# taz.de -- Künstlerresidenz in Istanbul: Angst vor kiffenden Künstlern | |
> Der skandalöse Streit um die Villa Tarabya in Istanbul gefährdet den | |
> kulturellen Austausch zwischen der Türkei und Deutschland. | |
Bild: Das historische Zentrum Istanbuls. Die Villa Tarabya liegt weit weg von d… | |
Scheitert der Dialog zwischen Orient und Okzident? Wer den Streit um die | |
Villa Tarabya in Istanbul verfolgt, muss mitunter diesen Eindruck bekommen. | |
Denn mindestens als "Brückenschlag zwischen Westrom und Ostrom" wollte der | |
CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Kampeter eingeordnet wissen, was das | |
Parlament vor Jahresfrist beschlossen hatte: den Ausbau von Teilen der | |
ehemaligen Sommerresidenz der deutschen Botschafter in der | |
Bosporus-Metropole zu einer Künstlerakademie nach dem Vorbild der Villa | |
Massimo in Rom. Kein Wunder, dass Parlamentarier aller Fraktionen nun | |
darüber erbost sind, dass das Prestigeprojekt zu platzen droht. | |
Für deutsche Künstler wäre eine Herberge in Istanbul eigentlich eine | |
elektrisierende Aussicht. Der radikale Umbruch, in dem sich die Türkei seit | |
Jahren befindet, ist dort mit Händen zu greifen. Im Vorort Tarabya jedoch, | |
wo sich der Sommersitz befindet, würden die sieben Stipendiaten in einem | |
luxuriösen Ghetto sitzen. Das eingezäunte Gelände mit den vier großen | |
Holzvillen, die der armenische Architekt Cingria für die deutschen | |
Diplomaten baute, ist zwar ein architektonisches Kleinod, gleicht aber | |
einer Gated Community und ist rund 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. | |
Weitab also von Stadtteilen wie Beyoglu oder Cihangir, in denen die meisten | |
türkischen Künstler und Intellektuellen wohnen. | |
Auch symbolisch hat das Gelände seine Tücken. Denn auf ihm befindet sich | |
ein deutscher Soldatenfriedhof, den Kaiser Wilhelm II. 1915 | |
höchstpersönlich anlegen ließ. Rund 700 Tote beider Weltkriege sind dort | |
bestattet, darunter Generalfeldmarschall Wilhelm Freiherr von der Goltz, | |
der nach seinem Tod bei Bagdad 1916 in eine deutsche und eine türkische | |
Fahne gehüllt wurde. Der zum "Pascha" erhobene Bellizist war Gründer eines | |
"Jungdeutschen Bundes", einer Art deutschen Pendants der nationalistischen | |
"Jungtürken" des späteren osmanischen Kriegsministers Enver Pascha. | |
Jedes Jahr zum Volkstrauertag begeht hier die deutsche Kolonie, zusammen | |
mit türkischen Militärs, das Totengedenken. So wie schon Kaiser Wilhelm | |
1917, ein Jahr bevor er sich ins Exil absetzte. Und zwar genau in dem Haus, | |
in dem die deutschen Künstler in Zukunft ihr Quartier hätten nehmen sollen. | |
Die idyllische Residenz ist ein Symbol der deutsch-türkischen | |
"Waffenbrüderschaft". Die terrassenartig zum Bosporus gestaffelte | |
Grabanlage "ziert" ein Denkmal des Bildhauers Georg Kolbe - ein gefallener | |
Krieger mit Engel. Ob sich ein deutscher Schriftsteller wie Ingo Schulze | |
hier wohlfühlen würde? | |
Es mag sein, dass die deutschen Diplomaten auf dem exklusiven Gelände | |
lieber unter sich wären und deshalb gegen das Vorhaben mit dem Argument | |
mauern, Deutschland habe sich einst verpflichtet, das Gelände, das Sultan | |
Abdülhamid dem Deutschen Reich schenkte, für diplomatische Zwecke zu | |
nutzen. Angeblich fürchten Westerwelles Beamte, dass Künstler auf dem | |
exterritorialem Gebiet kiffen oder Mohammed-Karikaturen ans Tor nageln. | |
Der Versuch, einen Bundestagsbeschluss hinter dem Rücken des Souveräns zu | |
kippen, für den dieser bereits 6 Millionen Euro bewilligt hat, ist | |
natürlich ein Skandal. Eigentlich hätte Angela Merkel die Villa Tarabya in | |
diesem Herbst eröffnen sollen. Andererseits böte der Konflikt die Chance, | |
das Projekt von dem Verdacht zu befreien, nur ein verlängerter Arm der | |
deutschen Außenpolitik zu sein. Schließlich liefen die Stipendiaten | |
ihrerseits Gefahr, staatsrepräsentative Anhängsel zu werden, wenn der | |
deutsche Botschafter in Tarabya zum Empfang lädt. | |
Drei Millionen türkischstämmige Menschen leben in Deutschland. Viereinhalb | |
Millionen Deutsche, so hat es das Auswärtige Amt gezählt, haben im | |
vergangenen Jahr die Türkei besucht. Da wäre es an der Zeit, den | |
Kulturaustausch zu institutionalisieren. Mehr Geschick bei der Standortwahl | |
bewies das Land Nordrhein-Westfalen. Die im vergangenen Jahr eröffnete | |
landeseigene Künstlerresidenz Atelier Galata liegt in einer dreckigen | |
kleinen Seitenstraße unterhalb des historischen Galata-Turms. Wenn die | |
Stipendiaten morgens den schmalen Bau verlassen, stehen sie mitten in der | |
brodelnden Szene der 15-Millionen-Metropole. Mit diesem Brückenschlag in | |
die Zivilgesellschaft ist dem Ost-West-Dialog womöglich mehr geholfen als | |
mit einem Elfenbeinturm am Bosporus-Ufer. | |
30 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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