# taz.de -- Maria im Solarium | |
> Profis und Amateure auf Augenhöhe: Die Mitglieder des Museums für | |
> Photographie in Braunschweig stellen aus, was sie im Verlauf des Jahres | |
> fotografisch erarbeitet haben | |
Bild: Jan Gähler verknüpft Karstadt und Gewandhaus in Braunschweig fotografis… | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
Folgte man einem Aufsatz von John Berger (1926–2017), den er 1968 | |
verfasste, dann ist Fotografie keine Kunst. Damals zeigte noch kaum ein | |
Museum Interesse an diesem Medium – für den britischen Schriftsteller und | |
Kunstkritiker Berger ein großes Glück. Denn sobald etwas ins Museum | |
gelangt, bedeutet es dessen Tod, das Werk degeneriert zum wertvollen Besitz | |
oder Privateigentum, zu dem die Öffentlichkeit nur noch zu speziellen | |
Zeiten Zugang hat. | |
Die Fotografie, so Berger weiter, hat per se keinen großen materiellen | |
Wert, da ein Foto beliebig oft zu reproduzieren sei. Ihre Bedeutung liegt | |
in einer ganz anderen Qualität: Sie bezeugt die Entscheidung, die ein | |
Mensch in einer bestimmten Situation fällt, gerade dieses Objekt oder | |
dieses Ereignis zu diesem Zeitpunkt fotografisch festzuhalten. Die | |
Botschaft einer Fotografie besteht in diesem autonomen Entschluss: etwas | |
Gesehenes für so lohnenswert zu erachten, dass es fotografiert werden muss. | |
Mittlerweile gibt es auch in Norddeutschland einige Museen, die sich neben | |
anderem der Fotografie widmen. Das Sprengel-Museum Hannover etwa besitzt | |
eine große, kontinuierlich erweiterte Sammlung und legt dabei höchsten Wert | |
auf den Aspekt der Fotografie als Kunst. Sie wird penibel etwa vom | |
Bildjournalismus geschieden, selbst wenn dieser dem vitalen Berger’schen | |
Beweggrund des Fotografierens eigentlich näher kommt als jegliche aufwendig | |
durchstilisierte Konzeptfotografie. | |
Auf angenehm unakademische Weise setzt sich das Braunschweiger Museum für | |
Photographie mit seinem Betrachtungsgegenstand auseinander. Die kleine | |
Institution, 1984 von einer Handvoll privater Initiatoren auch mit dem | |
Anspruch des Sammelns gegründet, ist als klassischer Kunstverein | |
organisiert. Neben Ausstellungen nationaler und internationaler | |
Fotograf:innen, kuratiert von den hauptamtlichen Mitarbeiter:innen, ist | |
seit langer Zeit eine jährliche Mitgliederausstellung fester Bestandteil im | |
Vereinsleben. Sie zeigt jeweils einen Querschnitt aus der fotografischen | |
Praxis der Vereinsangehörigen, erwerbsmäßig oder amateurhaft betrieben. | |
Gerade dieser Aspekt, die eigene bildnerische Arbeit gefordert und ernst | |
genommen zu wissen und sie im Verein diskutieren und ausstellen zu können, | |
führt zu einem steten, wenngleich bescheidenen Zuwachs der Mitglieder – | |
aktuell sind es 148 –, auch durch auswärtige Interessierte. Diese machen | |
mittlerweile rund ein Viertel aus, ein anderes Viertel sind professionelle | |
Künstler:innen und Fotograf:innen. Durch dieses Profil der | |
Vereinsstruktur sei auch ein verstärkt konzeptionelles Denken in die | |
fotografische Arbeit der Mitglieder sowie ihrer Ausstellungen eingezogen, | |
sagt Barbara Hofmann-Johnson. Die stark in Köln Verankerte ist seit fünf | |
Jahren Direktorin in Braunschweig und für einige Neuzugänge aus dem | |
Rheinland verantwortlich. | |
Die diesjährige Mitgliederausstellung unter dem Titel „a kind of magic“ | |
wurde wie üblich in einem offenen Prozess erarbeitet. Recht früh im Jahr | |
wird ein Thema abgestimmt, Treffen, Workshops oder auch Exkursionen | |
begleiten dann die weitere Umsetzung. Aktuell sind 43 Vereinsmitglieder mit | |
von der Partie, die jüngste ist eine Braunschweiger Schülerin. Unter dem | |
Pseudonym Yhiwa steuert sie zwei kleinere Schwarz-Weiß-Fotos bei, deren | |
magische Momente in einer unerwarteten Ruhe und strukturierenden | |
Lichtsituation liegen. | |
Die zwei historischen Torhäuser des Museums präsentieren sich mit zwei | |
Werkgruppen: die medienreflexive Beschäftigung mit der Fotografie als | |
solcher sowie Bilder und Serien magischer Orte in der Stadt, auf dem Land | |
oder in der Natur. | |
Zur ersten Kategorie zählt etwa die Arbeit „Sunbed“ von Iris R. Selke. Die | |
ehemalige Performance-Schülerin von Marina Abramović inszeniert ihren | |
eigenen Körper in ungewohnten Situationen. In einem gedeckelten Solarium | |
liegt Selke wie eine aufgebahrte Marienfigur, das manieristisch anmutende | |
Licht schafft eine entrückte Atmosphäre, verstärkt durch die Darbietung als | |
Leuchtkasten. Timo Hoheisel thematisiert den magischen Prozess, wenn beim | |
Positivabzug eines Fotos das Bild sichtbar wird. Nur verwendet er für seine | |
interaktive Installation ein mysteriöses Fotopapier, das sein Bild nur | |
freigibt, wenn es auf einer hinterleuchteten Glasplatte über die | |
Lichtquelle bewegt wird. Zu sehen sind dann Naturstimmungen im Zwielicht, | |
die er auf einer irischen Insel antraf. Catherine Peter erkannte hingegen | |
am Berliner Himmel sogenannte Mammatuswolken, in ihrer Form weiblichen | |
Brüsten ähnelnd, die sich sehr selten im Kontext dräuender Gewitter bilden. | |
Die ebenfalls in Berlin beheimatete Fotografin Eva-Maria Tornette erspürte | |
das einfache Leben in alten Tiroler Bauernhäusern, seinen Möbeln, | |
Werkzeugen und vor allem riesigen Kachelöfen. Und Jörg Hennings aus | |
Wolfsburg blickte in Lissabon durch Fenster, deren mehrfache Brechungen und | |
Spiegelungen dem Alltäglichen etwas Flüchtiges, Geheimnisvolles und vom | |
Betrachter zu Imaginierendes verleihen. Das wäre nach John Berger das | |
richtige Maß an Wahrheit. Er fand ja, eine Fotografie sei dann gelungen, | |
wenn sie genauso viel über das mitteilt, was auf ihr fehlt, wie über das, | |
was sie abbildet. | |
„a kind of magic“: Mitgliederausstellung im Museum für Photographie | |
Braunschweig, bis 16. 1. 22 | |
23 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |