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# taz.de -- Mehr Familie für die mit viel Geld
> Über ein neues Landesaufnahmeprogramm dürfen 100 Syrer*innen nach
> Bremen nachziehen – solange ihre Angehörigen für ihren Unterhalt bürgen
> können. Für den Flüchtlingsrat kommt das Programm vor allem zu spät
Bild: Die Forderung nach Familiennachzug gibt es schon lange
Von Lotta Drügemöller
100 Syrer*innen dürfen neu nach Bremen kommen – zumindest wenn sie hier
Verwandte haben, die für ihren Unterhalt sorgen können. Die entsprechende
Landesaufnahmeanordnung, die der Senat im November verabschiedet hatte,
wurde jetzt vom Bundesinnenministerium bewilligt.
Die Hoffnung, die auf dem Programm liegt, ist bei einigen Betroffenen groß:
„Wir haben im Ressort schon herzergreifende Mails bekommen, von Menschen,
die gerne ihre Geschwister nachholen wollen“, berichtet Rose
Gerdts-Schiffler, Sprecherin von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Die
Bedingungen, die an die Anordnung geknüpft sind, sind aber vermutlich nicht
für alle von ihnen zu erfüllen.
Über den regulären Familiennachzug geht das Programm hinaus – jener findet
nur unter den eng gesetzten Grenzen der sogenannten „Kernfamilie“ statt;
unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge können dabei mit Glück ihre Eltern
ins Land holen, solange sie tatsächlich minderjährig sind.
Mit dem Bremer Aufnahmeprogramm werden die Regeln ausgeweitet: Auch ehemals
minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge, die volljährig, aber noch nicht
über 27 sind, können nun ihre Eltern oder auch ein erwachsenes Geschwister
nachholen und Erwachsene dürfen ihre Kinder auch dann noch aus Syrien
einreisen lassen, wenn diese über 18 Jahre alt sind.
Für viele syrische Geflüchtete dürfte das Programm dennoch nicht infrage
kommen: Die Syrer*innen müssen fünf Jahre lang für den Unterhalt ihrer
Familienangehörigen bürgen. Ein einfaches Versprechen reicht dabei nicht –
es muss auch „glaubhaft“ sein, die Bürgenden müssen also über ein
ausreichend hohes Einkommen oder Vermögen verfügen, um ihre Verwandten im
Notfall tatsächlich durchbringen zu können.
Die Nachgereisten haben keinen Anspruch auf staatliche Leistungen – auch
dann nicht, wenn sie selbst Asyl bewilligt bekommen. So weit, so
Bundesgesetz. Immerhin die Kosten für die Gesundheitsvorsorge will Bremen
für die Betroffenen mit dem neuen Programm übernehmen: Menschen aus dem
Familiennachzug werden in der Regel nicht über die Krankenkassen
versichert. Ohne die Übernahme durch das Land müssten die Bürg*innen also
auch das Risiko von individuell hohen Behandlungskosten tragen.
Bis auf diesen Punkt ist das Programm nicht wirklich neu – nur neu
aufgelegt. Bremen hatte ein ähnliches Verfahren bereits 2013 praktiziert,
so wie viele andere Bundesländer. 2015 sollte die „Aufnahmeanordnung“
eigentlich verlängert werden – doch das Bundesinnenministerium wollte nur
zustimmen, wenn Bremen quasi als zweiter Bürge hinter den Verwandten
fungierte. Für eventuell anfallende spätere Kosten müsse das Land Geld im
Haushalt einplanen. Dieses finanzielle Risiko, so schreibt es der Senat
selbst, war Bremen dann doch zu groß – eine Verlängerung gab es nicht.
Andere Länder, Berlin, Hamburg, Brandenburg, Schleswig-Holstein und
Thüringen, führten ihre Landesaufnahmeprogramme trotzdem fort.
Der Flüchtlingsrat findet deshalb auch kein Lob für Bremen: zu spät, zu
wenig, zu willkürlich, lautet das Urteil hier. „Das Innenressort hat über
Jahre hinweg angekündigt, wieder ein Landesaufnahmeprogramm einzuführen“,
so Sprecherin Gundula Oerter. „Ewig blieb es bei leeren Versprechungen –
während der Krieg in Syrien immer weitergeht.“
Auch die Begrenzung auf 100 Menschen kritisiert Oerter. Diese sei
„willkürlich festgesetzt“. Das Innenressort gibt indes durchaus einen Grund
für die Beschränkung an: „Unsere Kassen würden zu sehr strapaziert“, so
Gerdts-Schiffler. „Das, was wir jetzt machen, ist einfach ein Kompromiss
zwischen dem, was wünschenswert ist, und dem, was möglich ist.“ Die
zusätzliche Gesundheitsversorgung für 100 Menschen sei nicht zu
unterschätzen, meint auch Bernd Schneider, Sprecher von Sozialsenatorin
Anja Stahmann (Grüne). Wie hoch genau, könne man dabei schwer einschätzen –
eben weil es keine Krankenversicherung für die Zugezogenen gebe.
Ein Argument, das für Oerter nicht zieht: „Dafür lässt man dann eher
Menschen in Syrien sterben.“
8 Apr 2021
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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