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# taz.de -- Lothar König: Furchtlos und unbequem
> Jenas Stadtjugendpfarrer Lothar König lässt sich kein
> bisschen einschüchtern, weder durch falsche Aussagen noch durch Neonazis.
Bild: „Ich rufe nicht mal dazu auf, Nazis anzugreifen!“ – Lothar König, …
Etwa 15 junge Frauen und Männer sitzen an diesem Sonntagmittag in einem
großen Stuhlkreis im Hof der Jungen Gemeinde Stadtmitte (JG) in Jena.
Fahrradskulpturen hängen an Drahtseilen über den Köpfen der Anwesenden, an
den Wänden Plastiken aus Holz und Metall, rechter Hand ist ein großes
Frühstücksbuffet aufgebaut. Mittendrin Lothar König – mit lauter Stimme
organisiert der Stadtjugendpfarrer die letzten Vorbereitungen für die
diesjährige „Werkstatt“.
Zusammen mit den jungen Punks und Alternativen richtet er schon seit Jahren
diese Veranstaltung in der JG aus – eine Woche mit Konzerten, Workshops,
Theater, Kino, Sportveranstaltungen und vielem mehr. Die Stimmung ist
aufgeräumt, gut. Trotzdem muss der Pfarrer immer mal wieder laut
lospoltern, wenn ihm die jungen Leute zu tiefenentspannt werden. Dafür ist
noch zu viel vorzubereiten. Wer übernimmt das Frühstück, wer die Betreuung
der Bands; jemand muss die palästinensischen Gäste betreuen, ein anderer
sich um die israelischen kümmern, die zwei Tage später eintreffen werden;
der „Papst- Käfig“muss noch über dem Eingang der JG angebrachtwerden – …
geht es immer weiter.
Lothar König steht mächtig unter Strom. Denn neben den Vorbereitungen für
die „Werkstatt“ stehen ihm auch die nächsten Prozesstage vor dem
Amtsgericht Dresden bevor. Der 59-jährige Pfarrer mit dem grauen
Rauschebart und der obligatorischen Selbstgedrehten zwischen den Lippen –
inzwischen ist er auch landesweit sehr bekannt worden. Weil er vor Gericht
steht. Beschuldigt wird er, bei einer Antinazidemo im Februar 2011
vorsätzlich zur Gewalt gegen Polizisten aufgerufen und einen Steinewerfer
vor der Polizei geschützt zu haben.
## Nicht stillhalten
Im März dieses Jahres begann der Prozess gegen König. Die Vorwürfe seien
konstruiert und die Beamten hätten falsche Angaben gemacht, so der Pfarrer,
der sich schon seit Jahrzehnten gegen Nazis, für Flüchtlinge und in der
Anti-AKW-Bewegung einsetzt. „Ich rufe nicht mal dazu auf, Nazis
anzugreifen!“, sagt er empört. Niemanden handfest anzugreifen – das ist die
Grundlage seiner Arbeit, seines Glaubens. Der 1954 auf einem Bauernhof in
Nordhausen geborene König hat sich schon immer für andere eingesetzt.
Der frühe Tod seiner Geschwister habe ihn geprägt, ist sich König sicher.
Als er in der zweiten Klasse war, wurden Kriegsflüchtlinge aus Schlesien im
Dorf angesiedelt. „Die hatten ein hartes Leben, und die drei Kinder wurden
in der Schule fertiggemacht. Da habe ich die Seiten gewechselt und denen
geholfen“, erinnert er sich. Überhaupt konnte König nicht stillhalten im
DDR-System und auch seinen Eigensinn nicht für sich behalten. „1969 war
meine erste Hausdurchsuchung“, erzählt der unangepasste Geistliche. „Im
Jahr nach der Niederschlagung des Prager Frühlings malte ich ein Graffito
an eine Hauswand, und im Nu waren Polizei und Stasi bei uns zu Hause.“
Die Folgen: König musste die Schule nach der zehnten Klasse verlassen, da
er keine Zulassung zum Abitur erhielt – ein Studium war damit auch
ausgeschlossen. Stattdessen musste der Stones-Fan seinen Militärdienst
leisten, einen Zivildienst gab es in der DDR nicht. Einige seiner Freunde,
die den Weg der Totalverweigerung wählten, kamen in den Knast. „Die
Leichtigkeit des Lebens verflog – die Leute wurden fertiggemacht. 1973
zerfiel die ganze Langhaarigenszene“, so König, der sich selbst auch als
Achtundsechziger sieht. „Ein Teil ging zur Kirche, ich hing bei der Armee.“
## Zufluchtsort vor rechten Skinheads
Genug vom Gestrigen nun, für die „Werkstatt“ muss noch der sogenannte
„Papst-Käfig“ an der Fassade des Gemeindehauses in der Johannisstraße
angebracht werden. Ein legendäres Stück, dieser „Käfig“. Eigentlich ein
Bambusgerüst für einen Graffitiworkshop der „Werkstatt“ von 2011, brachte
es die Junge Gemeinde von Jena im Jahr des Papstbesuchs durch einen Bericht
bei Spiegel Online bundesweit in die Schlagzeilen. Nachdem die
Gemeindemitglieder neben den „Käfig“ ein Transparent aufhängten, das zu
einer Auseinandersetzung mit dem Papst und der katholischen Kirche aufrief,
nannten die Jenaer das Bambusgerüst scherzhafterweise „Papst-Käfig“ –
seither wird er jedes Jahr hergezeigt.
