# taz.de -- Marilyn Monroes private Notizen: Begabt, geliebt, verzweifelt | |
> Vor 48 Jahren starb Marylin Monroe, ihr Leben ist Kult geblieben. Als | |
> Sensation gilt der Fund ihrer privaten Notizen. Sie zeigen eine Frau, die | |
> ihrem Image gern entkommen wäre. | |
Bild: Zart hinter all der Schminke: Hollywoodstar Marilyn Monroe. | |
Vielleicht hätte sie einfach wagen sollen, Dichterin zu werden. Hätte ihre | |
Ideen, ihre aufgearbeiteten Erfahrungen und ihr Gefühl für Sprache dem | |
Literaturbetrieb mitgeben können, ihren auffallend bezaubernden Körper | |
hätte sie eventuell gar nicht einsetzen müssen. | |
Denn Marilyn, das weiß jeder, hat den Bohei, der mit ihrer öffentlichen | |
Person, der dummen Sexbombe, getrieben wurde, nicht überlebt: Vor 48 Jahren | |
starb die vielseitige Schauspielerin mit 36 Jahren an einer Überdosis | |
Drogen, von denen immer noch niemand genau sagen kann, wer sie wie und | |
warum verabreicht hat. Der Kult um sie hat angehalten. Eine Kiste mit | |
privaten Aufzeichnungen, die angeblich vor zwei Jahren von der Ehefrau | |
ihres Schauspiellehrers Lee Strasberg auf dem Dachboden entdeckt wurde, | |
wird dieser Tage als Buch und Vermächtnis flächendeckend auf der ganzen | |
Welt veröffentlicht. | |
Marilyns Nachlass ist in der Tat faszinierend: Wie eine Getriebene scheint | |
hier eine zweifelnde, oft unglückliche Frau ihre Gefühle und Gedanken | |
protokolliert zu haben. Viele der Gedichte und Geschichtensplitter, die sie | |
mit Bleistiften auf Hotelbriefpapier und Zetteln notierte, klingen nach | |
automatischem Schreiben: Marilyn suchte den Kontakt zum Unterbewusstsein. | |
Ihre bruchstückhaften Texte sind oft erratisch, manchmal fast | |
surrealistisch, aber meist von großer Poesie. "Leben - ich bin von deiner | |
zweierlei Richtung", schreibt sie auf einem der undatierten losen Blätter, | |
die im Buch als Faksimiles und in englischer und deutsch übersetzter | |
Reinschrift zu finden sind, "irgendwie kopfüber hängend meistens doch stark | |
wie Spinnweben im Wind". In einem Notizbuch Anfang der 50er fasst sie ihre | |
starken Versagensängste zusammen, die sie ihr ganzes Leben begleiteten: | |
"Angst vor neuem Rollentext. Wenn ich ihn mir nun nicht merken kann. Man | |
wird mich schlecht finden oder auslachen, verhöhnen, sagen, ich kann | |
nichts." | |
Manche der Notizen sind Erinnerungshilfen: Sie beschreibt, wie sie mit | |
einem Greyhoundbus in Gesellschaft von italienischen Fischern nach Salinas | |
fährt, "60 derart charmante Herren sind mir noch nie begegnet". Aber | |
meistens scheint sie zum Stift gegriffen zu haben, wenn sich die schwarze | |
Wolke näherte. Marilyn, die sich in einem Brief an einen Freund scherzhaft | |
"ehrenwertes Mitglied der anonymen Borderliner" nennt, erfüllt die | |
Kriterien der Erkrankung vorbildlich: Diese Persönlichkeitsstörung wird | |
durch ein instabiles Selbstbild, schwankende Stimmungen und Depressionen | |
gekennzeichnet. Marilyn durchlief eine jahrelange Psychoanalyse. Sie | |
drängte danach, ihre Kindheit aufzuarbeiten, die sie fast ganz mutterlos in | |
wechselnden Familien verbrachte, frühe sexuelle Belästigungen erfuhr, früh | |
heiratete, um endlich rauszukommen. Schon in ihren ersten tagebuchartigen | |
Aufzeichnungen, als 18-jährige Ehefrau, analysiert Marilyn nüchtern die | |
Beziehung: "ehrlich gesagt wäre ich nie gleich bei ihm geblieben, wäre da | |
nicht seine Liebe zur klassischen Musik gewesen, sein Intellekt, der mehr | |
sein wollte (…) In dieser Phase kamen mir große Zweifel, ob dieser junge | |
Mann von 21 Jahren meinem unbewussten Bild von einem Traummann nicht | |
unwirklich wäre." | |
Unterstrichen durch wie üblich wunderschöne Fotos, die sie wissbegierig mit | |
Büchern von Heine, Joyce, Ehemann Arthur Miller zeigen, bleibt der starke | |
Eindruck, dass diese schlaue und begabte Frau tatsächlich verzweifelt | |
versuchte, das Bild, das sie auf Anleitung der Studiobosse und | |
frauenverachtenden Regisseure in der prüden Stimmung der 50er und frühen | |
60er Jahre evozierte, zu ändern. Sie war immer viel mehr als ein kurviger, | |
blonder Komödienstar mit Drogenproblem, der sich keine Texte merken konnte. | |
Nur liebte man sie leider genau dafür. | |
8 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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