubar. Es gab außerdem noch
besetzte Häuser, und der Ostteil der Stadt war vielen unbekannt.
Ihnen auch?
Ja. Ich hatte zwar Verwandte in Ostberlin. Aber der Aufwand, der für mich
als Westberliner mit einem Ausflug in den Ostteil zusammenhing, nahm mir
die Lust, öfter dorthin zu fahren. Daher hat sich Ostberlin größtenteils in
meinen Träumen abgespielt. Der U-Bahnhof Friedrichstraße und die imaginären
Gänge dahinter waren zum Beispiel so ein Ort, an dem ich im Geist wandelte.
Nach dem Mauerfall besuchte ich den Osten der Stadt vor allem, wenn ich von
Tourneen wiederkam und keine Lust hatte auf meine gewohnte Umgebung. Ein
paar Stationen mit der U-Bahn genügten, um meine Reise fortzusetzen.
Sie wurden 1965 in Neukölln geboren und sind dort aufgewachsen. Sie kennen
die Stadt schon sehr lange. Inwiefern hat sich das Lebensgefühl in Berlin
für Sie verändert?
Die Stadt ist mir fremd geworden. Anfangs war ich sehr auf das Lebensgefühl
hier fixiert, aber schon die 90er-Jahre haben mich nicht sonderlich
interessiert, denn zu Technomusik hatte ich keinen besonderen Zugang, und
Berlin ist inzwischen eine Businessmetropole und Regierungsstadt.
Schon überlegt, wegzuziehen?
Ja. Zwar werde ich immer gerne hierher zurückkehren, aber ich bin der
Überzeugung, dass man einmal im Leben die Halbkugel gewechselt haben und
emmigriert sein sollte.
Für ihr jüngstes Projekt, die DVD "Ship of Fools", haben Sie sich ein
Konzept ausgedacht, was diese attraktiv macht. Was genau ist das Besondere?
Die DVD ist das Making-of eines neuen audiovisuellen Bühnenprogramms, das
meine Frau, die Künstlerin Danielle de Picciotto, und ich zusammen
initiiert haben. Der Film besteht aus Aufnahmen der Uraufführung im
Radialsystem im letzten Dezember; in Interviews erklären wir, was es mit
dem Programm auf sich hat. Dazu gibt es eine CD mit Studioversionen der
Musik.
Worum dreht es sich bei "Ship of Fools"?
Das Stück basiert auf dem Buch "Das Narrenschiff" von Sebastian Brant, das
er 1494 schrieb. Im Mittelalter war es Brauch, dass alle Außenseiter der
Gesellschaft, also Verrückte, Kleinkriminelle oder überhaupt Leute, die
nicht reingepasst haben, auf Schiffe gebannt und um die Küsten geschifft
wurden, um sie zu isolieren. Brandt hat die Gesellschaft damals mit den
Insassen solcher Schiffen verglichen und an die 100 Charaktere von Narren
aufgeschrieben. Davon haben Danielle und ich elf Kapitel ausgesucht und sie
mit unterschiedlichen Musiken, Visuals und Herangehensweisen bearbeitet.
Was hat Sie, außer dem Buch, noch inspiriert?
Die Reibung, die entsteht, wenn möglichst viele unterschiedliche Stilmittel
aufeinanderprallen. Puristische Mittel finden wir uninteressant. Wir sind
gegen jede Ghettoisierung der Formen, Genres und Stile.
Nun zieht sich diese Vorliebe für viele Genres durch Ihr Leben. Hat Sie
musikalisch immer schon alles interessiert?
Ich entwickle mich ja weiter. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, das
kann ich und das kann ich nicht und das sind die Werkzeuge, die ich
einsetze. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Werkzeugen, Bildern,
Tönen, Herangehensweisen, und ich würde mich selbst zu sehr beschneiden,
wenn ich mich jetzt auf einen Stil festlegen müsste. Dafür gibt es noch zu
viel zu entdecken.
Was haben Sie denn für "Ship of Fools" entdeckt?
Bei "Ship of Fools" geht es im Vergleich zu einem Konzert um das
Zusammenspiel verschiedener Kunstformen. Somit hat das Projekt einen
audio-visuellen Charakter. Musik und Bild ergeben hier eine Einheit. Das
finde ich interessanter als "nur" Musik zu machen. Was wir da geschaffen
haben, haben wir noch nie in dieser Perfektion hingekriegt.
Denken sie, dass Sie Insasse jenes Schiffes gewesen wären?
Ja, auf jeden Fall.
28 Jul 2008
## AUTOREN
Lukas Dubro
Thomas Winkler
## TAGS
Postpunk
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