Lothar König kam im Oktober 1990 nach Jena. Dass er sich seither gegen die
Naziszene in der Region engagiert, erklärt sich fast von allein. Schon in
der DDR gab es rechte Skinheads. „Punks und Autonome wurden zwischen 1990
und 1993 tagtäglich angegriffen.“ Seine Junge Gemeinde wurde zum
Zufluchtsort für Autonome, Linke und auch Migranten in Jena. Damals
versuchte man mit dem Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit gegenüber
rechtsradikalen Jugendlichen“, diese aus der Szene herauszulösen.
Auch König dachte anfangs noch, man könnte über die gemeinsame Jugendarbeit
mit den Skinheads deren Gesinnung zum Verschwinden bringen. Doch nachdem
rechte Jugendliche 1992 mit Baseballschlägern Angehörige der JG angriffen,
hatte sich diese Hoffnung erledigt. Im selben Jahr versuchten um die 100
Neonazis das Gemeindehaus zu stürmen. Steine flogen, der Pfarrer und die
Jugendlichen wurden immer wieder zusammengeschlagen.
„Mein Nazivater ist vor drei Jahren gestorben“, berichtet er, „und auch
sein Vater war ein Nazi. Mein Großvater mütterlicherseits war hingegen im
Widerstand.“ Das prägt. König muss einfach dagegenhalten. Auch weil er 1997
von Burschenschaftlern schwer verletzt wurde. Die Narbe in seinem Gesicht
von einem Schlagring ist noch deutlich sichtbar. Doch es gibt auch genug
Jenenser Bürger, die des Geistlichen Engagement übel nehmen. Manch ein
Unternehmer und Politiker ist wenig von Königs Öffentlichkeitsarbeit
angetan – sie fürchten um den guten Ruf ihrer Stadt.
## Verfolgung Unschuldiger
1996 versuchte die Polizei nachzuweisen, dass in der JG Drogen gehandelt
werden. Nach einer ergebnislosen Razzia musste sich der Thüringer
Innenminister für die Aktion entschuldigen. Auch die aktuellen Vorwürfe
gegen König werfen viele Fragen auf. Seine Anwälte konnten immer wieder
entlastendes Beweismaterial vorlegen, das in den Prozessakten aber nicht
erfasst wurde. Schließlich konnten sie durchsetzen, Einsicht in das
polizeiliche Videomaterial von besagter Antinazidemo in Dresden zuerhalten.
Auch hier findet sich König entlastendes Beweismaterial, das seitens der
Staatsanwaltschaft nicht ins Verfahren eingeführt worden war. Mehrere
Polizisten haben nach Lothar Königs Überzeugung bewusst falsche Aussagen
gegen ihn gemacht. Mittlerweile ist der Prozess aufgrund des neuen
Beweismaterials ausgesetzt. Lothar Königs Anwälte beantragten nicht nur die
Einstellung des Verfahrens, sie haben auch gegen einen Polizisten Anzeige
wegen der Verfolgung Unschuldiger gestellt.
Für den Stadtjugendpfarrer, der seine Unschuld stets betont hat, wäre die
endgültige Einstellung des Verfahrens nicht nur eine späte persönliche
Genugtuung – er könnte sich endlich wieder seinen Aufgaben widmen. Gegen
Neonazis kämpfen – und für eine tolerantere Gesellschaft.
Marie-Claude Bianco
24 Jul 2013
## AUTOREN
Marie-Claude Bianco
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Lothar König
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