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# taz.de -- Mobilität in der Jugend: "Ich war stolz auf mein Moped"
> Jugendliche sollen künftig schon mit 15 Jahren einen Moped-Führerschein
> machen können. Wie in der DDR! Ein Erfahrungsbericht.
Bild: "Sprung an Lebensqualität": eine "Schwalbe", Baujahr 1965.
Mit 15 Jahren habe ich sie mir gekauft und gefahren: eine Simson 51 Enduro,
kurz S 51, produziert im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk "Ernst Thälmann"
in Suhl. Sie war dunkelgrün, hatte zwei Sitze und vier Gänge, und sie
schaffte bis zu 65 Kilometer pro Stunde, obwohl ihre offizielle
Höchstgeschwindigkeit bei 60 Kilometer pro Stunde lag. Mensch, war ich
stolz auf dieses Moped!
Finanziert habe ich es von meinen Geldgeschenken zur Jugendweihe und
eigenen Verdiensten durch Ferienarbeit - zum Beispiel als
Plastekistenwäscher in einer Fleischfabrik und als Blumenkohlernter im
Oderbruch im östlichen Brandenburg. Beides, die Jugendweihegeschenke und
die Ferienarbeit, waren damals in den 1980er Jahren in der DDR vollkommen
üblich; und das Moped gab es ohne lange Wartezeit einfach in einem Laden in
der Kreisstadt zu kaufen. Für mich, auf einem Dorf in der Nähe Berlins
aufgewachsen, bedeutete das Fahrzeug einen ungemeinen Sprung an
Lebensqualität und Freiheit, weil es meinen jugendlichen Aktionsradius
deutlich erweiterte.
Von der DDR lernen, heißt siegen lernen, denkt sich nun offenbar auch die
schwarz-gelbe Regierungskoalition. Sie will das Mindestalter für eine
Mopedfahrerlaubnis von 16 auf 15 Jahre senken, wie ein Beschluss des
Bundestagsverkehrsausschusses vorsieht; allerdings dürfen die Gefährte
nicht schneller 45 Kilometer pro Stunde schnell sein, sind also kaum
flotter als ein Elektrofahrrad.
Begründet wird die Maßnahme damit, dass Jugendliche auf dem Land dadurch
mobiler sein könnten. Nebenbei geht es aber auch darum, den Absatz der
zuletzt kriselnden Motorradindustrie anzukurbeln. Immerhin forderte der
Industrieverband Motorrad, der Hersteller und Importeure von motorisierten
Zweirädern vertritt, bereits im Mai, das Mindestalter für den
Mopedführerschein herabzusetzen.
An meine Unterrichtsstunden für die Mopedfahrerlaubnis kann ich mich noch
gut erinnern. Bei Wind und Wetter bin ich zum Bahnhof geradelt, um in die
Fahrschule in der Kreisstadt zu gelangen. Nie war ich zu spät, und alle
Lektionen habe ich mehrfach gründlich gelernt - und die Prüfung im ersten
Anlauf bestanden. Wenig später hatte ich dann meine eigene S 51. Natürlich
bin ich nicht gleich losgerast, das fabrikneue Gefährt musste behutsam
eingefahren werden - und mit Putzen und Pflegen nach jeder Fahrt durch eine
Pfütze verwandte ich zu Beginn auch mehr Zeit als mit dem eigentlichen
Fahren.
Nach und nach erweiterte sich mein Aktionsradius. Statt auf mein eher
überschaubares Heimatdorf konnte ich mich nun in zwei, fünf oder zehn
Kilometer entfernte größere Nachbarorte orientieren, die etwas weltoffener
als mein Heimatort waren - heute befindet sich dort ein als links geltendes
Gymnasium. Plötzlich, zum Beispiel im Freibad, konnte ich dort viel mehr
Gleichaltrige, vor allem natürlich Mädchen, kennenlernen, als ich mir
jemals vorher erträumen konnte - und ich konnte sie auch problemlos zu
Hause besuchen oder zu mir nach Hause und zurückbringen. Mehrfach an einem
Tag hin und her zu fahren, war kein Problem mehr - mit einem Fahrrad wäre
das nicht gegangen. Alles dies ließ sich an einem Nachmittag erledigen:
Freunde und Freundinnen besuchen, Hausaufgaben machen, zum Sport fahren,
pünktlich beim Familienabendbrot sein.
Mein erster Kuss hatte nicht wenig mit dem Moped zu tun: Ich hatte sie zu
Hause abgeholt, und wir sind zu einer romantischen Brücke an einem Bach im
Wald gefahren. Dort knutschten wir - rund acht Kilometer von meinem Zuhause
entfernt.
Später half mir meine S 51 auch beruflich: Nach der zehnten Klasse
wechselte ich, wie für Abiturienten zu DDR-Zeiten üblich, auf die
Erweiterte Oberschule in der Kreisstadt. Wenn ich morgens mal den Zug
verpasste, um dorthin zu gelangen, konnte ich einfach mit dem Moped
weiterfahren. Und einmal pro Woche leistete ich im Unterrichtsfach
"Praktische Arbeit" Hilfsarbeiten in einem Krankenhaus im Nachbarort - auch
dort ging es flotter hin als mit dem Fahrrad.
Einen nennenswerten Unfall habe ich nie gebaut, obwohl ich bei jedem Wetter
- selbst bei Schnee - gefahren bin. Erinnern kann ich mich an eine
kritische Situation im Sommer auf dem Weg zu einem See: Da bin ich ziemlich
schnell über einen schmalen Waldweg geheizt, fast einen
Geschwindigkeitsrausch bekommend. Glücklicherweise ist dabei nichts
passiert, aber hinterher konnte ich ein paar Nächte kaum schlafen. So
gerast bin ich nie wieder. Als ich kurz nach der Schule zu Hause auszog und
nach Berlin ging, brauchte ich meine S 51 nicht mehr. Sie, die meine
Jugendjahre verschönert hatte, blieb auf dem Dorf.
Ob der Mopedführerschein mit 15 demnächst wirklich kommt, steht allerdings
noch in den Sternen. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat sich
die weit verbreitete Kritik an diesen Plänen zu Herzen genommen und will
noch einmal gründlich prüfen. Hauptsorge der Kritiker ist, dass die Zahl
von Unfällen stark steigen könnte, wenn bereits 15-Jährige mit solchen
Gefährten in den Straßenverkehr gelassen werden - so wie in Österreich
geschehen. Zudem gelten Jugendliche erst ab 16 Jahren, mit dem Abklingen
der Pubertät, als nicht mehr so extrem risikoorientiert.
Sollen Jugendliche also schon mit 15 Jahren ein Moped fahren dürfen - zum
Beispiel einen kleinen, flotten Elektroroller? Ehrlich gesagt, ich weiß es
nicht. Einerseits gibt es genügend Anlässe, bei denen man Kinder und
Jugendliche vor sich selbst schützen muss; vermutlich gehört frühzeitiges
Mopedfahren dazu. Andererseits existiert im heutigen Deutschland, in dem
Kinder selten geworden sind, die Tendenz, den Nachwuchs überzubehüten.
Statt nachmittags frei in Parks oder Wäldern herumzustromern, werden Kinder
häufig von der Musikschule zum Sportverein gekarrt, wo Erwachsene sie
betreuen - oder sie hängen gleich vor dem Fernseher oder dem Computer ab.
Wie sollen sie da ihre Grenzen spüren und lernen, Verantwortung für sich
und andere zu übernehmen - kurzum: eine selbstbewusste und soziale
Persönlichkeit zu werden?
14 Jul 2010
## AUTOREN
Richard Rother
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