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# taz.de -- Literatur: Der Belastungstester
> Der Autor Finn-Ole Heinrich ist 27 Jahre alt, hat drei Bücher
> veröffentlicht und meint es ernst. So ernst, dass sich die großen Verlage
> bislang nicht an ihn heran getraut haben - obwohl Heinrich etliche Preise
> abgeräumt hat und sein Bekanntheitsgrad stetig wächst.
Bild: Mag greifbare Geschichten: Der Autor Finn-Ole Heinrich.
In der Literaturszene gibt es Namen, die springen einen an, und es gibt
Namen, die tauchen immer mal wieder auf. In der Zeitung stehen solche Name
nur in der Spalte mit den Kurzmeldungen. Im Veranstaltungskalender stehen
sie neben anderen im Zusammenhang mit Literaturfestivals. Die Freunde aus
München nennen diese Namen, nicht endlos euphorisch, aber schon als
Empfehlung.
Der Name, in dem es in diesem Fall geht, lautet Finn-Ole Heinrich. Schau
an, denkt man sich in Hamburg nach dem Tipp aus München, der liest also
auch am anderen Ende der Republik. Der muss es ernst meinen. Und das ohne
einen großen Verlag im Rücken. Denn der hätte dafür gesorgt, dass einen der
Name anspringt. Ein großer Verlag hätte das Buch auf die Tische in den
Buchhandlungen gebracht. Dort aber ist das neue Buch von Heinrich mit dem
Titel "Gestern war auch schon ein Tag. Erzählungen" nicht zu finden.
Heinrich hat seine drei bisherigen Bücher alle beim kleinen Hamburger
Mairisch-Verlag veröffentlicht. Dort machen insgesamt fünf Leute deswegen
Bücher, weil sie wollen, dass es diese Bücher gibt. Heinrich sagt, die
Mairisch-Leute hätte ihn angesprochen, nach einem Auftritt bei einem
Poetry-Slam. "Ich hätte mich nie bei einem Verlag beworben. Ich habe der
Qualität meiner Texte nicht vertraut."
Heinrichs Debüt war ein Band mit Erzählungen mit dem Titel "Die Taschen von
Wasser", erschienen im April 2005. Im November 2007 erschien dann sein
erster Roman namens "Räuberhände". In dem geht es um eine Freundschaft
zwischen zwei Abiturienten. Vor allem aber geht es darum, wie diese
Freundschaft zu zerbrechen droht.
Janik ist der Sohn eines liberalen Alt-68er-Lehrerpaars und Samuel der Sohn
einer verwahrlosten Alkoholikerin und eines unbekannten türkischen Vaters.
Samuel übernachtet oft bei Janiks Familie, ist so etwas wie ein Adoptivsohn
der Familie. Nach dem Abitur fahren beide nach Istanbul, um Samuels Vater
zu suchen. Nach und nach erfährt man, was Janik Samuel angetan hat und was
das mit der Freundschaft macht.
"Räuberhände" ist eine Art intimer Enthüllungsroman, es geht um ein Tabu
und der Bruch des Tabus wird zum Belastungstest für die außergewöhnlich
enge Freundschaft.
Ungeheuerlich ist das alles, und manchmal fragt man sich, obs nicht eine
Nummer kleiner gegangen wäre. Andererseits ist der Roman gut strukturiert,
ständig wird in den Zeitebenen und zwischen den Schauplätzen hin- und
hergesprungen, es wird spannend und die Nähe zu den Figuren ist so groß,
dass man es gerne hinnimmt, wenn die Ereignisse um sie herum größer sind,
als man das dem Leben zutrauen würde.
Der Beziehungstest und eine gründliche Kenntnis der an ihm Beteiligten sind
zwei Merkmale, die sich bei Heinrich öfter finden.
Die Erzählung "Zeit der Witze" beispielsweise schildert, wie ein junger
Mann die ersten Stunden und Tage erlebt, nachdem seine Freundin mit einem
amputierten Bein aus dem Krankenhaus kommt.
In der Erzählung "Marta" geht es um eine Liebesbeziehung zwischen einem
strebsamen Studenten und einer jungen, todgeweihten und zugleich reichen
Frau, die versucht, die ihr noch bleibende Zeit zu feiern.
"Wenn man gesungen sagt" erzählt von drei Geschwistern nach dem Tod der
Großmutter. Der Bruder kehrt zurück in ein Haus, in dem die Schwester
zuletzt Großmutter und den behinderten zweiten Bruder gepflegt hatte.
Heinrichs Texte sind aus der Perspektive eines Ich-Erzählers geschrieben,
der höchstens so alt ist wie Heinrich selbst. Meist beleuchten die
Geschichten Abgründe in einer ansonsten heilen Mittelstands-Welt und wenn
es da mal rausgeht, zum Beispiel zu den geheimen Käfigen eines
kleinkriminellen Kampfhundezüchters, dann hat Heinrich gut recherchiert.
Heinrich ist einer, der diszipliniert von 7.30 Uhr bis 18 Uhr am
Schreibtisch sitzt, wenn er zu Hause in seiner WG in Hamburg-Wilhelmsburg
arbeitet. Aber das tut er nicht oft. Meist schreibe er im Zug, sagt
Heinrich. Auf dem Weg von oder zu Lesungen.
Ungefähr 300 Lesungen habe er in den letzten fünf Jahren gemacht, denn die
Honorare dafür seien für ihn eine wichtige Säule, um finanziell über die
Runden zu kommen. Daneben gibt es die finanziell weniger lukrativen
Buchverkäufe. Und, ganz wichtig: die Preise und Stipendien. Zuletzt bekam
er den Hamburger Förderpreis für Literatur. Unter den anderen Preisen war
einer der bekannteren der niedersächsische Förderpreis zum
Nicolas-Born-Preis.
Erst einmal hat einer der größeren Verlage angerufen, doch die Gespräche
verliefen im Sand. Heinrich sagt, momentan könne er nur mit Hilfe der
Preise und Stipendien von der Literatur leben. Den Mairisch-Verlag schätzt
er sehr wegen der persönlichen Beziehungen und wegen der Freiheit: "So
lange ich es mir leisten kann, bleibe ich da."
Heinrich will seine Karriere "nicht hochpumpen, sondern langsam aufbauen".
Daraus spricht neben der Ernsthaftigkeit auch Vertrauen auf das eigene
Talent. Wenn dann die Großen kommen, kann dieses Vertrauen nicht groß genug
sein.
6 Jan 2010
## AUTOREN
Klaus Irler
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