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# taz.de -- Kurzes Tauwetter im Osten
> Der Sampler „Die Notenbank“ präsentiert vergessene Beat- und Rockbands
> aus der ehemaligen DDR, die in der gleichnamigen TV-Sendung auftraten
Von Jens Uthoff
Wäre es nach Walter Ulbricht gegangen, hätte die Beat- und Rockmusik und
die angebliche „Monotonie des Yeh-Yeh-Yeh“, die der Staatsratsvorsitzende
1965 gegenüber seinen SED-Partei-Genoss:innen anprangerte, nie Fuß gefasst
in der DDR. Dass sich die Realität schon wenige Jahre später anders
darstellte und sogar die Öffentlichkeit den vom Westen beeinflussten
Popsound zu hören bekam, dafür sorgte unter anderem die TV-Sendung „Die
Notenbank“, die zwischen 1969 und 1972 im DDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Die Sendung für Beat- und Rockmusik hatte sich der damals in Ost-Berlin
lebende Regisseur Bernd Maywald ausgedacht. Dank einer Compilation des
Berliner Labels Black Pearl kann man nun die Bands wiederentdecken, die im
Rahmen der TV-Show aufgetreten sind. Von Soul und Psychedelic geprägte
Songs wie jene des famosen [1][Joco Dev Sextetts] sind darauf enthalten,
genau wie Schlager- und Chanson-beeinflusste Stücke von den Nautiks und der
Gruppe Cor. Die heute noch aktive Band [2][Bayon aus Weimar] ist dagegen
mit einem Lied vertreten, das an Ton Steine Scherben erinnert („Wenn du ein
Mensch bist“). Die Delphins („Bunte Fische“) scheinen stark beeinflusst v…
der US-Soul-Combo Booker T. & The M.G.s. An einigen der vertretenen Bands
sind Musiker beteiligt, die sich später einen Namen machen sollten: Bei Die
Gruppe Cor (aus Weimar) spielte etwa Axel-Glenn Müller; als Gäste waren
Gisela Dreßler und Gunther Emmerlich beteiligt.
Anders als beim „Beat-Club“ im Westen wurde in der „Notenbank“ nur
deutschsprachige Musik dargeboten. Die – hier nicht vertretenen – Puhdys
komponierten eigens dafür den Song [3][„Türen öffnen sich zur Stadt“], d…
sie 1971 in der Sendung spielten. Angloamerikanische Leichtigkeit ins
Deutsche zu übertragen gelang den Delphins („Uns freut der Wind“), Joco Dev
und den Continentals am besten; fast genialisch so mancher Text. Die
Continentals: „Mein Schlagzeug dröhnt so / Mein Herzschlag stöhnt so / Was
ich sing’, was ich spiel’ / Ist für dich“. Dabei nehmen die Stücke durc…
Anleihen bei Schlagern, klingen also irgendwie „deutsch“, aber nicht so
bieder und verklemmt wie mancher Schlagersong jener Zeit.
## Beatkrawalle in Leipzig
Historisch ist recht einfach zu erklären, warum eine Sendung wie „Die
Notenbank“ überhaupt möglich war. Die harte Repressionswelle gegen
Beatmusiker und -Fans ist auf Mitte der 1960er Jahre zu datieren. Damals
wurden reihenweise Bands in der DDR verboten, was unter anderem in den
Beatkrawallen von Leipzig gipfelte (allein dort wurden 54 von 58
registrierten Bands aufgelöst). Auch der DDR-Jugendradiosender DT64 musste
sein Programm radikal umbauen. Ab Ende der 1960er Jahre herrschte für eine
Weile popkulturelles Tauwetter in Deutschland Ost, das bis zu den
Weltjugendspielen 1973 andauerte, als sich die DDR weltoffen inszenieren
wollte. Nun gab es eine Reihe Radiosendungen, in denen Beat- und Rockmusik
gespielt wurde, Bands wie die Puhdys, Panta Rhei und die Klaus-Renft-Combo
wurden populär. Lang dauerte der etwas liberalere Kurs gegenüber
jugendkulturellen Szenen allerdings nicht, was die Blueser und Punks ab
Ende der 1970er hart zu spüren bekamen.
Es ist eine feine Auswahl, die Tom Sky vom Label Black Pearl in Kooperation
mit Maywald getroffen hat. Die Stücke wurden bei den Aufzeichnungen
Playback aufgeführt; teils sind die Songs von Originalbändern überspielt,
teils hat Sky nach langer Recherche sogar bessere Aufnahmen besorgt. Mit
der „Notenbank“ war 1972 Schluss: Die Produktionsleitung wollte Regisseur
Maywald die Regie nach acht Folgen entziehen, weil er als „zu schwierig“
galt. Immerhin behielt er die Rechte am Titel, sodass sie nicht mit anderen
Produzenten fortgeführt werden konnte. Daher wurde sie eingestellt. Mit
dieser Compilation wird ihre Bedeutung gewürdigt, ebenso die der
vergessenen Bands.
Verschiedene Künstler: „Die Notenbank. Tanzmusik für junge Leute“ (Black
Pearl Records)
22 Nov 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=fsv7YLPfD5g
[2] http://bayonmusic.de/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=YIlkLP1Iess
## AUTOREN
Jens Uthoff
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