# taz.de -- Monogam oder polyamor?: Ich will freie Liebe! | |
> Aron träumte von einer offenen Beziehung, wollte aber Mina für sich | |
> allein haben. Mina dagegen lebte Polyamorie. Nun treffen sie sich wieder. | |
Bild: Aron will herausfinden, wie „freie Liebe“ funktioniert | |
Von [1][Aron Boks] | |
[2][taz FUTURZWEI], 22.09.22 | Vor Kurzem habe ich in einem Text davon | |
erzählt, dass ich mir eine offene Beziehung prinzipiell vorstellen könnte. | |
Weil das einfach gut klang. | |
Ich fühlte mich aber sofort wie damals, als ich vor sechs Jahren aus dem | |
Harz nach Berlin gezogen bin und mich in Windeseile und aus Prinzip von | |
allen bisher gekannten Konventionen befreien wollte. Das bedeutete, links | |
zu wählen, Damenhosen zu kaufen und mich für die „freie Liebe” zu | |
interessieren, die aber sehr bald Mina hieß. Sie erklärte mir dieses | |
Konzept vor Jahren, als ich mich gerade in sie und nur sie verliebt hatte | |
und dann bemerkte, damit nicht der Einzige zu sein. | |
„Sieh das doch mal als Vorteil!”, hatte sie gesagt. „Wir können uns dann | |
fragen, wie es mit wem anders war, anstatt eifersüchtig zu sein.” | |
„Klingt super!”, hatte ich ihr geantwortet. | |
Und das war es ja auch. Bis sie dann wirklich von jemand anderem erzählte, | |
ich eifersüchtig wurde und wir uns entschieden, Freunde zu sein. Und wir | |
wurden solche, die sich monate- oder jahrelang nicht sehen, plötzlich im | |
Leben des anderen auftauchen und genau dort weiterreden, wo sie aufgehört | |
haben. Nur nicht beim Thema „Beziehungen”. | |
Bis heute nicht. | |
Auch wenn es viel zu erzählen gäbe: Immerhin bin ich seit fast einem Jahr | |
mit Elena zusammen – und Mina nennt Knut seit einiger Zeit ihren Freund. | |
Das ist neu für sie. Aber natürlich ist sie trotzdem in einer offenen | |
Beziehung. Im Gegensatz zu vielen meiner Freunde sprach sie nicht nur von | |
Polyamorie – sie lebte sie auch konsequent aus. Es war mir immer peinlich, | |
mit ihr ernsthaft über meine Beziehung zu reden, schließlich fühlte ich | |
mich fast provinziell spießig im Gegensatz zu ihr und ihrem progressiven | |
Freiheitsverständnis. Also vermied ich das Gespräch bis zum heutigen Tag, | |
an dem sie anrief, um sich mit mir zu verabreden. | |
## Emotional entfalten | |
Den Weg zu ihrer Wohnung in Kreuzberg gehe ich zu Fuß. Entlang des Kanals, | |
vorbei an Kaffeeständen und Menschen, die in der Septembersonne am Ufer mit | |
geschlossenen Augen und Kaffee in Einmachgläsern so lange und konzentriert | |
dasitzen, als würden sie damit noch schnell Spätsommerwärme auf Vorrat | |
speichern. | |
Wie Mina und ich es früher oft getan haben, wenn wir hier über fast alles | |
diskutierten, was im Leben der anderen Person so abging. | |
Sicher werden wir gleich bei ihr zum ersten Mal über unsere jeweiligen | |
Beziehungen reden. Und eigentlich ist das doch ein super Thema. Trotzdem | |
laufe ich gerade zu mechanisch, ohne einen Blick an die Kreuzberger | |
Leichtigkeit zu verschwenden, zu ihrer Wohnung. | |
Für mich ist es das erste Mal, dass ich mich einem Menschen gegenüber | |
dermaßen romantisch hingezogen fühle in einer Beziehung. Und ich kann | |
nichts dagegen tun, aber die gegenseitig vereinbarte Gewissheit, diese zu | |
zweit zu führen, gibt mir Sicherheit. Anders kann ich mich nicht voll | |
emotional entfalten, habe ich mir selbst immer gesagt. | |
## „Du bist noch nicht so weit“ | |
Natürlich kann man das romantisch nennen, denke ich. Oder besitzergreifend. | |
Wie dieser eine WG-Küchenkreis, den ich in meiner Anfangszeit in Berlin | |
kennenlernte und bei dem man sich mit zwei Aussagen als „noch nicht so | |
weit“ outete: | |
1. Ich bin ziemlich sicher hetero. | |
2. Ich will keine offene Beziehung. | |
Ich bin mir bei Punkt 1 vielleicht wirklich nicht so richtig sicher. Und es | |
gibt sicher schöne und erfüllende polyamore Beziehungen. Aber die, die mir | |
damals attestierten, „noch nicht so weit“ zu sein, reagierten auch schon | |
allergisch, wenn ich sie gezwungenermaßen früh fragte, ob ich mich um | |
Gästeliste für eine gemeinsame Party kümmern sollte. Immer musste alles | |
locker sein und auf sie zukommen. Und dann stand ich drei Stunden in der | |
Schlange vor dem Club. | |
Mina öffnet die Tür. | |
„Welcome back!”, sagt sie fröhlich und umarmt mich. | |
Wenig später sitzen wir auf den Holzpaletten in ihrem Wohnzimmer. Wie immer | |
gibt es Kaffee in überdimensional großen Bechern, wir sprechen über das | |
Schreiben, ihr Philosophiestudium und umschiffen das Thema. | |
## Freiheit definieren | |
„Also äh … in letzter Zeit habe ich viel über damals und diese freie Liebe | |
nachgedacht“, sage ich schließlich. | |
„Mich stört dieser Begriff”, sagt sie. „Was ist denn wirklich frei und w… | |
ist dann unfrei … Monogamie? Das sehe ich anders.” | |
„Hä, warum das denn jetzt?”, frage ich. | |
„Dieser ganze Freiheitswert wird in unserer Generation irgendwie | |
überstrapaziert”, sagt sie. „Und inzwischen glaube ich, dass diese von | |
vielen so genannte ‚freie Liebe‘ eigentlich von unfreien Subjekten | |
eingegangen wird.” | |
Ich verdrehe die Augen. „Subjekte“, denke ich. Was soll das | |
Drumherumgerede? | |
„Ja, ich weiß”, sage ich schnell. „Damals habe ich mir nur einreden woll… | |
ich wäre so frei wie du.” | |
„Nein, ich meine damit auch mich. Damals. Auch ich war unfrei. Allein, wie | |
unentspannt ich reagiert hatte, als du mir gegenüber von Verliebtheit | |
gesprochen hast … Das hat mich damals so gestört, kannst du dich erinnern? | |
Das war …” | |
„Ich kann mich gut daran erinnern”, unterbreche ich sie. | |
„Ich habe dann einfach ein Beziehungskonzept für dich und mich | |
vorausgesetzt und ‚frei‘ genannt, ohne diese Freiheit mit dir zu | |
besprechen. Ich habe jetzt aber gelernt, wie wichtig das ist“, sagt sie. | |
„Erst wenn es darum geht, Freiheit gemeinsam zu definieren, wird es doch | |
erst richtig romantisch.“ | |
## Liebe und Spontaneität | |
Später sitzen wir auf ihrem Fensterbrett und rauchen. Ich denke an die | |
Personen aus dem WG-Kreis von früher. In einem WhatsApp Chat von vor vier | |
Jahren wollen wir noch immer „spontan“ entscheiden, wann und wo wir uns | |
Freitag treffen wollen. Aber Mina und ich sind hier und während wir reden, | |
verwandelt sich meine anfängliche Verkrampfung immer mehr in Aufregung. | |
Eine die einsetzt, wenn man eine Freundin wiederfindet und erzählen kann | |
was man erlebt hat – wie „es“ war. | |
Mina erzählt, dass ihre Beziehung natürlich auch Umstellung abverlangt und | |
zeigt auf eine Erinnerungsnotiz an ihrer Wand. Mit Knut Zeit verbringen!, | |
steht dort. Ich erzähle davon, dass ich mit Elena zum ersten Mal seit | |
meinem Umzug nach Berlin das Gefühl habe, mich einer Person komplett zeigen | |
zu können, und Mina beginnt zu lächeln. | |
„Ja, und genau das sehe ich als frei an!“, sagt sie nach einer Weile. | |
„Darauf müssen zwei Personen eigentlich am meisten achten. Und nicht, ob | |
sie sich poly oder mono nennen.“ | |
Vermutlich ging es die ganze Zeit darum. | |
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der [3][taz Panter | |
Stiftung] gefördert. | |
22 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Aron Boks | |
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